# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Jesus weint schon | |
> Wie feiert man selbstbestimmt Weihnachten – ohne Kinderaugen, Ironie oder | |
> Larmoyanz? Die Antwort heißt: Erdmöbel. | |
Bild: Vielleicht ist das Weihnachten, schreibt unser Autor: kein Zwang, kein Ri… | |
Erst aßen wir Leberkäse mit Kartoffelsalat, dann sangen wir „Stille Nacht�… | |
und als ich es kaum noch aushielt, brachte mir das Christkind ein Trikot | |
von Günter Netzer. Da war ich im Himmel. Wenige Jahre später sprang ich | |
kurz nach der Bescherung auf, um mich mit den Jungs zum ironischen | |
Distanzbesäufnis zu treffen. Dann zeterte ich ein Jahrzehnt über den | |
Konsumwahnsinn und suhlte mich in Fluchtfantasien. Dann sah ich Weihnachten | |
durch die Augen meiner Kinder. Sie leuchteten wirklich, und das war gut. | |
Aber was tun, wenn die Großkinder jetzt nach der Bescherung wegrennen? Noch | |
immer habe ich kein intellektuell erarbeitetes Modell eines | |
selbstbestimmten, erwachsenen Weihnachtens. | |
Und nun höre ich „Geschenk“, das neue Weihnachtsalbum der Kölner Band | |
Erdmöbel. „Ding ding dong (Jesus weint schon)“, „Fräulein Frost“, | |
„Lametta“, „Der letzte deutsche Schnee“: Hits, Hits, Hits. Vor allem: D… | |
ist weder Traditionsimitation noch die übliche Konsumdosis Konsumkritik. Es | |
ist auch nicht ironische Distanzierung. Die solitäre Kunst dieser Band | |
besteht darin, knapp neben den tradierten Wegen von Rock und Pop im Hörer | |
Stimmungen entstehen zu lassen, die man sich selbst nicht zugetraut hätte | |
und die man nicht kannte, weil sie nicht auf die Vergangenheit verweisen, | |
sondern neu sind. Konkret: Ich kriege beim Zuhören Lust auf Weihnachten. | |
Was ist da passiert? | |
Ich rufe Markus Berges an, den Sänger und Lyriker von Erdmöbel, und frage | |
ihn, was er da wieder gemacht hat. Er lacht. „Das ist das, woran wir | |
arbeiten: ein möglichst starkes emotionales Erlebnis und gleichzeitig ein | |
fragendes Gefühl.“ | |
## Eine Feier des lebensbejahenden Gefühls | |
Er ist 48 und auch in der fortgeschrittenen Familienvaterphase. Davor hatte | |
er eine Egal-Phase, und früher in Münster hatten sie eine große Discoparty | |
nach der Bescherung. Die hieß „Scheinheilige Nacht“, weshalb er nicht | |
hinkonnte, weil ihm die 80er-Ironie schon damals auf den Sack ging. „Diese | |
unromantische Form von Ironie führt zu nichts“, sagt er. Erstens sei sie | |
Scheindistanz, zweitens verhindere sie, sich richtig zu amüsieren. | |
Erdmöbel-Weihnachten sei eine „Feier, die den ganzen Zucker von Weihnachten | |
beinhaltet, den Stress außen vorlässt und das Leichte betont“. | |
Zucker klingt nach Kitsch? „Wir wollen keinen Kitsch, wir wollen selber nie | |
kitschig sein, aber so nah herangehen, wie es geht, und dann auf dem Grat | |
balancieren“, sagt Berges. Und, weiß Gott, das tun sie. Das Video der neuen | |
Single „Goldener Stern“ ist in dieser Hinsicht ein Meisterwerk. Worte, Töne | |
und Bilder verweben sich immer mehr zu einer Stimmung. Es ist eine Feier | |
menschlicher Beziehungen, unserer Kinder und eines Lamas (die Irritation). | |
Vor allem ist es eine Feier des lebensbejahenden Gefühls. | |
Und vielleicht ist das Weihnachten: kein Zwang, kein Ritual, kein Jesus, | |
keine Distanzierung, kein Gänsebraten. Nicht die Sehnsucht, wieder | |
abhängiges Kind zu sein, sondern das Gegenteil: eine aufgeklärte, | |
erwachsene Empfindsamkeit. | |
Das Universum ist leer, und das ist auch gut so. Nichts fällt vom Himmel, | |
der Stern liegt schon am Boden. Man muss ihn aufheben, wie das Mädchen in | |
dem Video – und dann einem anderen in die Hand legen. Die Magie des Lebens | |
ist der Moment, in dem ein Mensch berührt wird – sogar einen anderen | |
berühren kann. Gleich muss ich heulen. | |
23 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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