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# taz.de -- Wutliteratur von Karen Duve: Im Keller ist kein Ponyhof
> Das Einzige, was blüht, ist der Raps: „Macht“ liefert das Porträt eines
> frauenhassenden Psychopathen in einer Welt kurz vor dem Untergang.
Bild: Der Raps blüht, grün ist die Hoffnung, aber der Untergang ist nah.
Es gehört schon Mut dazu, ein Buch zu machen, dessen Umschlagcover so
hässlich ist, dass man den ständigen Impuls hat, etwas darüberzulegen, nur
um dieses entsetzliche Rapsgelb nicht mehr sehen zu müssen. Bücher werden
schließlich auch nach ihrem Äußeren gekauft. Dieses Buch aber kann man nur
trotzdem kaufen. Immerhin wird angesichts seiner Verpackung hinterher
niemand sagen können, er sei nicht gewarnt gewesen. Form follows function
trifft in diesem Fall wohl zu. Denn „Macht“ ist kein Ponyhof. Für
niemanden.
Es zeugt immer von einer gewissen Grausamkeit auktorialerseits, wenn den
LeserInnen die moralisch unbedenkliche Identifikation mit der Hauptfigur
verweigert wird. Eigenartig muss es aber auch für die Autorin selbst
gewesen sein, Monate, viele Monate im Kopf eines Psychopathen zu
verbringen. Den Kritikern von Duves letztem Buch, der
Weltuntergangsphilippika „Warum die Sache schiefgeht“, die sich darüber
mokierten, dass die Autorin die Schuld am Zustand der Welt nach allen
Seiten verteilte, ohne sich selbst auch auf der Verursacherseite zu sehen,
hätte Duve damit zumindest gezeigt, dass sie durchaus willens ist, auch
persönliche Opfer für die Rettung des Planeten zu bringen.
Karen Duves Wut ist nicht wohlfeil, sondern echt. Auch wenn die
fiktionalisierte Romanform von „Macht“ gewissermaßen als Filter
funktioniert, diese Wut also nicht annähernd so ungebremst auf den
Leserkopf auftrifft wie in „Warum die Sache schiefgeht“, tut es immer noch
weh genug. Und wegducken geht nicht, denn die Autorin hat uns qua
Erzählperspektive eingesperrt in die irre Denke eines wahnsinnigen
Protagonisten. Damit sind wir kaum besser dran als die arme Christine.
Aber erst mal von vorne. Darum geht es in „Macht“: Man schreibt das Jahr
2031. Die Welt ist noch fünf Jahre von ihrem errechneten Untergang
entfernt, überall blüht nur noch Raps, Tornados suchen das norddeutsche
Flachland heim und der ehemalige Umweltaktivist Sebastian hält im Keller
seines Elternhauses in einem Hamburger Vorort eine Gefangene. Es handelt
sich um seine Exfrau Christine, eine ehemalige Bundesministerin mit Chancen
aufs Kanzleramt, mit der er zwei Kinder hat.
## Gruselige Authentizität
Abgesehen davon, dass sie angekettet ist, genießt Christine allen
zivilisatorischen Komfort in ihrem Bunkerzimmer – und regelmäßig besucht
Sebastian sie, um gemütlich mit seiner Frau fernzusehen und sie
anschließend zu vergewaltigen. Wenn er allerdings böse auf sie ist, kann es
passieren, dass er sie tagelang angekettet an der Wand stehen lässt, ohne
vorbeizukommen. Er genießt die Macht, die er endlich über sie hat.
Die Welt da draußen hat sich nämlich in einer Weise gewandelt, die Männern
wie Sebastian, die ihr Mannsein stets als naturgegebenes
Überlegenheitsprivileg empfunden haben, einfach zu viel geworden ist.
