# taz.de -- Debatte Religion und Terrorismus: Die rechristianisierte Republik | |
> Der Koran hat mit dem islamistischen Terror so viel zu tun wie die Bibel | |
> mit Auschwitz. Die Quelle der Gewalt liegt in den realen Verhältnissen. | |
Bild: Was sind die Quellen muslimischer Wut? Demo in Falludscha, Irak. | |
Im Gegensatz zu Frankreich werden in Deutschland gesellschaftliche Prozesse | |
gern in ein religiöses Idiom umgegossen. Dafür gibt es Vorläufer. Schon zu | |
Zeiten Konrad Adenauers in der frühen Bundesrepublik finden wir eine | |
markante Verschiebung in der politischen Nomenklatur. Die „Verfolgten des | |
Nazi-Regimes“ repräsentierten sich in Ost und West als eine diverse Gruppe | |
von Juden, Kommunisten, Sinti und Roma und anderen Verfolgten. Doch im | |
Milieu des Kalten Krieges und der Rechristianisierung in der Bundesrepublik | |
reduzierte sich der Verfolgtenstatus alsbald auf die jüdischen Opfer. | |
Ob gewollt oder nicht, waren Juden zwar als rassische Kategorie verfolgt | |
worden, doch in der Adenauerzeit wurden sie nun als „Volk Gottes“, also als | |
eine religiöse Gemeinschaft adressiert. Dieses Muster sollte sich | |
wiederholen. | |
Zur Zeit der „Gastarbeiter“ in den 1960er Jahren und auch später waren | |
Türken in Deutschland: Türken. Erst seit 9/11 und nicht zuletzt auch | |
aufgrund des Regimewechsels in der Türkei hat das religiöse Idiom das | |
ethno-nationale abgelöst. Nun sind Türken Muslime. Diese semantische | |
Verschiebung ist nicht zu unterschätzen. Zuvor konnten sich die | |
Mehrheitsdeutschen im Zusammenhang mit „Türken“ zwar über die PKK und das | |
Kopftuch erregen. | |
Doch nun, da „Türken“ zu „Muslimen“ geworden sind, werden sie global | |
assoziiert mit islamistischen Attentätern und Terroristen, von New York | |
über London bis hin nach Syrien und dem Sudan. Damit wurde die Idee von der | |
Islamisierung der deutschen Gesellschaft wie etwa bei Thilo Sarrazin oder | |
AfD auch in Deutschland massenfähig und demagogisch einsetzbar, als | |
Kernbegriff im jüdisch-christlichen und abendländischen Diskurs. Es | |
entstand die Frage nach der Verbindung von Islam und Islamisten. | |
## Der Bilderkrieg | |
Vom Focus bis zur Zeit fragte man sich auch im Anschluss an das Attentat | |
gegen Charlie Hebdo besorgt, ob der islamistische Terror nicht doch etwas | |
mit dem Islam zu tun habe, und rief nach einem islamischen Luther. Wenn | |
schon nicht die Welt, so könnte doch wenigstens der Islam am deutschen | |
Wesen genesen. Genauso könnten wir fragen, ob nicht Auschwitz etwas mit dem | |
Christentum zu tun hat, und zwar mit oder ohne Luther. Angemessen wäre es | |
zu diskutieren, ob die dem Nazi-Hetzblatt Der Stürmer ähnlichen, | |
orientalisierenden Karikaturen des Propheten Mohammed, die 2006 zunächst | |
von Jyllands Posten publiziert wurden und in Europa in einem obsessiven | |
Bilderkrieg verbreitet werden, ein Problem sind. Sind diese Karikaturen | |
nicht auch eine Form von Gewalt? | |
Stellen wir uns vor, Muslime in Deutschland würden Jesus in einer obszönen | |
Pose darstellen, oder wie wäre es mit Witzen über Auschwitz oder einer | |
aktualisierten Wiederauflage des Stürmers? Da wäre doch auch für viele | |
Freie-Meinungs-Äußerer der Spaß zu Ende. Vergessen wir nicht, dass | |
antisemitische Witze und Ähnliches in der arabischen Welt gang und gäbe | |
