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# taz.de -- Karen Duves neuer Roman übers Taxifahren: Zwodoppelvier antwortet …
> Taxifahrerin am Rande des Nervenzusammenbruchs: Karen Duve erzählt von
> Fahrgästen und Droschkenkutschern im Hamburg der Achtzigerjahre.
Bild: Schriftstellerin Karen Duve.
Kaum eine Autorin und kaum ein Autor vermag dem Leser ein so sattes Gefühl
der schlechten Laune zu vermitteln wie Karen Duve. Mancher, der ihr Debüt
"Regenroman" (1999) las, wird sich noch heute beim puren Gedanken an
Nacktschnecken ekeln. In ihrem zweiten Roman "Dies ist kein Liebeslied"
(2002) fand sich viel Anschauungsmaterial darüber, wie kaputt
Mann-Frau-Beziehungen und emotionale Bindungen überhaupt sein können. Und
auch in Karen Duves aktuellem, gerade erschienenem Roman "Taxi" ist einiges
drin.
"Wer kein Taxifahrer ist, ahnt ja gar nicht, wie viele Verrückte und
ambulant Schizophrene frei herumlaufen. Und dann der Schmutz.
Unvorstellbar, wie viel Dreck die Fahrgäste jede Nacht in mein Taxi
schleppten. Ich fragte mich, wo der herkam, der ganze Dreck; ob der den
Leuten aus der Tasche fiel oder vom Körper bröselte oder wie." Mit so einer
Studie in Menschenhass wird der Leser gleich ziemlich am Anfang des Buches
auf das Kommende eingestimmt.
Die Ich-Erzählerin fährt also Taxi. Es sind die Achtzigerjahre. Das Ganze
spielt auf den Straßen Hamburgs, und wer bei diesem Setting gleich
Sequenzen aus Martin Scorseses Film "Taxi Driver" vor das innere Auge
kriegt, liegt nicht ganz falsch. Das Geld liegt auf der Straße - mit so
einem Spruch wurde einst in Kleinanzeigen um neue Taxifahrer geworben (ja,
auch der Rezensent hat wie Karen Duve selbst eine Taxifahrer-Episode in
seiner Biografie aufzuweisen). Auf der Straße zeigt sich aber auch die
Rückseite der Gesellschaft. Das ist so, wenn Robert De Niro bei Martin
Scorsese mit nervösem Blick durch die mean streets Manhattans fährt. Das
ist auch bei Karen Duve so: Rotlichtbezirke, Sozialelend, der alltägliche
Versuch, seinen Mitmenschen um ein paar Mark zu bescheißen. Nur dass die
Autorin ihrer Protagonistin dann auch noch die - bittere - Selbstbefreiung
durch ein Attentat verweigert.
Das Ergebnis bei Karen Duve fällt ambivalent aus. Wer dieser Autorin im
Besonderen oder sogar der gegenwärtigen deutschen Literatur im Allgemeinen
sein Wohlwollen ausdrücken möchte, findet in diesem Roman viele Anlässe
dazu. Denn Karen Duve kann viel. Sie kann in zwei, drei Absätzen die
Episode einer menschlichen Begegnung erzählerisch hervorzaubern - was bei
einem Taxiroman, in dem naturgemäß viele menschliche Begegnungen im
Episodischen verbleiben, von großem Vorteil ist. Und so wird man nach der
Lektüre viele Episoden im Gedächtnis behalten. Etwa die von dem
Businessman, der die Taxifahrerin erst zwingt, bei einer hilflosen Person
auf die Ankunft der Polizei zu warten, und dann, als ihm die Sache zu lange
dauert, ohne schlechtes Gewissen ein anderes Taxi zur Weiterfahrt nimmt -
ohne der Taxifahrerin auch nur eine Mark des bis dahin aufgelaufenen
Fahrtgeldes zu bezahlen. Oder die Episode von der Prostituierten, die
einmal fast von ihrem Zuhälter losgekommen wäre, sich dann aber doch nicht
zur Flucht entscheiden kann. Entscheidungsschwäche ist bei dieser Autorin
sowieso das herausragende Merkmal, das vor allem ihre weiblichen Figuren
auszeichnet.
