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# taz.de -- Buch über den globalen Kollaps: Jeder weiß es, keinen interessier…
> Karen Duve warf ihren neuen Roman ins Eck und schrieb ein Sachbuch über
> das bevorstehende Ende der Menschheit. Was ist los mit der Autorin?
Bild: Karen Duves Roman sollte im Jahr 2030 spielen. Sie recherchierte, war fas…
Die Schriftstellerin Karen Duve war beim Schreiben eines neuen Romans, aber
irgendwann ging es nicht mehr. Sie hörte mittendrin auf und schrieb ein
Sachbuch über das bevorstehende Ende der Menschheit. Für sie ein
„erfrischender Gedanke“, wie sie auf der letzten Seite schreibt. „Es kann
doch eigentlich nur besser werden.“
An einem ordentlichen Herbstmorgen betritt Duve, 52, die Räume ihres
Verlages in Berlin-Mitte. Blond, Brille, casual wear. Sie kommt von ihrem
Bauernhof in Brandenburg und sagt, sie brauche erst mal eine Cola Light, um
schneller denken zu können. Es ist aber keine da, und sie will auch keine
Diva sein, worauf sofort jemand lostrabt.
Woher kommt der Antrieb dazu, ein Buch wie „Warum die Sache schiefgeht“ zu
schreiben (Galiani Verlag, 192 Seiten, 12 Euro)? Damit steht man in ihrer
Branche immer noch sehr allein. Der Klimawandel und seine Konsequenzen sind
dem deutschen Feuilleton-Milieu fremd. In der ersten Jahreshälfte
beschäftigte man sich intensiv mit dem Kriegsjahr 1914. Inzwischen ist man
bei aktuellen Kriegen und dem IS. Diese Themen sind imminent, keine Frage,
aber sie sind auch kulturell vertrauter. Mit dem globalen Kollaps will man
nichts zu tun haben. Das sollen mal schön die Ökofuzzis verwursten.
„Ich will damit auch nichts zu tun haben“, ruft Duve. „Ich hätte viel
lieber einen Roman geschrieben.“ Es ist nur so, dass der im Jahr 2030
spielen sollte, sie daher die entsprechende Zukunftswissenschaft
recherchierte und irgendwann fassungslos war. „Ich kam nicht drumherum, man
muss sich dieser Sache stellen.“
## Psychopathen in Entscheiderpositionen
Was sie erschütterte, war nicht, dass die Zivilisation durch die sich
gegenseitig dynamisierenden Klima-, Energie-, Flüchtlings- und Kriegskrisen
zusammenbricht, sondern dass das jeder weiß, der es wissen will. Und es
keinen interessiert, vor allem nicht die sogenannten Entscheider.
„Es gibt viel Geschrei um Renten, Finanzmärkte oder Goldpreise, man doktert
an kleinen Symptomen herum und lässt das größte Problem der Menschheit
völlig außen vor.“
Das ist doch sehr menschlich?
„Ja, aber fatal.“
Sie will nicht ein weiteres Mal den wissenschaftlichen Stand und die
Konsequenzen des Nichthandelns auflisten. Sondern „erklären, warum wir das
nicht auf die Reihe kriegen“.
Also: Selbstverständlich sind auch die Politik, der Kapitalismus und der
Mensch als Gattung schuld. Vor allem aber ist es eine kleine Kaste
ehrgeiziger, machtbesessener und risikobereiter Männer – teilweise echte
Psychopathen –, die seit Urzeiten die Weltläufe und die Ideologien bestimmt
und die langfristigen Interessen der Menschheit für den kurzfristigen
Vorteil ihres Unternehmens aufs Spiel setzt, und zwar in jeder Staatsform,
wie man am realen Kapitalismus sehen kann und am realen Sozialismus sehen
konnte.
Ihre Erkenntnis: Entscheiderpositionen bedeuten qua Karrieredefinition die
Loslösung von gelebten sozialen und familiären Werten. Frauen sind zwar
sozialer als Männer, allerdings nicht in Führungspositionen, solange die
Strukturen nur asoziale Karrierefrauen nach oben lassen. „Diese Art von
Charakter darf nicht länger in Führungspositionen vorherrschen. Sonst endet
das in einer Katastrophe“, sagt sie.
Die Lösung: Die überwältigend große Mehrheit von Frauen und nicht
psychopathischen Männern müsste die Clique der asozialen Leader in
Wirtschaft und Politik und deren Leitwerte ablösen.
## Ein Aufstand der unter Vierzigjährigen
Lösung zwei: Es braucht ein neues 1968. Einen Aufstand der unter
Vierzigjährigen. Die müssten endlich kapieren, dass die Älteren alles jetzt
auffressen, weil sie in dreißig Jahren ja schön tot sind. Dass es nichts
bringt, sich jetzt brav, gut ausgebildet und gut vernetzt Minioptionen
offenhalten zu wollen, wenn die globalen Maxioptionen in den nächsten fünf
bis zehn Jahren rapide zusammenschmelzen. „Junge Menschen, überall auf der
Welt, haben ja wohl mehr als einen Grund aufzustehen“, sagt sie.