Einerseits ist es eine Minute vor zwölf; der klimabedingte Weltuntergang
ist eine anerkannte Tatsache und nicht mehr lang hin. Andererseits hat die
Welt sich auf eine Weise geändert, die viele Menschen als positiv
empfinden, nur eben manche Männer nicht: Die Frauen scheinen die Macht
übernommen zu haben; die meisten Bundesministerinnen (unter einem Kanzler
Olaf Scholz) sind weiblich. Und dann wird Sebastian auch noch von seiner
Frau, der Exministerin, verlassen!
Sebastian ist widerwärtig, aber auch komisch und zugleich merkwürdig
glaubhaft. Neben vielen anderen Quellen hat Karen Duve das sogenannte
„Manifest“ von Anders Breivik herangezogen (um das verquere,
menschenverachtende Weltbild ihres Protagonisten zu formulieren) und
arbeitet viel mit direkten Zitaten. Das verleiht diesem Porträt eines
gewalttätigen Psychopathen eine gruselige Authentizität.
Die paranoide, radikal egozentrische Logik, mit der Sebastian sich die Welt
konstruiert, ist seltsamerweise oft nachvollziehbar – nur dass bei dieser
Erzählerfigur die kleine Meckerei über den Zustand der Welt und die
Heuchelei der Mitmenschen nahtlos übergeht in wahnhafte Allmachtsgelüste.
Dabei ist es absolut kein Widerspruch, dass Sebastian einerseits den
größten Widerwillen empfindet gegen durchs Land marodierende Motorradbanden
aus Männerrechtlern, andererseits seinen eigenen Frauenhass im heimischen
Keller ebenso gewaltsam und sadistisch auslebt. Hauptsache, die bürgerliche
Fassade sitzt.
## Dystopischer Prosatopf
Das ist alles schön und gut, wenn auch ganz schön unangenehm. Mit Sebastian
Bürger hat Duve einen Protagonisten geschaffen, den man so schnell nicht
vergisst. Das eigentliche Problem mit „Macht“ liegt woanders, nämlich
darin, dass die Autorin (ihrerseits einen ziemlich selbstgewissen
Allmachtsgestus auslebend) alles mit in den Roman hineinstopft, was ihr an
der westlichen Zivilisation stinkt: Klimawandel, Fleischesserei, Jugendwahn
und Zwang zur Selbstoptimierung sowie die Abhängigkeit von digitalen Medien
werden gemeinsam hineingeworfen in den dystopischen Prosatopf.
Das alles in kritischer Absicht zusammenzubringen mit der paranoiden
Phantasterei des irren Sebastian ist natürlich nicht einfach, um nicht zu
sagen: selber ziemlich verrückt. Da ist zu viel Zeug drin, das argumentativ
nach allen Seiten auseinanderstrebt. Und deshalb ist „Macht“ trotz aller
Rollenprosa und Fiktionalisierung und so weiter auch seinerseits ein in
sich verdrehtes Manifest, aus dem die blutige Wutsuppe tropft.
Das hat zwar auch was, denn so insgesamt ist es auf jeden Fall eine
ziemlich bunte Horrorshow von beträchtlichem Unterhaltungswert. Aber man
atmet auf, wenn sie vorbei ist und man wieder raus kann aus dem Keller des
Schreckens. Denn, bitte schön: Womit haben wir diese Behandlung verdient?
Wir sind doch nur arme kleine LeserInnen und essen wirklich fast gar kein
Fleisch. Sind wir da etwa schuld, dass die Welt untergeht? Weil wir ein
Mann sind? Weil wir ein Smartphone haben? Oder weil wir gar ein
fleischessender, smartphonebesitzender Rapsgroßbauer sein könnten? Ja, wenn
das so ist, dann haben wir diesen Roman wohl so richtig verdient.
15 Feb 2016
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Karen Duve
Olaf Scholz
Männerrechtler
Sexismus
Karen Duve
Anders Breivik
Taxi
Schwerpunkt Frankreich
Schwerpunkt Klimawandel
Grimms Märchen
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