Das gilt auch für die Ich-Erzählerin. Karen Duve kann bei ihr nämlich auch
ganz wunderbar das Gefühl für das Verhängnis eines Lebens vermitteln, das
nicht von der Stelle kommt - bis zu dem ebenso lakonischen wie großartig
niederschmetternden Satz, der ziemlich genau in der Mitte des Romans steht:
"Und dann waren fünf Jahre um und ich fuhr immer noch Taxi." Die ganze
Schicksalsergebenheit, aber auch die untergründig schwelende Panik eines
verunglückenden Lebenslaufs kann man aus diesem Satz herauslesen. Und Karen
Duve kann den Leser auch die ganze Zeit über mit immer wieder geglückten
Einzelbeschreibungen und einer Dramaturgie der schnellen Szenenwechsel bei
der Stange halten. Es gibt von der ersten bis zur letzten Seite keinen
Augenblick, bei dem man nicht wissen wollte, wie die ganze Sache
weitergeht.
Aber was Karen Duve nicht kann: aus diesem ganzen großartigen Material an
Szenen, Figuren und Episoden eine wirklich überzeugende Geschichte formen.
Immer wieder stehen unverbundene Einzelaspekte sperrig in dem Roman herum.
Eben gerade noch hat die Erzählerin dem Leser beigebracht, dass
"Zwodoppelvier" - wie das alte Mercedes-Taxi der Ich-Erzählerin in der
Funkkennung genannt wird - in der Hamburger Taxi-Szene inzwischen zur
Legende geworden ist (warum, erfährt man allerdings nicht so richtig); da
fährt die Ich-Erzählerin plötzlich einen VW-Jetta. Was hätte man
erzählerisch alles aus so einer Entromantisierung machen können! Es gibt
noch mehr solcher angerissenen, aber nicht ausgeführten Erzählelemente:
Kanuausflüge etwa, das Verhältnis der Erzählerin zu ihrer Familie, auch das
Verhältnis der Taxifahrer untereinander. Bis auf die Gruppe um die
Hauptfigur herum bleibt das skizzenhaft.
Dann die männlichen Figuren. Da ist Dietrich. "Ich wollte auf gar keinen
Fall einen Freund", sagt die Ich-Erzählerin an einer Stelle. Aber da sie
einerseits, sagt sie selbst, gut aussieht, andererseits nicht nein sagen
kann, hat sie eben bald eine quälend autistische Beziehung mit Dietrich,
die sich fast das ganze Buch über hinzieht. Dietrich ist auch Taxifahrer,
aber auch Künstler; er malt und fotografiert, aber auch daraus macht Karen
Duve nicht viel. Es geht ihr erkennbar stets nur darum, ihn als
Spiegelfigur zur entscheidungsschwachen Ich-Erzählerin zu schildern.
Dann gibt es noch Majewski, den Draufgänger und Frauenheld, und Marco, den
Kleinwüchsigen, der so gut küssen kann. Komplementärfiguren, die über ihre
dramaturgische Funktion hinaus Abziehbilder bleiben: mit zwei, drei
Strichen charakterisiert, ansonsten blass. Es liegt etwas zutiefst
Narzisstisches in dem, wie Karen Duve ihre Ich-Erzählerin anlegt. Fast jede
Szene läuft auf die Pointe heraus, was ihr dabei gerade wieder widerfährt
und wie sie sich dabei fühlt. Horizont und Kontext bleiben dabei zumeist im
Vagen. Oft hat man zudem beim Lesen das Gefühl, als ob Karen Duve sich
stark mit dem Leser verkumpeln wolle. Als solle man ständig denken: Ach,
das war ja mal wieder scheiße, was der Erzählerin da passiert ist. Und:
Ach, da hat sie sich ja selbst mal wieder total bescheuert verhalten. Noch
schlimmer als den männlichen geht es bei alledem übrigens den weiblichen
Figuren. Die sind entweder genauso entscheidungsschwach und emotional
hilflos wie die Erzählerin. Oder sie haben Krebs.
