Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Roman von Karen Duve: Edles Fräulein in Herzensnöten
> Die „Jugendkatastrophe“ der Droste-Hülshoff: Karen Duve macht eine
> historische Liebesintrige zum Zentrum ihres neuen Romans.
Bild: Annette von Droste-Hülshoff, porträtiert von Johann Joseph Sprick, 1838
Als die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff 23 Jahre alt war, erlebte sie
etwas Schreckliches. Man schrieb das Jahr 1820. Das westfälische
Freifräulein hatte sich in einen Bürgerlichen verliebt, den
Langzeitstudenten und Möchtegernliteraten Heinrich Straube.
Dieser war ein Studienfreund von Annettes nur um wenige Jahre älterem Onkel
August von Haxthausen. Die auffallende Nähe zwischen Annette und Heinrich
dürfte ihrer Umgebung zunehmend ein Dorn im Auge geworden sein, denn eine
Verbindung zwischen Adel und Bürgertum galt in der Familie, und überhaupt,
als tabu. Und so fanden sich Annettes Verwandte bereit, mitzuspielen bei
einer Intrige, die ein Studienfreund von Haxthausen, August von Arnswaldt,
anzettelte.
Der gutaussehende Arnswaldt flirtete intensiv mit der jungen Frau, brachte
sie dazu, sich zu ihm hingezogen zu fühlen und sich in einem schwachen
Moment sogar dazu zu bekennen – um sie anschließend dem ahnungslosen
Heinrich Straube gegenüber als untreu und verlogen darzustellen und jeden
weiteren Kontakt zwischen beiden zu unterbinden. Damit war die junge Liebe
noch im Keim zum Sterben verdammt (Heinrich heiratete später eine andere;
Annette heiratete nie), und in der Familie war die Dichterin erst einmal
unten durch.
Karen Duve hat diese sogenannte „Jugendkatastrophe“, dieses schicksalhafte
Moment aus dem Leben der Droste herausgegriffen und drumherum einen Roman
fabuliert, der nicht vorgibt, 100-prozentige historische Authentizität für
sich gepachtet zu haben, der aber das frühe 19. Jahrhundert ausgesprochen
munter aufleben lässt.
Das liegt nicht zuletzt an der liebevollen Aufmerksamkeit, die Duve
zahlreichen Details des alltäglichen Lebens widmet. Zum Beispiel bekommt
man einen guten Eindruck davon, wie beschwerlich anno dazumal das Reisen
gewesen sein muss. Vor allem in Westfalen, wo man, wenn die Schilderungen
im Roman auch nur annähernd stimmen, nicht in der Lage gewesen zu sein
scheint, Straßen ordentlich zu befestigen.
## Überschaubarer sozialer Kosmos
Geradezu genüsslich führt die Autorin vor allem in der ersten Hälfte des
Romans immer wieder Szenarien vor, die um Leib und Leben der
Transportierten fürchten lassen. Wege versinken im Matsch, auf steilen
Pisten haben Kutschen keine Bremsen, und einmal klafft gar ein riesiges
Loch in der Straße, so dass die Pferde abgespannt werden müssen und die
Reisenden zu Fuß weitergehen. Nur der etwas schwächliche Wilhelm Grimm
bleibt an einen Baumstamm gelehnt sitzen und hängt versonnen seinen
Gedanken nach, während er auf ein Folgegespann wartet, das ihn abholen
soll.
Die Brüder Grimm, vor allem eben Wilhelm – über den sich Annette oft lustig
macht, während ihre Schwester Jenny wohl etwas unglücklich in ihn verliebt
ist –, gehören zu der wiederkehrenden Entourage von Leuten, die sich im
Dunstkreis der Droste-Hülshoffs bewegen. Genau betrachtet besteht die
Romanhandlung, die mit allem Drum und Dran etwas über ein Jahr umfassen
mag, vor allem in der Schilderung zahlreicher Besuche, die Menschen bei
anderen Menschen machen, und der Wege, die dafür zu bewältigen sind. Das
ist erstaunlich kurzweilig. Die Schilderung der eigentlichen Intrige und
großen Krise macht einen eher geringen Teil des Buches aus, muss sie doch
ordentlich hergeleitet und eingebettet werden in den größeren Kontext.