Es gibt selbstverständlich schon Leute, die raunen, Karen Duve habe sich da
in einen Furor reingesteigert. Aber damit ist man schon wieder im
gutbürgerlichen Gegenwartsdenken, nach dem eine radikale Haltung als Folge
einer intensiven inhaltlichen Beschäftigung keine Tugend ist, sondern eine
Krankheit. „Überzeugungstäter“ gelten ja bereits semantisch als Verbreche…
Dieses Denken ist ihr bereits begegnet, denn sie sagt: „Ich muss da
aufpassen, es ist nicht so einfach, das Problem zu formulieren, ohne dabei
zu wirken wie jemand, der mit dem Wachturm in der Hand am Hauptbahnhof
steht.“ So wirkt sie gar nicht, bloß sehr, sehr wach, und das bereits ohne
Koffein. Es könne allerdings schon sein, dass sie einen Nachholbedarf habe.
„Ich war ja nie Linke.“
Sondern?
„Ich habe eine ignorante Vergangenheit.“
## Verstärkung der Selbstradikalisierung
Sie wächst in dem kleinbürgerlichen Hamburger Außenbezirk
Lemsahl-Mellingstedt auf. Ist in der Schule Außenseiterin. Die Eltern
wollen, dass sie Steuerinspektorin wird. Sie fällt durch die Prüfung und
fährt Taxi. Der Durchbruch als Schriftstellerin kommt mit einem Roman übers
Taxifahren. Zuletzt hat sie einen bemerkenswerten Erfolg mit dem
autobiografischen Sachbuch „Anständig essen“. Darin untersucht sie die
vielen Problematiken der Massentierhaltung und wird dadurch zur
Vegetarierin.
Das Buch wird stärker wahrgenommen als ein erfolgreicher Roman, aber
trotzdem essen die Leute immer noch genau so viel Massentier.
Sozialpsychologen sagen, dass eine solche Erfahrung zur Verstärkung der
Selbstradikalisierung führen kann. Also legt sie in dieser Logik jetzt noch
eine Schippe drauf. Andererseits: Womit darf man sich gemein machen, wenn
nicht mal mehr mit der Verhinderung des Endes des Menschheit?
Duves Buch ist in einigen Bereichen eine sehr zutreffende Analyse der
Blockaden. Dass sie an ihre Lösungsüberlegungen nicht glaubt, macht sie am
Ende auch klar. Das sagt sie auch im Gespräch.
Aber man müsse es versuchen. Die große Frage wirft sie indirekt auf: Was
sind die entscheidenden Konflikte, die in derzeit unüblicher Radikalität
ausgetragen werden müssen?
## Konflikte Böse gegen Gute und Junge gegen Alte
Sie geht davon aus, dass diese Konflikte „Böse“ gegen „Gute“ und Alte …
Junge sind. (Sich selbst sortiert sie unter böse Alte ein.) Es gibt ja eine
weltweite Klimabewegung der Jungen, und der ist auch klar, dass es harte
Konfrontation braucht, aber wenn man, nur zum Beispiel, Kohlekraftwerke in
Nordrhein-Westfalen abgeschaltet haben will, muss man die SPD
konfrontieren. Ü-50er wie Hannelore Kraft, aber auch die
Jungsozialdemokraten.
Und gut ist man nicht, man kann nur gut leben, also sozial,
verantwortungsbewusst und nicht entfremdet. Es spricht viel dafür, und das
führt sie auch aus, dass der Gute nur gut leben kann, wenn der Schlechte
herrscht. Auf keinen Fall, wenn er selbst herrscht. Konkret: Wenn ich mich
an Entscheiderstelle um die Zukunft meiner Kinder und aller anderen
kümmere, verliere ich sie und alle anderen in der gelebten Gegenwart.
Die zweite Frage ist, wie man Menschen sensibilisiert. Die einzige
Rettungsmöglichkeit sei, sagt Duve: „Verstehen, wer wir sind – und gegen
unseren Instinkt agieren.“ Duve versucht das Verstehen mit hochmoralischem
Ton zu befördern, von rhetorischen Fragen („Sind die Stürme noch nicht
verheerend genug gewesen?“) über Ekel („Widerwärtig“) zu dem nicht
ironisch, sondern larmoyant und ungerecht daherkommenden Ende, das eine
Welt ohne Menschen als bessere Welt feiert.
„Wie soll das denn sonst angegangen werden?“, fragt sie.
Hochmoral ist was für die Kanzel oder den Grünen-Parteitag, dafür kriegt
man ein Nicken, aber damit kriegt man niemand für die Veränderung
begeistert.
Duve irritiert: „Ist begeistern der richtige Ausdruck, geht es nicht darum,
die Leute stinkwütend zu machen?“
Sie ist stinkwütend, so viel steht fest.
19 Oct 2014
## AUTOREN
Peter Unfried
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Schwerpunkt Klimawandel
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