Wie ist sie denn nun eigentlich, diese junge Frau, die in den
Achtzigerjahren Taxi fährt, zwischen verschiedenen Männern hin und her
eiert und aus ihren Leben nichts Rechtes zu machen versteht? Man weiß es
eigentlich bis zum Schluss nicht. Nun gut, sie weiß es selbst nicht;
allmählich steuert die Erzählerin in eine schwelende Depression hinein, ein
dämmerndes Leben, das mit sich nichts anzufangen weiß und in das nur
Bewegung kommt, wenn es um die Befriedigung sexueller Bedürfnisse oder um
die Notwendigkeit geht, Geld für die Miete zu verdienen.
Und nun kommt der Hauptvorwurf gegen Karen Duve: Das hätte ein
ergreifender, lebensnaher und kluger Roman über die Achtzigerjahre werden
können. Oder aber ein genaues Psychogramm, das Drama einer gut aussehenden
Frau, die mit den Erwartungen der Umwelt nicht fertig wird. Oder aber auch
wirklich ein grandioser Taxifahrerroman mit der Schönheit von
Sonnenaufgängen nach durchfahrenen Nächten und der immer wieder
enttäuschten Sehnsucht, dass sich mit dem nächsten Fahrgast ja wirklich
etwas ereignen könnte. Aber so wie ihre Erzählerin, so konnte sich auch die
Autorin Karen Duve nicht recht entscheiden. Von allem ist es ein bisschen
geworden, und das heißt: von nichts ganz. Karen Duve klebt viel zu sehr an
ihrer Erzählerin, um ihre Geschichte wirklich souverän gestalten zu können.
Der wirklich missratene Schluss des Romans ist der Autorin eben nicht
zufällig unterlaufen, er ergibt sich vielmehr ganz folgerichtig aus den
Leerstellen des Vorangegangenen. Karen Duve muss einen Deus ex Machina in
Gestalt eines Schimpansen aus dem Hut zaubern, mit ihr inszeniert die
Ich-Erzählerin eine überstürzte Flucht, die natürlich in einem
Taxi-Totalschaden endet: Zwodoppelvier antwortet nicht mehr. Anders hätte
Karen Duve sie aus ihrem Dämmerzustand nicht mehr herausgekriegt; die
Erzählerin muss das Taxi schon gegen die Wand fahren, um ihrem Leben eine
neue Richtung zu geben (ganz von fern sind hier dann doch Anklänge an das
Attentat aus "Taxi Driver" zu vernehmen). So ist im Ende wenigstens so
etwas wie eine Entwicklung der Geschichte erreicht, aber sie ist nur
simuliert und nicht hergeleitet. Dabei sind in dem Roman einige Punkte
angelegt, von denen aus man die Geschichte hätte weiterentwickeln können.
Die Erzählerin liest, manchmal ist ihr ihr eigener Selbst-, Frauen- und
Menschenhass auch ganz klar. Aber solche Augenblicke gehen im grau in grau
erzählten Fluss der Anekdoten unter.
Schade. Denn Karen Duve kann ja wirklich viel. Es hat sich zuletzt in der
Literaturkritik ein sehr wohlwollender Ton gegenüber aktuellen deutschen
Romanen durchgesetzt. Wenn etwas beklagt wird, dann gelegentlich nur
fehlende Gegenwärtigkeit und mangelhafte Welthaltigkeit. In diesen beiden
Punkten gibt es an dem Roman "Taxi" nichts zu meckern: Randvoll ist dieses
Buch mit Erfahrungen, die man in den Achtzigern als Taxifahrerin machen
konnte. Und so kann man das Glas immerhin als halb voll ansehen. Aber was
man beklagen kann, ist ein fehlender Wille zur Durcharbeitung und zur
literarischen Gestaltung dieser Erfahrungen. Und das macht im Ganzen
diesmal doch nervige schlechte Laune. In gewisser Weise ist "Taxi" das
literarische Dokument einer Arbeitsverweigerung: Karen Duve begnügt sich
damit, zu einer literarischen Marke zu werden. Der Taxifahrerinnenroman der
Achtzigerjahre ist noch immer nicht erzählt.
12 May 2008
## AUTOREN
Dirk Knipphals
Dirk Knipphals
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