Dieser größere Kontext allerdings war für Annette von Droste-Hülshoff ein
äußerst überschaubarer sozialer Kosmos. Etliche Szenen des Romans spielen
zwar in Göttingen, wo August von Haxthausen, Arnswaldt und Straube
studieren, über das „Altdeutsche“ philosophieren (man war unter Studiosi
dezidiert anti-napoleonisch eingestellt) und eine Zeit lang eine
literarische Zeitschrift namens Die Wünschelruthe herausgeben. Aber diese
Studentenwelt ist natürlich eine rein männliche.
Annette und ihre Schwester Jenny (eine begabte Malerin) sind derweil auf
Burg Hülshoff oder dem Gut der Großeltern oder auf irgendeinem anderen
verwandtschaftlichen Schloss mit Handarbeiten oder – im Falle von Jenny –
dem Sammeln von Märchen für Wilhelm Grimm beschäftigt. Annette betreibt,
wie es sich gehört, mit den anderen Damen allerlei zierliche Stickerei,
zieht aber eigentlich lieber mit dem Mineralisierungshammer in die
Landschaft, um nach besonderem Gestein zu suchen.
## Tragödie auf ganzer Linie
Vonseiten der Familie wird diese Neigung mit Misstrauen betrachtet, fast so
sehr wie ihre aus dem Rahmen fallende literarische Begabung, die man lieber
etwas unter dem Deckel hält. Insbesondere dem jugendlichen Onkel August von
Haxthausen, der eigene literarische Ambitionen verfolgt, ist das Schreiben
der allzu brillanten Nichte suspekt. Unbestritten bleibt dagegen Annettes
musikalisches Talent – im Roman wird unter anderem ihr erster öffentlicher
Auftritt als Sängerin beschrieben. Leider ist dabei allzu deutlich zu
merken, dass die Musik für Autorin Duve fremdes Terrain darstellt (in
Wirklichkeit gab es auch im 19. Jahrhundert weder ein Intervall namens
„halbe Oktave“ noch einen „Moll-Ton“).
Das Leben der jugendlichen Annette von Droste-Hülshoff würde sich auch als
bittersüßes Melodram erzählen lassen oder als (nicht-bürgerliches)
Trauerspiel. Hochbegabte junge Frau, aufgrund repressiver
gesellschaftlicher Erwartungen radikal in ihren Entfaltungsmöglichkeiten
beschränkt, wird nicht nur um die verdiente öffentliche Anerkennung als
Künstlerin betrogen (die erste Veröffentlichung gestattete die Familie
erst, als die Dichterin schon über vierzig war), sondern auch um ihre
möglicherweise einzige Chance auf gelebte Liebe. Wenn das keine Tragödie
auf ganzer Linie ist.
Karen Duve aber erzählt das Ganze als historische Gesellschaftsfarce; oder
als Tragikomödie, deren komischer Anteil vor allem in der amüsierten Ironie
des Erzähltons liegt. Die distanzierte Haltung zum Geschehen, die darin zum
Ausdruck kommt, spiegelt nicht nur den Abstand der Jahrhunderte wider, der
zwischen der Autorin beziehungsweise uns allen und ihren Figuren liegt,
sondern beugt auch einer sich naiv mit den Charakteren identifizierenden
Lesehaltung vor. Alle Romanfiguren sind zwar einst lebenden Personen
nachempfunden, aber natürlich keinesfalls mit ihnen identisch.
## Vom steinernen Sockel geholt
Zu dieser ironischen Distanzierung gehört auch, dass Duve keine Anstalten
macht, den Sprachduktus groß an damalige Sprechgewohnheiten anzugleichen.
