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# taz.de -- Nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“: Beginnt die Pegidisierun…
> Frankreich erholt sich nur langsam vom Schock der Morde. Die Angst vor
> den Islamhassern ist groß. Auch in den Nachbarländern.
Bild: Pegidisten in Düsseldorf
Auch eine Woche nach den Anschlägen läuft das politische Leben im Pariser
Regierungsviertel verlangsamt. Die Toten werden begraben, das Land steht
noch immer unter Schock. Pathetisch beschwört die französische Regierung
den „Geist des 11. Januar“ – als fast zwei Millionen Menschen gemeinsam
durch die Hauptstadt zogen, gegen den Terror und für die Meinungsfreiheit.
Vor den Attentaten war der sozialistische Präsident Francois Hollande auf
dem besten Weg zur obersten Witzfigur der Republik. Jetzt wachsen seine
Sympathiewerte. Sogar die konservative Zeitung Figaro, nicht für Milde
gegenüber der Linken bekannt, schreibt anerkennend über ihn. In Umfragen
loben fast 80 Prozent der Franzosen das gemeinsame Krisenmanagement von
Hollande und seinem Premierminister.
Am Dienstag sangen die Abgeordneten im Parlament gemeinsam die
Marseillaise. Einigkeit überall.
Doch wie lange hält der Zusammenhalt über die politischen Lager hinweg?
Nachdem die Abgeordneten die Nationalhymne gesungen hatten, ging es schon
wieder um neue Anti-Terror-Gesetze. Über die hätte man auch streiten
können. Vor den Anschlägen wirkte nicht nur das politische Paris tief
zerklüftet: Immer wieder war es auch zu Unruhen in Pariser Problem-Vierteln
gekommen, bei der Europawahl im Mai vergangenen Jahres holte der
rechtsextreme Front National 25 Prozent der Stimmen.
## „Lange wird das nicht halten“
Es ist jetzt viel die Rede von einem „davor und danach“, einer neuen Zeit,
die in der französischen Politik angebrochen sei. Ein hochrangiger Berater
der französischen Regierung formuliert es gegenüber der taz.am wochenende
vorsichtiger. Man befinde sich in einer Zeit des parteipolitischen
„Waffenstillstands“, sagt der junge Ministerialbeamte. Er lobt die
„Zurückhaltung und Mäßigung“, macht sich aber keine Illusionen. „Lange…
das nicht halten.“ Man könne nur hoffen, dass auf den Schock eine
niveauvolle inhaltliche Debatte folgen werde – und nicht das übliche, von
Schuldzuweisungen geprägte, parteipolitische Hickhack.
Für die Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 17./18. Januar 2015 hat
eine Team von Autorinnen für die taz.am wochenende versucht, der Stimmung
nachzuspüren, die die Anschläge in der zerbrechlichen Republik hinterlassen
haben. Sie haben dafür in Paris den besorgten marokkanischen Autor Tahar
Ben Jelloun getroffen und in einem Vorort von Nizza die wütende Muslima
Fatima Hmamou, die sich in Südfrankreich mit dem Front National
konfrontiert sieht.
Mehr als 50 Anschläge gegen Muslime oder ihre Einrichtungen hat das
französische Innenministerium in den wenigen Tagen nach den Anschlägen
gezählt. [1][Der Fernsehsender iTele] nennt für den Zeitraum 7. bis 15.
Januar die Zahl von insgesamt 83 islamfeindlichen Taten, darunter 23
direkte Übergriffe und 60 Drohungen, sei es per Brief oder mündlich.
Die Karte unten zeigt eine Auswahl der Angriffe auf Muslime in Frankreich,
wie sie [2][von] [3][französischen Medien] [4][zusammengetragen] wurden.
Je weniger sich die anderen Parteien anfeinden, desto leichter kann Marine
Le Pen mit ihrem Front National ihre Sonderrolle betonen. Wird der FN von
den Anschlägen profitieren? Die Sorge ist groß in Frankreich.
„Ich kann mir da wirklich vieles vorstellen“, räumt der Regierungsberater
im Gespräch mit der taz.am wochenende ein. Dass der FN zulegt, stabil
bleibt, verliert – alles ist gerade denkbar. Doch faszinierend sei
natürlich vor allem die letzte Option. Dass ausgerechnet der Front National
an Kraft verliere. „Die Idee der Republik war ziemlich angestaubt“, sagt
der Regierungsstratege. „Doch seit der großen Kundgebung am Sonntag wirkt
sie mit einem Mal wie frisch poliert. Man erkennt plötzlich wieder, was uns
alle zusammenhält – etwa die Laizität und die Brüderlichkeit.“ Er sieht
eine Bewegung zurück zu den politischen Wurzeln Frankreichs.
