# taz.de -- Kolumne Macht: Zurschaustellung von Solidarität | |
> Die Staatschefs, die in Paris trauerten, waren bestimmt erschüttert. Aber | |
> nicht so, dass sie ihre Lippenbekenntnisse auch ernstnähmen. | |
Bild: Staatschefs, Freiheitskämpfer, Regimegegnerauspeitscher unter sich – v… | |
Nichts gegen Schalmeientöne, es gibt ja viele Leute, denen so etwas | |
gefällt. Nichts gegen ein wohliges Gemeinschaftsgefühl, das sich auf eine | |
vermeintliche Übereinstimmung in wichtigen Fragen stützt, von der man | |
wissen könnte, dass sie dem Alltag nicht standhält. Nichts gegen verlogene | |
Gesten auf Trauerfeiern, sie sind bei derlei Anlässen üblich. Aber man kann | |
es auch übertreiben mit der Heuchelei. | |
Es hat den Überlebenden des Satiremagazins Charlie Hebdo nichts genutzt, | |
dass sie sich wütend gegen Vereinnahmungen zur Wehr gesetzt haben. | |
Diejenigen, die ein Interesse an der Zurschaustellung von Solidarität | |
hatten, verfügten über wirksamere Mittel. | |
Damit soll den internationalen staatlichen Repräsentanten in Paris nicht | |
pauschal abgesprochen werden, erschüttert gewesen zu sein. Vermutlich waren | |
sie es, die Ereignisse wenige Tage zuvor waren ja schrecklich genug. Aber | |
so erschüttert, dass sie ihre eigenen Lippenbekenntnissen ernst genommen | |
hätten – nein, so erschüttert waren sie nun auch nicht. | |
Von dem hohen Wert der Meinungs- und Pressefreiheit war in den letzten | |
Tagen viel die Rede. Und dann marschieren die Freiheitskämpfer Seit‘ an | |
Seit‘ mit Vertretern von Staaten, in denen Blogger ausgepeitscht oder Leute | |
zu jahrelangen Gefängnisstrafen verurteilt werden, weil sie an friedlichen | |
Demonstrationen teilgenommen haben. Dem Westen sind strategische Verbündete | |
im Nahen Osten wichtig genug, um sich um die inneren Verhältnisse in dem | |
jeweiligen Land nicht zu scheren. | |
Mehr noch: Den Regimen wird sogar – im Wortsinne – die Munition geliefert. | |
So finanzieren die USA einen großen Teil des ägyptischen Militärs, das in | |
Kairo auf Andersdenkende schießt und Kritiker willkürlich festnimmt. | |
Kürzlich wurde dort jemand verhaftet, weil er in einem Café über Politik | |
gesprochen hatte. Die Gedanken sind frei. Aber auch nur die. Von Reden, | |
Schreiben, Diskussionen und Versammlungen steht in dem Volkslied nichts. | |
Aber man muss gar nicht so weit in die Ferne schweifen. | |
Ausgerechnet in Frankreich wurde jetzt der Komiker Dieudonné in | |
Polizeigewahrsam genommen. Wegen Verherrlichung des Terrorismus soll ihm | |
der Prozess gemacht werden. Er hatte Sympathien für die Gewalttäter von | |
Paris erkennen lassen. | |
Es gibt gute Gründe, den 48-Jährigen abstoßend zu finden. Sein | |
Antisemitismus und seine Kontakte zu Rechtsextremen genügen dafür schon, da | |
hätte es der jüngsten Geschmacklosigkeit gar nicht bedurft. Aber es ist ein | |
Unterschied, ob man jemandem nicht die Hand geben möchte oder man ihn für | |
seine Ansichten bestraft sehen will. | |
Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass jemand so oft und so laut all das | |
sagen darf, was die Mehrheit der Gesellschaft für richtig hält. Nicht | |
einmal dann, wenn es die überwältigende Mehrheit ist. Sondern dass jemand | |
auch das Gegenteil dessen sagen darf. Das ist selbst innerhalb der | |
Europäischen Union, deren Politiker und Politikerinnen sich wegen ihrer | |
Freiheitsliebe derzeit so gerne auf die Schulter klopfen, keine | |
Selbstverständlichkeit. Sondern ein Recht, das ständig neu erkämpft werden | |
muss. | |
Ach ja: Bei der Meinungsfreiheit handelt es sich übrigens um ein | |
Abwehrrecht gegenüber dem Staat, nicht um das Recht auf Bekenntnisse zur | |
staatlichen Ordnung. Das ist in den letzten Tagen gelegentlich aus dem | |
Blickfeld geraten. | |
18 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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