| # taz.de -- Volker Kauder über Muslime und Pegida: „Es gibt keine Islamisier… | |
| > Durch eine Entchristianisierung verlieren Menschen an Halt, sagt | |
| > Unionsfraktionschef Volker Kauder. Warum er Religionsfreiheit wichtig | |
| > findet, aber nicht „Charlie“ ist. | |
| Bild: Plädiert für Gelassenheit beim Thema Pegida: Volker Kauder | |
| taz: Herr Kauder, Ihre Eltern kamen 1947 als Flüchtlinge aus Jugoslawien | |
| nach Deutschland. Wie war das für Sie als Kind? | |
| Volker Kauder: Den Vertriebenen schlug nicht überall große Zustimmung | |
| entgegen. „Die Flüchtlinge“ wurden auch als Belastung betrachtet. Man kann | |
| das verstehen. Es war nach dem Zweiten Weltkrieg für niemanden einfach. | |
| Aber wir haben uns arrangiert. | |
| Können Sie sich wegen dieser Erfahrung heute besser in die Situation von | |
| Flüchtlingen hineinversetzen? | |
| Der Vergleich hinkt etwas. Wir Vertriebenen waren keine kleine Gruppe. Und | |
| wir waren mit der alteingesessenen Bevölkerung durch eine gemeinsame | |
| Sprache und Geschichte verbunden. Aber ja, ich kann Gefühle von | |
| Flüchtlingen sehr gut nachvollziehen. | |
| Heute sind Sie der Vorsitzende der größten Bundestagsfraktion. Wie viele | |
| Muslime gibt es unter den 311 Abgeordneten von CDU und CSU? | |
| Wir haben eine Muslimin. | |
| Reden Sie mit der Abgeordneten Cemile Giousouf darüber, wie es für sie ist, | |
| wenn in Deutschland Islamgegner demonstrieren? | |
| Ich habe Frau Giousouf zur Integrationsbeauftragten ernannt und mehrfach | |
| mit ihr über die Fragen gesprochen. Aktuell aber noch nicht. | |
| Sie setzen sich seit Jahren für verfolgte Christen ein. Fühlen Sie genauso | |
| mit Muslimen, die zu uns kommen? | |
| Mein gesamtes Engagement stand und steht unter der Überschrift „Für | |
| Religionsfreiheit!“. Ich rede nicht in erste Linie über die Inhalte von | |
| Religion, sondern davon, dass Religionsfreiheit aus meiner Sicht das | |
| wichtigste Menschenrecht überhaupt ist. Das gilt für alle Menschen und | |
| natürlich für die Angehörigen aller Glaubensrichtungen. Wer für | |
| Religionsfreiheit eintritt, der muss auch dafür sein, dass die Muslime ihre | |
| Moscheen in Deutschland bauen können, wie die Christen aber auch in der | |
| Türkei ihre Kirchen errichten dürfen. | |
| Wenn Sie für das Recht eintreten, dass Muslime in Deutschland Moscheen | |
| bauen dürfen, warum wehren Sie sich gegen den Satz, dass der Islam zu | |
| Deutschland gehört? | |
| Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Papier, hat | |
| darauf hingewiesen, dass unser Wertesystem und damit auch unser Grundgesetz | |
| christlich-jüdische Wurzeln hat. Daneben haben aber auch | |
| säkular-humanistische Ideen, vor allem die Aufklärung, Einfluss genommen. | |
| Vom Islam kann man dies nicht sagen. Damit etwas dazugehört, muss es aus | |
| meiner Sicht prägend sein. Das ist der Islam für unser Land nicht. | |
| Außerdem: Der Islam wird momentan auf der Welt sehr verschieden | |
| interpretiert. Es fällt schwer, von dem Islam zu sprechen. | |
| Manche Muslime empfinden das als Ausgrenzung … | |
| So ist es keinesfalls gemeint. Denn ich sage klar: Die Menschen mit ihrer | |
| Religion gehören zu uns. | |
| Der Zentralrat der Muslime hat in Berlin die Mahnwache für die Opfer der | |
| Pariser Anschläge initiiert. Hat das Ihren Blick auf den Islam in | |
| Deutschland verändert? | |
| Ich habe immer wieder angemahnt, dass sich Religionsvertretungen in | |