sind, doch das legitimiert keine antimuslimische Hetze in Europa. | |
Bezeichnend ist, dass die Mohammed-Karikaturen zu Zeiten erhöhter | |
antiislamischer Stimmungen erschienen – nämlich zunächst unter der | |
rechtslastigen Rasmussen-Regierung in Dänemark. Satire hört dort auf, wo | |
Hetze beginnt. | |
Natürlich haben die spezifischen Ausdrucksformen dieser suizidalen | |
islamistischen Gewalt mit dem religiös-kulturellen Umfeld des Islams zu | |
tun, so wie Auschwitz ohne das Christentum und israelische Siedlungspolitik | |
ohne das Getto nicht voll zu deuten sind. Aber durch den Koran erklären | |
lässt sich dieser Terror nicht. Das Gleiche gilt für das Neue Testament | |
oder die Thora. | |
Die wirkliche Erklärung für den islamistischen Terror liegt stattdessen in | |
den real existierenden Verhältnissen: den repressiven, autoritären, | |
verkrusteten Strukturen fast aller arabischen Länder, ein Immobilismus, der | |
nicht zuletzt auch aufgrund ihrer Kolonialisierung durchs westliche | |
Abendland besteht und einen wirklichen Arabischen Frühling, also | |
Demokratisierung, fast überall verhindert. | |
Da stirbt König Abdullah von Saudi-Arabien, begleitet von tiefem Mitgefühl | |
seitens der Kanzlerin und gepriesen von Präsident Obama als ehrlicher und | |
mutiger Führer – ein Land, in dem Bürgerrechte vor allem für | |
Hunderttausende Gastarbeiter mit Füßen getreten und ein Blogger mit tausend | |
Peitschenhieben in wöchentlichen Raten zu Tode gebracht werden soll. Obama | |
wird zu einem Kondolenzbesuch anreisen. Dieser interne Terror, vom Westen | |
weitgehend ignoriert, geht also zunächst einmal von den reaktionären | |
Staaten der arabischen Welt aus und erst danach von Milizen wie dem IS, | |
über dessen Brutalität wir sattsam informiert worden sind. | |
## Kniefall vor Saudi-Arabien | |
Weiterhin ist der islamistische Terror nicht erklärbar ohne die | |
gewalttätigen Interventionen des Westens: ohne den Umsturz Europa- und | |
USA-feindlicher Regime, allen voran George Bushs Krieg gegen den Irak und | |
eine erschreckend einfältige und desaströse Politik danach unter Obama. | |
Nicht ohne US-Drohnen, vermittels deren unschuldige Zivilisten als | |
Kollateralschaden wie Ungeziefer mit lokalen Kämpfern zusammen vernichtet | |
werden. | |
Oder nehmen wir das nicht enden wollende Schauspiel in Israel, wo | |
Palästinenser an Grenzposten schikaniert und gedemütigt werden, wo wie in | |
Silwan nahe Jerusalem und anderswo die israelische Landnahme Haus um Haus | |
betrieben wird, von den vielen toten Zivilisten in Gaza nicht zu reden. | |
Diese Erfahrungen oder Nachrichten aus der globalisierten Ferne werden noch | |
konkreter durch rassistische Diskriminierung zu Hause in Frankreich, | |
Deutschland und andernorts, sei es in der Job- und Wohnungssuche oder durch | |
individuelle Erfahrungen mit der Polizei. Das alles hat mit Religion, egal | |
welcher, nicht viel zu tun. | |
Die Philosophin Seyla Benhabib bringt es auf den Punkt: „Nicht Frömmigkeit | |
oder Unfrömmigkeit müssen wir verstehen, sondern die Quellen muslimischer | |
Wut und Verzweiflung müssen wir entziffern, denn Wut und Verzweiflung | |
werden weiterhin neue angreifbare Bilder finden, bis deren Ursprünge | |
verheilt sind.“ | |
28 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Michal Bodemann | |
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