## Wie konnten sich die Terroristen aus dem Radar schleichen?
Auch [5][der Hashtag #jesuisahmed] lässt den Berater hoffen. Die
statistische Realität sei die Integration – das zeige der Fall des
getöteten Polizisten Ahmed Merabet, sagt der Beamte. Er hat sich früher
selbst intensiv mit der Integrationspolitik befasst. Merabets Tod sei
„totaler Zufall“ gewesen. Hätte es aber nur einen einzigen Muslim bei der
Pariser Polizei gegeben, dann hätten die Kugeln wohl eher keinen Muslim
getroffen.
Spärlich sickern neue Ermittlungsergebnisse oder Details zur Vorgeschichte
der Anschläge durch. Wer hat die Coups finanziert, wer das Waffenarsenal
beschafft? Die Polizei fahndet – bisher ohne Ergebnis – nach Komplizen.
Klar ist: Die Attentäter waren den französischen Sicherheitsbehörden gut
bekannt, Said und Chérif Kouachi wurden sogar mehrfach abgehört, über
Monate. Angeblich ohne, dass die Ermittler den Gesprächen irgendwelche
Hinweise auf Anschlagspläne entnehmen konnten. Die Telefonüberwachung
endete französischen Medienberichten zufolge im Sommer 2014. Also wenige
Monate vor den Attentaten. Die Terroristen schlichen sich aus dem Radar.
Wie konnte das passieren?
Auch Amedy Coulibaly war Terrorfahndern bekannt, erst im März 2014 kam er
aus dem Gefängnis frei, zunächst mit elektronischer Fußfessel. Kaum war er
die Fußfessel los, brach laut dem französischen Online-Medium Mediapart
auch das Interesse der Terrorfahnder an ihm abrupt ab.
## Wirklich nicht vermeidbar?
Die Attentäter hätten sich bewusst wie „Schläfer“ verhalten und so
„vergessen gemacht“, analysiert der frühere Chef des französischen
Inlandsgeheimdienstes, Bernard Squarcini. Er fordert mehr Befugnisse für
die Ermittler.
Bei aller Zurückhaltung der vergangenen Tage: Die französischen
Sicherheitsbehörden werden sich die Frage gefallen lassen müssen, ob diese
Anschläge wirklich kaum vermeidbar waren.
Über ihre Auswirkungen haben die Autorinnen der taz.am wochenende auch mit
dem niederländischen Historiker Zihni Özdil gesprochen. Die Niederlande
haben mit dem Mord an dem Regisseur Theo von Gogh ihr eigenes nationales
Trauma. „Alle Anstrengung, nach dem 11. September Differenziertheit und
Verstand in die Debatte über ‘den Islam’, Migration und Identität zu
bringen, können wir nach diesem Anschlag in den Mülleimer werfen“, glaubt
Özdil. Bitter schließt der bekannte Kolumnist in einem seiner jüngsten
Texte deshalb: „Lasst die Pegidisierung Europas beginnen".
Werden die Anschläge der islamkritischen Pegida-Bewegungen tatsächlich
helfen, aus Dresden herauszuwachsen? Sind die Islamhasser jetzt auf dem
Vormarsch? Oder zeigt die große europäische Einheit in den ersten Tagen
nach den Anschlägen nicht gerade das Gegenteil?
Diskutieren Sie mit!
Die Titelgeschichte „Die zerbrechliche Republik“ lesen Sie in der
[6][taz.am wochenende vom 17./18. Januar].
16 Jan 2015
## LINKS
[1] http://www.itele.fr/france/video/vague-dislamophobie-en-france-au-moins-83-…
[2] http://www.francetvinfo.fr/faits-divers/attaque-au-siege-de-charlie-hebdo/c…
[3] http://www.francetvinfo.fr/faits-divers/attaque-au-siege-de-charlie-hebdo/c…
[4] http://www.francetvinfo.fr/faits-divers/attaque-au-siege-de-charlie-hebdo/c…
[5] http://twitter.com/search?q=%23jesuisahmed&src=typd
[6] /taw
## AUTOREN
Astrid Geisler
David Sahay
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