Hier und da lässt sie eine antiquierte Wendung einfließen, und zudem ist
stark anzunehmen, dass die Briefe und Gedichte (nicht nur Annettes), die
sie zitiert, sämtlich Originaldokumente sind, doch im Großen und Ganzen ist
sowohl der Erzählton des Romans als auch die gesprochene Sprache der
Figuren ganz heutig im ehrlichen Duve-Sound gehalten. Es ist derselbe
lakonische, stets klar zur Sache kommende, mitunter etwas schnoddrige
No-bullshit-Gestus, der für ihr Schreiben so charakteristisch ist.
Duves Figuren wiederum charakterisieren oder entlarven sich in der Regel
nicht durch die Art, wie sie sprechen, sondern durch das, was sie sagen.
(Das ist im Übrigen wohl bei den allermeisten AutorInnen so, doch fällt es
hier, wo [1][der Duve-Sound] auf historisches Ambiente trifft, halt mehr
auf.) Im Erzähltext selbst allerdings ist diese Erzählhaltung manchmal so
grundentspannt, dass sich sogar einzelne Anglizismen eingeschlichen haben,
die nun wirklich nicht hineingehören. Der Satz „Ein Versagen gehörte nicht
zu den Optionen“ zum Beispiel klingt so, als hätte Google ihn direkt aus
dem Englischen übersetzt. Zu schreiben „Bei der steinernen Bank pickten sie
Clemens von Hülshoff auf“ ist dann nicht mal mehr schnoddrig, sondern
schlampig, weil nicht Deutsch, sondern Denglisch. (Und zeigt wohl, dass
auch die Besten unter uns mitunter zu viel Netflix gucken.)
Aber Krittelei beiseite angesichts des Dienstes, den Karen Duve mit diesem
Roman der deutschen Literatur(-geschichte) erweist. Sie holt „die Droste“
und ihre Zeitgenossen von den diversen steinernen Sockeln, auf welche die
Zeit sie gestellt hat, und zeigt sie als – fehlbare, verschrobene,
inspirierende – Menschen von Fleisch und Blut, so wie sie gewesen sein
könnten. Ja, die Geschichte von Annette, der verkannten genialen
Jungdichterin, und dem bigotten Typen, der ihr so übel mitgespielt hat, die
kann sich sehr gut ganz genau so abgespielt haben, wie Karen Duve sie hier
imaginiert hat.
Die Empörung der Autorin über die himmelschreiende Ungerechtigkeit, die
Annette von Droste-Hülshoff damals widerfuhr, ist deutlich zu spüren. So
amüsant das alles sein mag, so ironisch der Stil, so weit die historische
Distanz: Man kann beim Lesen gar nicht anders, als diese Empörung aus
vollem Herzen zu teilen.
14 Oct 2018
## LINKS
[1] /!t5275379/
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Karen Duve
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2024
Frankfurt/Main
Karen Duve
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Karen Duves „Sisi“-Roman: Auch zu Pferde hervorragend frisiert
Karen Duve hat Elisabeth von Österreich einen vielschichtigen Roman
gewidmet. Er zeigt die Kaiserin als Person voller Ambivalenzen.
Rückblick auf die Buchmesse: Themensatt und untergründig
Debüt, Skandalaufregung, Genieverdacht und, zack, da ist die
Aufmerksamkeit? Die Frankfurter Buchmesse hat gezeigt, dass das so nicht
mehr läuft.
Wutliteratur von Karen Duve: Im Keller ist kein Ponyhof
Das Einzige, was blüht, ist der Raps: „Macht“ liefert das Porträt eines
frauenhassenden Psychopathen in einer Welt kurz vor dem Untergang.
Buch über den globalen Kollaps: Jeder weiß es, keinen interessiert's
Karen Duve warf ihren neuen Roman ins Eck und schrieb ein Sachbuch über das
bevorstehende Ende der Menschheit. Was ist los mit der Autorin?
BEGEGNUNG: Winterreise zu einer anständigen Esserin
Welche große Schriftstellerin rennt schon einem Maultier hinterher? Ein
Ausflug zu Karen Duve
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.