| # taz.de -- Volksinitiative in Hamburg: Aufstand des Establishments | |
| > Ein Dachverband von acht Bürgerinitiativen will Großunterkünfte für | |
| > Flüchtlinge verhindern. Ihre Wut richtet sich gegen die „autoritäre | |
| > Basta-Politik“ von Olaf Scholz. | |
| Bild: Klaus Schomacker, Unternehmensberater, demonstriert nicht gegen Flüchtli… | |
| HAMBURG taz | Für einen kurzen Moment sieht es so aus, als würde er | |
| stolpern, dann findet Klaus Schomacker festen Tritt. Der 61-Jährige steht | |
| auf einer Europalette, die auf einem Geländewagen festgebunden ist. Das | |
| muss reichen als improvisiertes Rednerpult, hier, mitten auf dem Hamburger | |
| Gänsemarkt. Graues Haar, randlose Brille, schwarzer Mantel: Schomacker | |
| sieht nicht eben aus wie einer, der auf einer Demonstration Parolen | |
| ausruft. | |
| Doch am diesem Donnerstagnachmittag muss der Unternehmensberater aus Rissen | |
| laut sein, er muss klare Worte finden. Er spricht für den Dachverband der | |
| Initiativen für erfolgreiche Integration, kurz IFI, der am 11. Februar eine | |
| Demonstration gegen den Bau von Großunterkünften für Flüchtlinge ausgerufen | |
| hat. Das Motto: „Integration JA, Olaf-Scholz-Ghettos NEIN.“ Ein paar | |
| Hundert Leute haben sich auf dem Platz versammelt, die Stimmung ist | |
| friedlich, viele ältere Menschen sind dabei. Kinder schwenken Luftballons | |
| und grüne Fähnchen: „Bürgerbeteiligung statt Basta-Politik!“ steht darau… | |
| Schomacker greift zum Mikro. „Es geht um Integration, nicht um | |
| Unterbringung!“, ruft er und erntet lauten Applaus. In seiner Rede listet | |
| er all das auf, was die Initiativen kritisieren: Die Größe der | |
| Neubausiedlungen für Flüchtlinge und eine mögliche „Ghettoisierung“ der | |
| Stadtteile, die ungleiche Verteilung von Flüchtlingen im Stadtgebiet, die | |
| fehlende Bürgerbeteiligung. „Wir geben nicht auf, wir werden immer mehr“, | |
| ruft Schomacker und dann, noch lauter: „Das ist ein Flächenbrand!“ Es folgt | |
| ein Pfeifkonzert. | |
| Schomacker hat recht, sein Verband wächst: Acht Bürgerinitiativen sind Teil | |
| von IFI, in dieser Woche kommen fünf weitere dazu. Hintergrund sind die | |
| Pläne des Senats, 40.000 Plätze für Flüchtlinge in diesem Jahr zu schaffen. | |
| 6.400 Wohnungen sollen bis Weihnachten im Eiltempo gebaut werden, allein in | |
| Neugraben-Fischbek entsteht eine Siedlung für 4.000 Menschen. Die | |
| Initiativen aber fordern „maximale Dezentralisierung“ und einen | |
| Verteilungsschlüssel für die Zuteilung der Flüchtlinge auf die Hamburger | |
| Stadtteile und dass BürgerInnen vor Ort stärker beteiligt werden sollen. | |
| Die Demonstration startet, Ziel ist das Congress Center, in dem der | |
| Stadtentwicklungsausschuss tagt. Claudia Suck läuft ganz vorne mit. Dass | |
| sie aus Billwerder komme und „Hausfrau und Mutter“ sei, sagt sie. Vor sich | |
| her trägt sie ein großes Banner, „Integration“ steht dort in bunten | |
| Buchstaben, in das „O“ ist ein Smiley gemalt. „Ich war ja noch nie auf | |
| einer Demo“, sagt sie und lacht, „bisher war ich ja immer ganz zufrieden | |
| mit der Welt.“ | |
| ## Furcht vor „totalem Chaos“ | |
| Doch nun sollen am Mittleren Landweg Wohnungen für 3.000 Flüchtlinge | |
| entstehen, im ganzen Stadtteil leben etwa 25.000 Menschen. Suck ist sicher: | |
| „So viele Menschen lassen sich nicht integrieren.“ Sie fürchte ein „tota… | |
| Chaos“, dass am Ende niemand mehr wisse, „wer sich da eigentlich so | |
| aufhält“. Heute leben 140 Geflüchtete in Billwerder. Eine Quote von 10 | |
