| # taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Stillstand made in Germany | |
| > Wird der kommende Parteitag der Grünen ein Durchbruch – oder wieder nur | |
| > ein egotherapeutischer Murmeltiertag? Es geht ums Regieren. | |
| Bild: Murmeltier-Parteitag? | |
| Ein angesehener Journalist eines wichtigen deutschen Mediums stellte sich | |
| bei einer Party zu einem Kollegen, der sich gerade mit einer Frau | |
| unterhielt. Ende vierzig, schöne Augen. Er fand sie nett und fragte | |
| irgendwann, was sie eigentlich so mache. Sie sagte, sie sei | |
| Grünen-Vorsitzende. | |
| Diesen Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen Realität im Auge zu haben, ist | |
| hilfreich, wenn man einen Nachen besteigt, um auf die Insel der kleinsten | |
| Partei im deutschen Bundestag zu rudern, die keineswegs hinter den Nebeln | |
| verschwunden ist wie Avalon. Ein bisschen eingenebelt ist sie aber schon. | |
| Und manchmal scheint es, als sei die Zeit dort stehen geblieben. Etwa wenn | |
| sich sämtliche Berliner Anführer mit großem fernmündlich-kommunikativen und | |
| emotionalen Aufwand mit einem Antrag des hessischen Fraktionsvorsitzenden | |
| Mathias Wagner (KV Wiesbaden) für den Parteitag in zwei Wochen | |
| beschäftigen. Titel: „Die Leitlinien der Grünen für eine | |
| Regierungsbeteiligung 2017“. Insel bebt, diverse stellvertretende | |
| Fraktionsvorsitzende müssen loshotten, um an einem Gegenantrag zu feilen, | |
| der die wenigen klaren Passagen tilgt, in denen Grüne Lebenslügen | |
| überwunden werden könnten, und in den Vordergrund stellt, dass die beiden | |
| Flügel den inhaltlich-konzeptionellen Wettbewerb nicht austragen, sondern | |
| vertuschen. | |
| Dieser Antrag heißt dann: „Grüner Aufbruch 2017“ und ist für den Laien e… | |
| zusammengestoppelte Ansammlung von politischen Selbstverständlichkeiten. | |
| „Politisches Gestalten funktioniert besser in der Regierung.“ – „Desweg… | |
| streiten wir nicht gegen die Gesellschaft, sondern mit den Menschen in | |
| unserem Land für ein besseres Morgen.“ – „Wir wollen dieses Land grün | |
| gestalten. Als eigenständige politische Kraft.“ Ja, was denn sonst, würde | |
| der Laie fragen. Aber deshalb ist er ja auch Laie. Für die Grünen ist das | |
| eine herzzerreißende egotherapeutische Selbstverortung (was ja manchen der | |
| Existenzsinn dieser Partei zu sein scheint.) | |
| ## Hochmoralisches Handeln | |
| Die Grünen, die den Klimawandel und seine unfassbar furchtbaren globalen | |
| Verwerfungen bändigen wollen, haben seit 2005 konsequent vor jeder | |
| Bundestagswahl Verantwortungsübernahme ausgeschlossen. (Auf der Insel gilt | |
| das als hochmoralisches Handeln.) Nun überlegt man, ob man sich womöglich | |
| programmatisch so aufstellt, dass man sich 2017 zum Regieren herablassen | |
| könnte. | |
| Aber das Wesentliche, die Freiheit zum Handeln durch Abschaffung der | |
| Selbstversklavung auf der Baumwollfarm der SPD, hat man 2009 schon mal | |
| „beschlossen“. Geredet wird darüber seit dem vergangenen Jahrtausend. | |
| Vom Festland aus gesehen grüßt also mit beiden Anträgen das grüne | |
| Murmeltier. Auf der Insel aber sehen Realo-Optimisten einen Fortschritt in | |
| seinem Lauf, den selbst der Göttinger Abgeordnete Jürgen Trittin nicht mehr | |
| aufhält, weil er den Antrag ja unterschrieben hat. Ende des Linkskurses, | |
| freie Wahl des Koalitionspartners, Therapierung der grünen | |
| Über-Ich-Fixierungen (Regieren böse, CDU böse, Gesellschaft böse). | |
| Theoretisch sei es sogar denkbar, dass man künftig möglichst viele Wähler | |
| gewinnen will. Huch. Das wären ja weltliche Zustände wie in | |
| Baden-Württemberg. Oder Hessen. Oder Schleswig-Holstein. Dafür müsste man | |
| aber seine selige Insel des bundesgrünen Stillstands made in Germany | |
| wirklich verlassen. | |
| Bis dahin kann also noch viel Eis von den Gletschern schmelzen. | |
| 9 Nov 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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