| # taz.de -- Nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“: Beseitigt die Ghettos | |
| > Wer in Zukunft Anschläge wie die in Paris verhindern will, muss die | |
| > Banlieues auflösen. Das ist nicht die Aufgabe des Staates, sondern der | |
| > Bewohner. | |
| Bild: Nicht so schön hier, nicht wahr? | |
| Auch wenn es in Frankreich bessere Geheimdienste geben wird, mehr Polizei, | |
| eine stärkere Telefonüberwachung, eine größere Kontrolle des Internets, | |
| eine bessere Überwachung von Flugbewegungen, republikanische Schulen, die | |
| Bürgersinn lehren sowie eine Justiz, die erbarmungsloser gegen Terrorismus | |
| und Rassismus vorgeht: Man wird das „Niemals wieder so etwas!“ nicht | |
| bekommen, das man sich so sehr wünscht. | |
| Die einzige Lösung wäre, die Ghettos zu beseitigen – die auch als Vorstädte | |
| oder Viertel bezeichnet werden. Dieses brackige Bad, in dem Hunderttausende | |
| Jugendliche vegetieren und das das Gegenteil der aufgeklärten Welt ist, in | |
| der die meisten von uns leben. | |
| Dort ist jeder arabischer Herkunft, schwarz, Muslim und dieses | |
| Zurückgeworfensein auf sich selbst, die inzestuöse Konzentration des | |
| Gleichen erzeugt einen ekelerregenden Mikrokosmos, ein Ghetto eben, der ein | |
| und dieselbe Mentalität zum Gären bringt, ein und dieselbe | |
| Vorstellungswelt, eine und dieselbe Art zu leben – wenn man dieses denn | |
| Leben nennen kann. Die Arbeitslosenquote dort schlägt alle Rekorde, in der | |
| Schule wird nicht dieselbe Sprache gesprochen, das Elend regiert genauso | |
| wie Ausgebufftheit und Dealerei. | |
| Man hängt herum, hat nichts zu tun oder nicht viel, aber man ist „zu | |
| Hause“. Zu Hause auf diesem Territorium, auf das sich Polizisten nur selten | |
| vorwagen, wo Dealer an den Straßenecken warten (man kann zu ihnen gehen, | |
| für sie arbeiten und sich etwas dazu verdienen) und wo die Moschee, mehr | |
| oder weniger „heilbringend“, niemals weit ist. Natürlich findet dieses | |
| Milieu seine Fortsetzung in den Gefängnissen, in denen die Radikalsten | |
| einsitzen und wo dasselbe Gemisch aus Kriminalität, Drogen und Religion | |
| gedeiht. | |
| ## Schmelztiegel der Hoffnungslosigkeit | |
| Vielleicht ist das, was ich sage, nur ein Klischee. Ich weiß nichts über | |
| die „Vorstädte“, ich war nur drei oder vier Mal da, weil ich einen Freund | |
| habe, der dort wohnt. Aber ich habe den Eindruck, dass in diesem | |
| Schmelztiegel von Hoffnungslosigkeit, Verdruss und dem Gefühl des | |
| Ausgeschlossenseins, der radikale Islamismus ein einfaches Denk- und | |
| Wertesystem anbietet: Wir sind es, die in der Wahrheit leben; die anderen, | |
| vermögende Juden und Christen, sind nichts anderes als korrupt; auch auf | |
| die Gefahr hin zu sterben, lassen wir diese Welt hochgehen, die uns nicht | |
| will, und gelangen so ins Paradies. | |
| Denjenigen, die diese Entscheidung getroffen haben, muss der Dschihadismus | |
| wie ein messianisch-leuchtendes Unterfangen erscheinen, eine Art, um mit | |
| der Ohnmacht und dem grauen Leben zu brechen und als „Märthyrer“ und | |
| „Helden“ zu enden. | |
| Die Ghettos beseitigen? Die Staatsgewalt, die Regionen und Gemeinden, haben | |
| bereits daran gedacht und zweifellos Millarden ausgegeben, um dieses Ziel | |
| zu erreichen. Vielleicht ist ihnen das eine oder andere gelungen, aber im | |
| Großen und Ganzen haut einen das Ergebnis nicht gerade um. | |
| Ich weiß auch nicht, wie man es anstellen muss, um ein derart in sich | |
| geschlossenes System aufzubrechen, aber es gibt solche, die das viel besser | |
| wissen als ich: Menschen vor Ort, Vereine, Nichtregierungsorganisationen, | |
| Ärzte, Lehrer, Sozialarbeiter, aufgeklärte Imame – alle diejenigen, die, | |
| aus welchem Grund auch immer, bereits pragmatisch über diese Frage | |
| nachgedacht haben. Mit ihnen müsste es, bevor man Geld sinnlos ausgibt, | |
| möglich sein, eine richtige Strategie zu erarbeiten und umzusetzen, die dem | |
| Problem und der Schwierigkeit dieses zu lösen, gewachsen ist. Was tun wir | |
| jetzt? Eben das. | |
| Aus dem Französischen Barbara Oertel | |
| 18 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Selim Nassib | |
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