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# taz.de -- Neuerzählung von Grimms Märchen: Die fiesen Zwerge
> Ein Mix aus Vampirerzählung und Splatter – die Märchengestalten aus Karen
> Duves „Grrrimm“ lassen tief in die Abgründe der menschlichen Psyche
> blicken.
Bild: Schön durchgeknallt: So wie hier Iris Berben setzt auch Karen Duve in ih…
Es waren einmal sieben Zwerge, die aus ihrer Arbeit im Stollen zurückkamen.
Zu Hause fanden sie in einem ihrer Betten ein verdammt schönes Mädchen vor,
das ihnen eine krude Geschichte erzählte. Nur dem größten Zwerg kommt die
Geschichte mit der bösen Stiefmutter seltsam vor – eine Königstocher, die
sieben Männern freiwillig den Haushalt führt, um dableiben zu dürfen?
Die ist bestimmt scharf auf ihn, denkt er – doch Schneewittchen wehrt seine
Anmache ab und betitelt ihn und die anderen als Missgeburten! Vor lauter
Ärger schnürt er ihr das Mieder zu fest zu. Als sie dann bei der Rückkehr
seiner Kumpel wieder aufwacht, erfindet sie die Geschichte von der alten
Krämerin, damit er nicht petzt, was sie in Wahrheit von den Zwergen hält.
Wem die Märchen der Brüder Grimm schon immer komisch vorkamen, der findet
seine Bestätigung in „Grrrimm“. Die Schriftstellerin Karen Duve lotet die
psychischen Abgründe der Akteure aus und setzt die Geschichten nach
Frankenstein’scher Manier wieder zusammen. Heraus kommen Geschichten mit
fiesen, notgeilen Zwergen und einem Prinzen, der sich nach einem Jahr von
Schneewittchen wieder scheiden lässt („er könne nicht bei einer Frau
liegen, die wochenlang mit sieben Männern, noch dazu Zwergen, in einer
Hütte im Wald zusammen gelebt hat“).
## Rotkäppchen und der Werwolf
Karen Duves neuerzählte Geschichten sind gruselig, aber das sind die
Originale ja auch. Duves Rotkäppchen heißt Elsie und ist wie alle anderen
Gestalten in „Grrrimm“ erst ab fortgeschrittenem Alter zu empfehlen. Elsie
muss die rote Kappe tragen, die ihre Großmutter für sie gehäkelt hatte. Die
Mitschüler und ihre zwölf Geschwister hänseln sie, die Mutter ist
Alkoholikerin, und die liebe Großmutter ist eigentlich ein Werwolf, der
Rotkäppchens Vater gebissen hat. Der daraufhin selbst zum Werwolf wird und
elendig daran zugrunde geht.
„Er würgte und würgte, die Augen traten wieder aus den Höhlen und das
Wasser quoll ihm über die Unterlippe wie bei einem überlaufend Eimer.“
Karen Duve weitet mit Genuss die Geschichte aufs Absurdeste aus und mixt
Vampirerzählung mit Splatterversatzstücken.
## Makabre Totenerweckung
Bei „Bruder Lustig“ findet der Splatter seinen Höhepunkt. Der Kerngrusel
der Geschichte ist schon bei den Brüdern Grimm fast unerträglich (bestimmt
ein Grund, warum „Bruder Lustig“ in Kindermärchenbüchern so gut wie nie
auftaucht): Bruder Gemach, der Tote zum Leben erwecken kann, tut dies,
indem er die Verstorbenen in alle Einzelteile zerlegt und dann mit dem
„Wasser des Lebens“ besprengt. Bei Grimm wird die eklige Szene in drei
Sätzen abgehandelt, Duve lässt den Leser intensiv an der makabren
Totenerweckung teilhaben.
Die Lust der Erzählerin am Fabulieren zieht letztendlich auch den Leser in
Bann. Die Märchen spielen in einer zeitlich nicht definierbaren
Zwischenwelt. Bruder Lustig und Bruder Gemach werden von einem Filmteam
aufgespürt („Seid ihr der Wunderarzt, der die hoffnungslosen Fälle
heilt?“), und Rotkäppchens Brüder kämpfen auf ihren Spielkonsolen
gegeneinander.
Die Akteure bei Karen Duve sind im Gegensatz zu den Grimm’schen
Märchengestalten nicht nur böse oder gut, sondern lassen tief in die
Abgründe der menschlichen Psyche blicken. Und es gibt kein Happy End. Was
die Spannung extremst erhöht und eigentlich eher passt zu der fiesen Welt
der Märchen.
## : "Grrrimm". Galiani Verlag, Berlin 2012, 180 Seiten, 18,99 Euro
23 Nov 2012
## AUTOREN
Elke Eckert
## TAGS
Grimms Märchen
Karen Duve
Märchen
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