| Prozent, das sei machbar, findet Suck. Als Mutter habe sie große Angst, | |
| auch vor Kriminalität und Übergriffen. Aber: „Man darf natürlich nicht alle | |
| über einen Kamm scheren.“ Von der Politik fühlt sich Suck nicht ernst | |
| genommen. | |
| Es ist diese Mischung aus Empörung, Angst und Vorsicht, die vielen | |
| DemonstrantInnen anzumerken ist. Wut auf die Senatspolitik, Angst vor | |
| negativen Veränderungen im Stadtteil – und auch die Sorge, „in die rechte | |
| Ecke“ gestellt zu werden. Verbandssprecher Klaus Schomacker wird später | |
| sagen, dass er „heilfroh“ sei, dass während der Demonstration „alles gla… | |
| gelaufen ist“. Rechte Gruppen hatten zuvor ihre Teilnahme angekündigt. „Ein | |
| falsches Plakat in der Menge, ein Bild davon in der Presse und unsere | |
| Bewegung wäre kaputt“, sagt Schomacker. Ordner waren vorab angewiesen | |
| worden, rechtsgesinnte Plakate sofort zu entfernen. Nicht nötig: | |
| Letztendlich stört nur eine Antifa-Gruppe das Bild der bürgerlichen Mitte. | |
| Überwiegend in schwarz gekleidet, hatten sie sich zum Auftakt der Demo noch | |
| als Gegenkundgebung postiert. Später liefen sie hinterher, als hätten sie | |
| sich eingereiht. Nur hin und wieder hörte man die Parole „Kein Mensch ist | |
| illegal“, ansonsten blieben sie ruhig. | |
| ## Ein Raunen im Saal | |
| Zum Eklat kommt es erst später, in der Sitzung des | |
| Stadtentwicklungsausschusses im Congress Center. Zwei Stunden berichten die | |
| Initiativen von Ehrenamtlichen, die ausgelastet seien, von Grünflächen, die | |
| schon aus ökologischen Gründen nicht bebaut werden dürften. Mit der Zeit | |
| wird die Debatte hitziger, die Sprüche markiger. „Was die Stadt hier | |
| vorhat, das klingt wie das Märchen von Olaf Barbar und den 1.000 | |
| Flüchtlingen“, sagt ein Sprecher. Die ehrenamtliche Helferin Christine | |
| Hinze berichtet von Konflikten zwischen Christen und Muslimen, von „jungen | |
| Männern ohne Perspektive“. Ein Raunen geht durch den Saal, einige Zuhörer | |
| schauen alarmiert, andere nicken zustimmend. Und immer wieder stellen die | |
| Redner sicher: „Wir haben nichts gegen Flüchtlinge.“ | |
| Viele Seitenhiebe zielen auf den Senat ab, auf die „verantwortungslosen | |
| Machtmenschen in der Politik“ und immer wieder auf „König Olaf“, der in … | |
| Flüchtlingsfrage keine Präsenz zeige und eine „autoritäre Basta-Politik“ | |
| betreibe. Dann spricht Senatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) und liest eine | |
| Erklärung vom Blatt ab: Die Neubauprojekte seien alternativlos. Das war’s: | |
| Reihenweise verlassen die Zuhörer den Saal, kopfschüttelnd, schimpfend, | |
| rote Karten symbolisch in die Luft gestreckt – eine klare Absage an die | |
| Beschwichtigungsversuche des Senats. | |
| Nach dem Ausschuss sitzt Klaus Schomacker im Foyer des CCH. Dass viele | |
| Gäste den Saal verlassen haben, überrasche ihn nicht: „Das ist nur | |
| konsequent. Wir werden nur über bereits Beschlossenes informiert. Bei | |
| Kritik werden die Pläne nochmal in anderen Worten erklärt, so, als wären | |
| wir dumme kleine Kinder.“ Wenn es um die Senatspolitik geht, kann sich | |
| Schomacker, ein freundlich und besonnen wirkender Mann, ganz schön in Rage | |
| reden. Politisch aktiv war er zuletzt in seiner Jugend, wobei er vage | |
| bleibt, wofür. In seinem Stadtteil Rissen engagiert er sich nun seit | |
| Oktober gegen den Bau von 800 Wohneinheiten für Flüchtlinge. | |
| Bis zu 60 Stunden in der Woche arbeitet er ehrenamtlich, für sein | |