| gesellschaftliche Debatten einmischen sollen und Farbe bekennen. Auf der | |
| Mahnwache ist das geschehen. Sie war beeindruckend. Und, ja, sie war | |
| glaubwürdig. | |
| Der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer hat die Muslime in Deutschland trotz | |
| Mahnwache aufgefordert, sich von den Anschlägen zu distanzieren. Fanden Sie | |
| das richtig? | |
| In einer freien Gesellschaft muss man mit solchen Hinweisen leben. Ich | |
| selber halte mich mit derlei öffentlichen Aufforderungen zurück. | |
| Hat die Mahnwache das Verhältnis zu den Muslimen in Deutschland verbessert? | |
| Vielleicht waren die Pariser Anschläge wirklich ein Wendepunkt in der | |
| Debatte auch über das Selbstverständnis der Muslime in der Gesellschaft. | |
| Sie sollte weitergehen. Man darf sich nichts vormachen: Manche Muslime | |
| finden gar nicht gut, was da in Berlin stattgefunden hat. | |
| Im Dezember haben Sie gesagt, Pegida-Demonstranten sollten nicht „pauschal | |
| als rechter Mob“ abgetan werden. Sehen Sie das noch immer so? | |
| Auf diesen Demonstrationen sind Sätze gefallen, die nicht akzeptabel sind. | |
| „Sachsen bleibt deutsch“ ist ein Spruch, der mich an eine ganz andere Zeit | |
| erinnert. Ich warne aber vor Pauschalverurteilungen. Jeder Mensch ist | |
| Ebenbild Gottes mit einer eigenen Würde. Das ist eine Kernaussage des | |
| Christentums. Es fällt zwar manchmal schwer, aber ich rate dazu, Aussagen | |
| und das Verhalten individuell zu beurteilen und nicht den Menschen zu | |
| disqualifizieren. Ich fand es zum Beispiel schwierig, die Organisatoren | |
| dieser Demonstrationen „Rattenfänger“ zu nennen – dieses Bild macht die | |
| Kundgebungsteilnehmer zu Tieren. Also Vorsicht. | |
| Soll man mit Demonstranten reden, die rechten Parolen folgen? | |
| Es gibt beim Umgang mit solchen Phänomenen keinen Königsweg. Aber: Je mehr | |
| man diese Demonstrationen medial beachtet und wichtig nimmt, desto mehr | |
| wertet man sie auf und unterstützt sie. | |
| Also verschweigen? | |
| Nein, aber es wäre besser, gelassener zu sein und weniger aufgeregt über | |
| Pegida zu reden. Es geht um maximal 25.000 Leute von 80 Millionen. Die | |
| Kundgebungen sind aus meiner Sicht ein Ausdruck der Verunsicherung durch | |
| die Globalisierung – die Angst vor der Islamisierung ist ein Etikett dafür. | |
| Es gibt in Deutschland keine Islamisierung, in Sachsen erst recht nicht. | |
| Aber es existiert eine Entchristianisierung. Das verunsichert offenbar | |
| viele. Wenn aus einer Gesellschaft die Religion ganz verschwindet, fehlt es | |
| an Halt. | |
| Markiert der aktuelle Streit innerhalb der Pegida-Führung das Ende dieser | |
| Bewegung? | |
| Den Zenit dürfte diese sogenannte Bewegung überschritten haben, vielleicht | |
| auch, weil immer klarer geworden ist, wer sie anführt und welche | |
| unsäglichen Parolen diese Personen vertreten. | |
| Pegida verbindet sich immer enger mit der AfD. Zeigen deren Wahlerfolge | |
| nicht, dass die sozialdemokratisierte Union rechts zu viel Platz lässt? | |
| Nein, die Union ist die letzte große Volkspartei, mit einem Wahlergebnis | |
| von mehr als 40 Prozent. Wir sind die Partei der Mitte. Die AfD ist aus der | |
| Ablehnung der Eurorettungspolitik entstanden, aus der Angst, für die | |
| Schulden anderer zahlen zu müssen. Das war der keineswegs überzeugende | |
| Impuls für die Gründung der AfD – denn Deutschland profitiert vom Euro | |
| enorm. | |
