# taz.de -- Die Streitfrage: „Man muss über alle Götter lachen“ | |
> Soll man über höhere Wesen und ihre Propheten Witze machen? Ja, denn | |
> keine Unsterblichkeit währt ewig, schreibt der Autor Ralf Husmann. | |
Bild: Welcher Riegel war mal ein Gott? Der linke oder der rechte? | |
In seinem Film „Paradies: Glaube“ zeigt der österreichische Regisseur, | |
Drehbuchautor und Produzent Ulrich Seidl eine beharrlich missionierende | |
Katholikin. In der Darstellung ihrer Lebenswelt wählt der Filmemacher | |
drastisch-harte und dunkel-humoristische Methoden – was neben diversen | |
Auszeichnungen eine Anzeige wegen Blasphemie durch die italienische, | |
katholische Organisation „NO 194“ zur Folge hatte. Der NO-194-Präsident | |
meinte, Seidl habe „zwei Milliarden Christen auf der Welt beleidigt“. | |
Immer wieder führt Spott über Religionen zu einer Debatte – und oft auch zu | |
schweren Ausschreitungen. Als die dänische Tageszeitung Jyllands-Posten | |
2005 eine Serie von zwölf Karikaturen über den islamischen Propheten | |
Mohammed veröffentlichte, kam es zu internationalen Protesten und | |
Todesfällen. | |
Die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo gehörte damals zu den | |
Blättern, die die kontroversen Karikaturen aus Verbundenheit nachdruckten, | |
noch erweitert um eigene Zeichnungen. Seit seiner Gründung bekennt sich das | |
religionskritische Magazin zu einer radikalen Form der Pressefreiheit und | |
ließ sich weder von einem Brandanschlag im November 2011 noch von einem | |
anschließenden Hack-Angriff und Droh-Mails einschüchtern. | |
Das von islamistischen Terroristen verübte Attentat auf die Charlie | |
Hebdo-Redaktion am 7. Januar 2015, bei dem insgesamt zwölf Menschen getötet | |
wurden, erschütterte die Welt. „Je suis Charlie“ wird seitdem auf vielerlei | |
Weise bekundet – jedoch ist auch die Verneinung dieser Aussage zu lesen und | |
hören, von Leuten etwa, die den Terroranschlag verurteilen, den Satirestil | |
von Charlie Hebdo aber ablehnen. | |
Eine Frage, die in Zusammenhang mit den aktuellen Geschehnissen erörtert | |
wird, ist: Muss man Religionen, ihren Leitfiguren und Anhängern, mit Witz | |
begegnen – und zwar gerade jetzt umso mehr, mit umso beißenderem, böserem | |
Witz? Oder muss man bei Witzen mit religiösen Inhalten Grenzen setzen? | |
## Witze können voller Wahrheit sein | |
„Wenn man solche Witze machen will, dann mit Respekt vor den Religionen“, | |
schreibt Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen | |
Kultusgemeinde München und Oberbayern, in der taz.am wochenende vom 17./18. | |
Januar 2015. „Witze können erfrischend sein, voller Wahrheit, aber auch | |
beleidigend oder volksverhetzend. Unser Grundgesetz macht die Vorgaben.“ | |
Die 82-Jährige ist überzeugt: „Wenn sich alle danach richten, wird jeder | |
gerne Witze hören und auch lesen.“ | |
Ulrich Seidl, der streng religiös erzogen wurde und eigentlich Priester | |
werden sollte, schreibt hingegen: „In Abwandlung eines Zitats von Ingeborg | |
Bachmann gilt: 'Der Witz ist dem Menschen zumutbar'. Und Religion darf hier | |
keine Ausnahme, kein Tabu sein.“ Für jede Religionsgemeinschaft sei es ein | |
Zeichen der Stärke, wenn sie das Witzeln über sich selbst aushalte. Und: | |
Zwischen Witze machen und Schmähen bestehe ein Unterschied. | |
Auch Rüdiger Weida, der Vorsitzende des Vereins „Kirche des fliegenden | |
Spaghettimonsters“, und der Drehbuchautor und Schriftsteller Ralf Husmann | |
sprechen sich dafür aus, dass man Witze über Religionen machen muss: | |
„Lachen ist natürlich, vertreibt die Angst und stellt Autoritäten in | |
Frage“, schreibt Weida. „Wo wäre das mehr angebracht als dort, wo erfundene | |
unfehlbare Götter ewige Wahrheiten verkünden und denen drohen, die sich | |
ihnen nicht fügen? Solche Dogmen sind nicht nur gesellschaftsschädlich, | |
sondern auch lächerlich. Im Namen der Freiheit müssen wir uns das Recht | |
vorbehalten, über Lächerliches auch zu lachen.“ | |
Husmann – Erfinder der TV-Serie „Stromberg“ – veranschaulicht seinen | |
Standpunkt in der taz.am wochenende vom 17./18. Januar folgendermaßen: | |
„Mars war früher ein Gott und ist heute ein Schokoriegel. Schwer zu sagen, | |
wie die aktuellen Götter so enden, aber warum soll es ihnen besser gehen, | |
als dem römischen Kollegen? Unsterblichkeit hat noch nie ewig gehalten. | |
Deswegen darf, ja muss man über alle Götter lachen. Und sämtliche | |
Religionen.“ Tue man dies nicht, bliebe „nur all das Elend, das sie seit | |
jeher über die Menschen gebracht haben.“ Und da höre der Spaß dann wirklich | |
auf. | |
## Es geht nicht um Empfindsamkeit, sondern um Macht | |
Auch die Autorin Karen Duve ist dagegen, Witze über Religionen zu | |
unterlassen: „Es einfach sein zu lassen, könnte als vorauseilender Gehorsam | |
missverstanden werden.“ Schon jetzt bildeten sich viel zu viele religiöse | |
Menschen ein, sie hätten einen Anspruch darauf, dass ihre „reichlich | |
seltsamen Welterklärungsmodelle von Jedermann mit tiefer Ehrfurcht und | |
Ernsthaftigkeit behandelt werden müssten.“ Duve findet, darin solle man sie | |
nicht auch noch bestärken. Es gehe weniger um Empfindsamkeit als um den | |
„Machtanspruch humorloser Rechthaber.“ | |
Der Psychologe und Soziologe Detlef Fetchenhauer, der sich als „Atheist und | |
überzeugter Liberaler“ bezeichnet, sieht ein „Klima der gegenseitigen | |
Toleranz“ als Ziel: „Man sollte als Atheist Religion nicht bekämpfen, indem | |
man sich über sie lustig macht. Was aber auch gilt: In einer offenen | |
Gesellschaft müssen religiöse Menschen damit leben, dass ihre Überzeugungen | |
nicht Grundlage der säkularen Ordnung sein können. Wer dies nicht | |
akzeptiert, sollte auch mit Spott und Satire auf seine demokratischen | |
Defizite aufmerksam gemacht werden.“ | |
Die Streitfrage „Muss man über Religionen Witze machen?“ beantworten | |
außerdem die Politikwissenschaftlerin und SPD-Politikerin Gesine Schwan, | |
der Regisseur und Drehbuchautor Dietrich Brüggemann („Kreuzweg“), der | |
Professor für Islamische Religionspädagogik Mouhanad Khorchide sowie die | |
taz-Leserin Kerstin Schürfeld – in der taz.am wochenende vom 17./18. Januar | |
2015. | |
17 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Köhnemann | |
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