# taz.de -- Schlagloch Dschihadismus: Die Opferfalle | |
> Muslime müssen sich von Terroristen distanzieren, die in ihrem Namen | |
> morden. Nur so können sie sich selbst definieren und stärken. | |
Bild: Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland bei einer Mahn… | |
In der „muslimischen Welt“ gibt es ein gängiges Narrativ, und das geht so: | |
Der Aufstieg des Westens begann im 18. Jahrhundert und dauert seitdem an. | |
Dank der industriellen Revolution konnte er andere Länder kolonialisieren, | |
und auch der Zerfall des Osmanischen Reiches zum Ende des Ersten | |
Weltkrieges spielte ihm in die Hände. | |
Wir sollten diese Erzählung akzeptieren. Die Geschichte wird nun einmal vom | |
Sieger geschrieben. Und so kann es auch nicht überraschen, dass die | |
Bewertung von Gewalt im Westen häufig selektiv ausfällt. Angriffe auf | |
Bürger durch nichtstaatliche Akteure werden als „Terrorismus“ gelabelt, | |
indessen Tausende oder auch Hunderttausende Tote durch die USA und ihre | |
Alliierten wenn nicht gerechtfertigt, dann doch geschönt werden. | |
In diesem Schema gibt es kein „zu viel“ an „vergeltender“ Gewalt gegen�… | |
„Terroristen“, und keine Aggression würde den Westen je selbst zum | |
Terroristen machen. Überhaupt sieht der Westen sich niemals selbst als ein | |
Aggressor in den Konflikten mit der muslimischen Welt. Diese | |
Unausgewogenheit wird von vielen westlichen Analysten mit der westlichen | |
Überlegenheit hinsichtlich Kultur, Religion oder der Gesetzeslage | |
gerechtfertigt. | |
Wie geht man mit diesem Status als Muslim oder als jemand um, der mit der | |
Mehrheit der muslimischen Welt sympathisiert? Zumal wenn man sich selbst, | |
wie ich, als Teil des Westens versteht? Wenn man es leid ist, die | |
Brutalisierung der Palästinenser zu beobachten oder die Besatzung des Irak | |
oder den Kongress-Bericht zur Folter durch den CIA. | |
## Kriminelle sind Kriminelle | |
Auf keinen Fall sollte man versuchen, die dschihadistische Ideologie und | |
Gewalt zu rechtfertigen oder zu „kontextualisieren“. Man sollte stattdessen | |
nach Ansätzen suchen, die Muslime nicht als Opfer definieren. | |
Bei den muslimischen Reaktionen auf den Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris | |
findet sich die Tendenz, diese Gewalt zu kontextualisieren, indem auf die | |
schlechte Behandlung der Muslime in den Pariser Banlieues hingewiesen wird. | |
Das ist gegenüber den Banlieuebewohnern mehr als unfair. | |
Keiner von den im Jemen trainierten Kriminellen repräsentiert Algerier oder | |
Marokkaner oder überhaupt einen Muslim dort, und es ist grundfalsch, den | |
mörderischen Terror wegdiskutieren zu wollen mit Hinweis auf die Not von | |
vielen Muslimen im postkolonialen Frankreich. | |
Trotzdem zögern hier einige Muslime, nicht zuletzt auch, weil und wenn sie | |
von Leuten wie Rupert Murdock zur Distanzierung aufgefordert werden: | |
„Vielleicht sind die meisten Muslime friedlich, doch solange sie die größer | |
werdende Zahl von Dschihadisten ignorieren, sind sie für den Terror | |
verantwortlich.“ Niemand bei Verstand nimmt Ratschläge von dem Gründer von | |
Fox News an und damit eines der zentralen Medien, die Hass predigen. | |
## Verletzend, nicht rassistisch | |
Manche in meinem (akademisch, linken, muslimischen Umfeld) finden, Charlie | |
Hebdo sei ein islamophobes und rassistisches Magazin, mit viel Analhumor | |
und unpolitisch korrekten Witzen. Hat sich die muslimische Minderheit in | |
Frankreich eigentlich schon vor den Mohammad-Karikaturen über Charlie Hebdo | |
aufgeregt? | |
Die überzeugendste Analyse beschreibt Charlie Hebdo als eine Zeitschrift, | |
die vor allem Rechtsradikale beleuchtet und ihnen die eigenen islamophoben | |
Stereotype entgegenschleudert. Es geht also um eine ironische Ausbeutung | |
von rassistischen Bildern – und das ist nicht rassistisch in sich selbst. | |
Doch trotzdem sehr vereinfachend und verletzend. | |
Am Ende ist aber auch egal, um was für Cartoons es sich handelt und was im | |
Roman steht oder Wissenschaftler darüber geschrieben haben. Man bringt | |
niemanden um und rechtfertigt keinen Mord. Nicht wahr? | |
Ich verstehe auch nicht, was an Al-Qaida-Attacken auf Satiriker so | |
kompliziert sein soll, dass wir sofort wieder auf die Islamophobie zu | |
sprechen kommen wollen. Muslimenfeindlichkeit ist ein wichtiges Thema, aber | |
wir sollten es nicht reflexhaft immer zum einzigen Problem erheben. | |
Immerhin kann die Angst vor Islamophie dazu führen, dass eine wirkliche | |
Abrechnung mit dem Dschihadismus ausbleibt. | |
## Wofür „wir“ stehen | |
Als Muslima will ich unbedingt, dass sich die Situation für Muslime in der | |
Welt verbessert. Wenn man von weißen Amerikanern verlangen kann, dass sie | |
kritisch mit Rassismus und dem Erbe der Sklaverei umgehen, wenn man von | |
Juden einen reflektierten Umgang mit dem Zionismus erwarten kann und von | |
Europäern, sich von der Islamophobie zu distanzieren usw., dann ist es | |
völlig legitim, von Muslimen zu erwarten, dass sie sich von durchgeknallten | |
Mördern distanzieren, die in ihrem Namen morden. | |
Man mag einwenden, dass ich hier die Machtfrage ignoriere und wie Wahrheit | |
und Macht zusammenhängen. Doch Muslime werden niemals Macht haben, wenn sie | |
nicht ihre eigenen dunklen Seiten ansehen und heilen. Natürlich, es sei | |
wiederholt, es gibt weltweit Gewalt gegen Muslime, gleichzeitig töten | |
Muslime sehr laut im Namen des Islam. | |
Und in diesem Moment der Geschichte geht es nun mal genau um dieses | |
spezielle Problem. Prinzipien wie „Warum sollte ich etwas verdammen, was | |
ich gar nicht verbrochen habe“ sind wenig hilfreich. In diesem Moment ist | |
es an den Muslimen zu definieren, wer „wir“ sind und wofür „wir“ stehe… | |
Der Dschihadismus ist einer der zentralen Gründe, warum der Nahe Osten so | |
schwach und verletzlich ist. | |
Natürlich bietet sich für Rechtsradikale und Ultrakonservative nun die | |
Möglichkeit, die aufkommende Freiheitsdebatte zu benutzen, um Zuwanderung | |
weiter zu begrenzen und Anti-Terror-Gesetze zu verschärfen – also dem Staat | |
die Rechtfertigung zu geben, rassistische und islamophobe Maßnahmen | |
durchzusetzen. | |
Und auch Liberale und Linke haben nun das perfekte Argument, ihre eigene | |
Islamophobie wieder oder weiter zu ignorieren, denn angesichts von „Pegida“ | |
sind sie natürlich immer auf der guten Seite. Tja, irgendwie sieht das | |
gerade alles nicht sehr gut aus. | |
16 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Sarah Eltantawi | |
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