# taz.de -- Alte Videos von Charlie Hebdo: Fatwa aus dem Nonsens-Büro | |
> Lustige, kollegiale Alberei und doch tieftraurig: Im Netz zeigen alte | |
> Clips den Alltag beim französischen Satiremagazin Charlie Hebdo. | |
Bild: Der getötete Zeichner Charb in einer Dschihadisten-Persiflage. | |
Es wird viel gelacht, geblödelt, gestikuliert – und, natürlich, derb | |
ausgeteilt. Die Redaktionsräume der französischen, links-atheistischen | |
Satirezeitschrift Charlie Hebdo, eingefangen mit einer Videokamera in den | |
Jahren 2011 bis 2014, erscheinen wie ein Ort der kollegialen Alberei und | |
der beißenden Satire. | |
Auf der Plattform Dailymotion geben der am 7. Januar 2015 getötete | |
Chefredakteur Stéphane Charbonnier (Künstlername: „Charb“), der Zeichner | |
Renald Luzier („Luz“) und weitere Redaktionsmitglieder in kurzen Videoclips | |
Einblick ins Büroleben des Wochenblatts. | |
Im Video 1008 („nouveaux locaux“), aufgenommen von einer manchmal | |
kichernden Filmerin, führt Luzier durch das mit Gerümpel angefüllte | |
Großraumbüro, präsentiert Regale, in denen eine Unmenge an Büchern, | |
Katalogen, Ordnern und Kartons untergebracht ist, ehe er gemeinsam mit | |
Charbonnier eine Art von Improvisationssketch aufführt: Luzier, der viele | |
Titelblätter von Charlie Hebdo gezeichnet hat, wird vom Chefredakteur mit | |
einer Sackkarre abtransportiert, da die Arbeit an Seite 1 getan ist. Es | |
folgt eine gescheiterte Wegsperraktion, ein veritables Durchknallen des | |
Zeichners – und jede Menge dialogischer Unsinn. | |
Veröffentlicht wurde der Clip am 11. Oktober 2011 – nur wenige Wochen vor | |
dem Brandanschlag, der am 2. November auf die Redaktionsräume des Magazins | |
am Boulevard Davout in Paris verübt wurde. Das Charlie-Hebdo-Team hatte die | |
Räume erst im April 2011 neu bezogen. Verletzt wurde bei dem Anschlag | |
niemand, das zweistöckige Büro mit sämtlichem Equipment wurde jedoch völlig | |
zerstört. Zwar gab es keinerlei Bekenntnis zu der Tat, es gilt aber als | |
wahrscheinlich, dass religiöse Fanatiker das Erscheinen des Sonderhefts | |
Charia Hebdo (mit Mohammed als „Gast-Chefredakteur“) verhindern wollten. | |
Das Video „fatwa contre les guillemets!“ stammt noch aus früheren Zeiten; | |
es wurde am 11. Februar 2011 hochgeladen. Darin malt Luzier bei der | |
Erklärung eines Sachverhalts immer wieder mit demonstrativ großer Geste | |
Anführungszeichen in die Luft – was den ins Bild tretenden Charbonnier zu | |
einer fulminanten Wutrede über die Vier-Finger-Formung von | |
Anführungszeichen animiert. | |
Er zeigt die Lächerlichkeit dieser Geste auf, indem er das Prinzip unter | |
anderem auf runde und eckige Klammern und das Semikolon überträgt. Der Clip | |
gipfelt in einer „Rhythm of the Night“-Performance von Luzier, die der | |
Darstellung einer geschwungenen Klammer dienen soll. | |
Das Video „JIHAD: L'appel qui inquiète l'Occident“, veröffentlicht am 25. | |
April 2014, ist ein Beispiel für den drastischen Satirestil des Magazins. | |
Charbonnier schlüpft darin in die Rolle des Konvertiten Abdelkader Ben | |
Charmouta. Der Mann im Camouflage-Look stellt sich vor und erzählt von | |
seinem früheren Leben, als er noch Steven Troudech hieß und ein | |
„Ungläubiger“ war. Er habe nichts als Dummheiten begangen, Apfelwein und | |
Coca-Cola getrunken, Schweinefleisch verspeist, sich schlecht gegenüber | |
seiner Mutter verhalten und die ganze Nacht Videospiele gespielt. | |
Nun aber habe er den wahren Glauben gefunden. Stolz berichtet er über die | |
Straftaten, die er jetzt im Namen Allahs begehe und lädt dazu ein, mit ihm | |
in den „guerre sainte en Syrie“ zu ziehen. | |
Diese Form der religiösen Satire muss keinem gefallen. Man kann sie als | |
infantil, auch als verletzend empfinden. Es ist aber auch das, wofür | |
Charlie Hebdo berühmt-berüchtigt war und wohl auch bleiben wird – und das, | |
was man in einem Umfeld der Meinungsäußerungsfreiheit dürfen muss, ohne | |
dabei um sein Leben zu fürchten. | |
Charlie Hebdo hatte über Jahre nicht nur um das eigene ökonomische | |
Überleben gekämpft. Konflikte um die redaktionelle Linie im Nachgang an die | |
Attentate vom 11. September 2001 spalteten die Redaktion in Anhänger und | |
Gegner des damaligen Chefredakteurs Philippe Val, dem manche „Islamophobie“ | |
unterstellten. Als Val die Redaktion 2009 verließ, atmeten einige auf, dass | |
nun Stéphane Charbonnier die Leitung des Blattes übernahm und „mit seinem | |
unglaublichen Humor“, wie eine Ex-Kollegin sich gegenüber der taz erinnert, | |
die internen Flügelkämpfe beendete. Charb, betont die Journalistin, die | |
sieben Jahre bei Charlie Hebdo gearbeitet hat, „ging es immer nur um die | |
Zeitung, er war sehr gefestigt, mitunter unerbittlich in seinen Positionen | |
und manchmal sogar politisch intolerant, aber sein Humor hat das wett | |
gemacht und vor allem war er immer bereit zum Dialog.“ | |
„Wir tun einfach unseren Job“, hatte der geschäftsführende Chefredakteur | |
Gérard Biard der Berliner Wochenzeitung Jungle World im November 2011 nach | |
dem Brandanschlag auf die Büroräume von Charlie Hebdo gesagt. Die Videos | |
auf Dailymotion zeigen, dass das Karikaturisten-Team um „Charb“ und „Luz�… | |
dabei augenscheinlich großen Spaß hatte. | |
Das Betrachten dieser Nonsens-Clips könnte nun, nach dem Terroranschlag auf | |
das Charlie-Hebdo-Büro in der Pariser Rue Nicolas-Appert am 7. Januar 2015, | |
tieftraurig stimmen – doch das wäre vermutlich so gar nicht im Sinne von | |
„Charb“, „Luz“ und all den anderen. | |
16 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Köhnemann | |
Heike Haarhoff | |
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