| Machen Ihnen der Aufstieg der AfD und der Niedergang der FDP keine Sorge? | |
| Alles, was weit von der Mitte wegdriftet, macht mir Sorge. Ich höre von | |
| Freunden aus Westeuropa oft, dass dort Rechtspopulisten mit zweistelligen | |
| Wahlergebnissen als normal empfunden werden. Wir sehen das aufgrund unserer | |
| Geschichte richtigerweise anders. Wir haben eine besondere Verantwortung, | |
| zu schauen, was sich auf dem rechten Rand tut. 1933 ist schon einmal etwas | |
| passiert, was sich niemand vorstellen konnte. Das muss uns immer eine Lehre | |
| sein. Aber wir haben gelernt. So beziehen heute die Spitzen des Staates | |
| gemeinsam gegen Rechtspopulisten und Rechtsextreme eindeutig Stellung. | |
| Wird die AfD für die Union also kein strategischer Bündnispartner? | |
| Wir haben einen klaren Parteibeschluss: keine Zusammenarbeit mit der AfD. | |
| Punkt. Diese Partei ist für uns kein Bündnispartner. | |
| Das gilt bis wann? | |
| Er gilt. Glauben Sie mir. Ich war 15 Jahre lang Generalsekretär der CDU in | |
| Baden-Württemberg. Damals waren die Republikaner im Landtag. Dort habe ich, | |
| mit dem damaligen Ministerpräsident Erwin Teufel und auch gegen | |
| Widerstände, die Strategie verfolgt: keine Gespräche, keine Zusammenarbeit | |
| mit den Republikanern. Das war erfolgreich. Wenn solche Gruppen keine | |
| Machtperspektive bekommen, schadet das ihnen. So machen wir es mit der AfD | |
| auch. | |
| Die Union hat Ja zum Ausstieg aus der Atomkraft gesagt, die Wehrpflicht | |
| abgeschafft, den Mindestlohn eingeführt, Mietpreisbremse und Frauenquote | |
| für DAX-Konzerne dito. Ist es da nicht verständlich, dass viele nicht mehr | |
| wissen, was an der Union konservativ ist? | |
| Wir sind nicht die konservative Partei Deutschlands. Wir sind die | |
| christlichen Demokraten. Das Ja zur Atomkraft hat nie zum Wesenskern der | |
| Union gehört. Wenn wir andere Möglichkeiten haben, Energie zu erzeugen, | |
| oder wenn sich der Auftrag der Bundeswehr ändert und die Wehrpflicht dafür | |
| nicht mehr nützlich ist, dann müssen wir reagieren. Der Mensch ist nicht | |
| statisch, Politik darf nicht statisch sein. Wir sind eine pragmatische | |
| Partei. | |
| Wo bleibt das Konservative? | |
| Für unser Selbstverständnis ist nicht „konservativ“ das entscheidende Wor… | |
| sondern das christliche Menschenbild. Das ist unser Kompass. | |
| Und das Christliche ist mehr als Folklore für die Union? | |
| Natürlich. Passen Sie auf, dass Sie nicht mit meinen religiösen Gefühlen | |
| spielen … | |
| Das war eine politische Frage. | |
| Nun gut. Aber im Ernst – und das hat mich in letzter Zeit auch beschäftigt: | |
| Nicht alles, was erlaubt ist, muss auch sein. Mit religiösen Gefühlen zu | |
| spielen ist immer schwierig. Ich trete dafür ein, dass Charlie Hebdo seinen | |
| Freiheitsraum hat. Die Freiheit darf auch dem schärfsten Satiriker nicht | |
| genommen werden. Aber ich muss deshalb nicht alles gut finden, was Charlie | |
| Hebdo macht. Insofern bin ich nicht Charlie. | |
| Plädieren Sie für eine Verschärfung des Blasphemieparagrafen? | |
| Nein, der Staat muss nicht alles regeln. Aber die Bürgergesellschaft sollte | |
| mehr darauf achten oder zumindest diskutieren, dass nicht alles, was | |
| anderen heilig ist, einfach attackiert wird. Das wünsche ich uns. | |
| 30 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
| Stefan Reinecke | |
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