| Engagement hat er sich freigenommen. Das heißt: Nachbarn treffen, Mails | |
| schreiben, netzwerken. Die Bewegung trifft einen Nerv, 3.000 E-Mails seien | |
| in den letzten Wochen beim Verband eingegangen, sagt Schomacker, darunter | |
| auch viele Anfragen von rechten Gruppen. „Die AfD schreibt uns ständig, | |
| weil sie uns unterstützen will.“ Schomacker verdreht die Augen. „Die | |
| ignorieren wir natürlich.“ | |
| ## Mit der Satzung gegen rechts | |
| Wie man sich gegen eine Instrumentalisierung von rechts wehren könne, | |
| darüber habe seine Initiative schon beim ersten Treffen diskutiert. | |
| Flüchtlingspolitik sei schließlich ein „heikles gesellschaftspolitisches | |
| Thema“, darum sei es wichtig, „die Kontrolle zu behalten.“ Also wurde jede | |
| Kooperation mit rechten Gruppen in der Satzung des IFI-Dachverbands | |
| ausgeschlossen. Wer dagegen verstößt, fliegt raus. Für alle Initiativen | |
| könne er zwar nicht sprechen, doch in Rissen sei die Unterstützerszene ein | |
| „heterogener bunter Haufen“. | |
| Das linke Aktionsbündnis „Recht auf Stadt - Never Mind The Papers“ sieht | |
| das anders. In einer Mitteilung heißt es, der Protest sei auch auf die | |
| „Abwehr des Zuzugs von Geflüchteten in den eigenen Stadtteil“ | |
| zurückzuführen. Schomacker sagt, sein Verband vermeide allgemeinpolitische | |
| Aussagen. „Sonst verlieren wir den Anspruch, eine Bürgerinitiative zu | |
| sein.“ Schließlich wolle er „möglichst viele Menschen unterschiedlicher | |
| Gesinnung“ vereinen. Aber: Es sei gar nicht die Frage, wie der | |
| Flüchtlingszuzug nach Deutschland zu bewerten sei, sondern „wie Integration | |
| gelingen kann“. | |
| ## Integration durch „hohen Betreuungsschlüssel“ | |
| Schomacker, der selbst in einer Flüchtlingsunterkunft aushilft, hat davon | |
| klare Vorstellungen – über Integration kann er lange reden: | |
| Deutschunterricht, Kulturvermittlung, ein hoher Betreuungsschlüssel in den | |
| Unterkünften und ein sofortiges „Profiling“ für Flüchtlinge etwa, um der… | |
| berufliche Qualifikationen und Kompetenzen festzustellen. „Es geht doch | |
| nicht nur um Zahlen, sondern um Menschen, denen wir eine Perspektive bieten | |
| müssen!“, sagt er. Mit einem „kreativen Stadtteilmanagement“ sei all das | |
| möglich, mit der Bauoffensive des Senats nicht. Dass die Behörden | |
| ausreichend soziale Angebote in Nähe der Wohnsiedlungen schaffen, glaubt er | |
| nicht. „Diese Traumtänzer können viel erzählen“, sagt er und lacht. Er | |
| wünsche sich einen Bürgervertrag, indem die Stadt sich zur Einhaltung ihrer | |
| Versprechen verpflichte. | |
| Stattdessen plant er nun den Volksentscheid. Dass eine Abstimmung | |
| polarisieren könnte, weiß auch Schomacker. „Wir haben aber keine Wahl, | |
| anders können wir uns ja nicht beteiligen.“ Der Verband muss schon im | |
| ersten Schritt 10.000 Unterschriften in sechs Wochen sammeln. Schomacker | |
| zweifelt nicht an einem Erfolg: „Das wird ein Selbstläufer“, sagt er. | |
| Schwierig sei eher die Ausformulierung einer Frage für den Entscheid. „Es | |
| geht ja nicht darum, ob wir Flüchtlingsunterkünfte brauchen oder nicht, | |
| sondern um kreative, nachhaltige Alternativen zu Großsiedlungen.“ Dass | |
| Teile von SPD, Grünen und Linken schon jetzt vor einem Volksentscheid | |
| warnen, sei Stimmungsmache: „Nicht die Initiativen treiben die | |
| gesellschaftliche Spaltung voran, sondern die unsinnige Politik des | |
| Senats.“ | |
| 15 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Annika Lasarzik | |
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