# taz.de -- Neuer Film von Kerstin Ahlrichs: Taxifahren für Aussteiger | |
> In „Taxi“ geht es um verliebte, saufende, taxifahrende Außenseiter. Ein | |
> Film mit genialen Momenten, der aber oft sehr bemüht wirkt. | |
Bild: Er: „Was studierst du?“ Sie: „Taxifahren.“ | |
Herzblut und Hybris liegen manchmal nah beieinander. Dies hier konnte | |
einfach nicht klappen. [1][Ein Taxifahrerfilm, der im Hamburg der achtziger | |
Jahre spielt], mit beschränkten Mitteln auf die große Leinwand zu bringen – | |
wie soll das gehen? Natürlich will man dann, nur zum Beispiel, Taxifahrten | |
entlang der Reeperbahn sehen (so wie DeNiro in „Taxi Driver“ durch | |
Manhattan fährt). Aber inzwischen ist auf der Reeperbahn kein Meter mehr so | |
wie damals, und man kann das ja nun nicht mal eben so rekonstruieren. | |
Überhaupt, alles hat sich seitdem verändert. | |
Was man dann sieht bei diesem Herzblutprojekt der Regisseurin Kerstin | |
Ahlrichs und der Schriftstellerin Karen Duve, die nach ihrem gleichnamigen | |
Roman das Drehbuch geschrieben hat, sind zwei, drei Straßenecken, die mit | |
den Graffiti von damals bemalt wurden, ist eine Hauseinfahrt, die in einen | |
vorgentrifizierten Zustand versetzt wurde, ist ein nachgebauter Taxistand, | |
an dem sich die Taxifahrer immer treffen, ist die dunkle Höhle des | |
Spätpunkladens „Dschungel“ in der Schanzenstraße und sind die alten, noch | |
hörbar nagelnden Mercedes Diesel, in denen man damals Taxi fuhr. Alle | |
Beteiligten haben sich erkennbar Mühe gegeben. Aber manchmal sieht man eben | |
auch nur das. Dass sich Mühe gegeben wurde. | |
Und doch. Man sieht auch, warum Kerstin Ahlrichs und Karen Duve dachten, | |
dass dieser Film unbedingt gedreht werden musste. Wer ihn anschaut, muss | |
durch viele Seltsamkeiten des deutschen Filmförderungsfilms durch. Da gibt | |
es Dialoge, in denen ein Telefon klingelt und dann der eine zum anderen | |
sagt: Willst du nicht endlich das Telefon abheben (als ob ein fragender | |
Blick nicht viel ausdrucksstärker wäre). | |
Der Schauspieler Stipe Erceg stapft in immerhin lustig schrecklichen | |
Achtziger-Jahre-Klamotten fremd durch diesen Film. Robert Stadlober nutzt | |
seine Auftritte als frauenhassender Pseudophilosoph zur | |
Rollenselbstdenunziation. Armin Rohde fällt ins typische | |
Armin-Rohde-Chargieren. | |
Den Schluss, in dem ein Totalschaden und ein Affe eine Rolle spielen, haben | |
sie so gar nicht hinbekommen. Und der kaum lesbare Vorspann flimmert auch | |
sehr speziell vor den Augen. Aber dann schafft es dieser Film doch immer | |
wieder, dass man es beim Zuschauen hinkriegt, den Taxifahrerfilm, den man | |
gerne gesehen hätte, auch tatsächlich zu sehen – oder sich wenigstens ein | |
Stück weit zu erträumen. | |
## Taxi Nummer Zwodoppelvier | |
Das liegt am Taxifahren. Dass dieses Gewerbe in den Achtzigern ein | |
freiwilliges Exil, eine Aussteigernische für Langzeitstudenten, | |
Möchtegernkünstler und ganz allgemein Menschen, die nicht wissen, wohin mit | |
sich, darstellte, das transportiert dieser Film dann eben irgendwie doch. | |
Man konnte auf Karriere scheißen und der Illusion nachhängen, sein Ding zu | |
machen. Und es gibt den Schauspieler Özgür Karadeniz als Taxiunternehmer | |
Mergolan, der die Windhundhaftigkeit und Würde dieser Figur gut trifft. | |
Vor allem gibt es die Hauptfigur. Die Figur der schönen, | |
beziehungsunfähigen Taxifahrerin Alexandra im Taxi mit der Nummer | |
Zwodoppelvier auf der Suche nach sich selbst ist so toll, dass sie sich | |
auch gegen die oft hippelige Schauspielerin Rosalie Thomass durchsetzt. Am | |
Taxifahren findet sie gut, dass sie viel allein ist und die „Fahrgäste | |
schnell auch wieder verschwinden“, sagt sie. In ihrem Willen, sich nicht | |
auf Rollen festschreiben zu lassen, wirkt sie wie eine Art Laurie Penny | |
avant la lettre, allerdings noch ohne das theoretische Backup des | |
Pop-Postfeminismus. | |
Und mit Chuzpe und Glück haben es Kerstin Ahlrichs und Karen Duve | |
tatsächlich hingekriegt, Peter Dinklage (“Game of Thrones“) als ihren | |
kleinwüchsigen, gutküssenden Liebhaber zu engagieren. Das war ein | |
Geniestreich. Dinklage ist oft schlecht synchronisiert, aber das macht | |
nichts. Er und Rosalie Thomass haben Szenen, in denen tatsächlich etwas | |
zwischen den Figuren passiert. In diesen Szenen gewinnt der Film | |
Ernsthaftigkeit und Intensität. | |
Kerstin Ahlrichs und Karen Duve haben von einem großen Film geträumt, der | |
vom Taxifahren, von Hamburg, von den Achtzigern jenseits der | |
Flashdance-Mythen und von einer eigenwilligen Frau erzählt. Sie haben es | |
geschafft, innerhalb der Bedingungen des deutschen Filmwesens diesen Traum | |
durchzusetzen. Und dass das ein guter, wenngleich auch zu großer Traum ist, | |
kann man diesem Film ansehen. | |
23 Aug 2015 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=GO7hIUVi8FU | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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