# taz.de -- Satire-Formate im ZDF: Lachen ja, aber bitte ernsthaft | |
> „Die Anstalt“ und die „heute-show“ sind mehr als nur Schenkelklopfer … | |
> besser Informierte. Sie versorgen ein politikfernes Publikum. | |
Bild: Die Macher der Sendung, Claus von Wagner (l) und Max Uthoff, hinter den K… | |
Wie viele Zuschauer der „Anstalt“ wohl vor der Mai-Sendung gewusst haben, | |
dass ein Informant des Bundesnachrichtendienstes die Lüge von den | |
irakischen Massenvernichtungswaffen in die Welt gesetzt hat? Max Uthoff, | |
der eben noch als BND-Agent 0815 in Anzug und Fliege vor der Kamera stand, | |
und Claus von Wagner – M wie Merkel – zucken mit den Achseln: Keine Ahnung. | |
Auch sie waren ja nur zufällig auf die Affäre gestoßen. Die Webseite | |
[1][geheimerkrieg.de] von NDR und Süddeutscher Zeitung berichtete darüber, | |
irgendwann lief auch mal eine ARD-Doku dazu. Vermutlich nach Mitternacht. | |
Gegen 23 Uhr, nach Sendungsende, sitzen Uthoff und von Wagner mit ihrem | |
Koautoren Dietrich Krauß in der Künstlergarderobe der Arri-Studios in | |
München-Schwabing und sinnieren darüber, welche der unzähligen | |
journalistischen Beiträge des Tages es schaffen, „auch wirkliche Themen“ zu | |
werden. Vielleicht machen die Satiriker gerade deshalb den besseren | |
Journalismus, weil sie die Themen aufbereiten, die ankommen. | |
Im deutschen Fernsehen blüht die Politsatire in einer lange nicht erlebten | |
Vielfalt. Sendungen wie „Die Anstalt“ oder die „heute-show“ verkaufen s… | |
nicht nur als Schenkelklopfer für besser Informierte, sondern auch als | |
Informationsquelle für ein politikfernes Publikum – mit steigenden Quoten | |
und einem beachtlichen Echo aus der Fachwelt. Die Hoffnung: ein Ende der | |
Politikverdrossenheit. Doch ist dieser Anspruch nicht zu hoch – für Satire? | |
Zum Journalismus haben die beiden von der „Anstalt“ ein gespaltenes | |
Verhältnis: „Wir mögen den Journalismus ja, wir hätten ihn gern besser“, | |
sagt Claus von Wagner. Dieser Aktivismus brachte die Sendung im vergangenen | |
Jahr vor Gericht. Weil sie zeigte, welche namhaften Journalisten und | |
Politikredakteure Verbindungen zu Thinktanks transatlantischer | |
Rüstungspolitik haben, bei denen sie als Mitglieder oder Beiräte fungieren. | |
Recherchiert hatte die Fakten der Leipziger Medienforscher Uwe Krüger in | |
seiner „kritischen Netzwerkanalyse“ über die Meinungsmacht von | |
Politikjournalisten. | |
## „Abteilung Lustig“ | |
Uthoff und von Wagner machten es zu einem breit diskutierten Thema. Für den | |
Skandal sorgten indes die vorgeführten Journalisten selbst: In einer Klage | |
gingen die Zeit-Redakteure Josef Joffe und Jochen Bittner gegen das ZDF | |
vor. Ohne Erfolg. Ihre Argumentation, Fakten seien nicht ganz korrekt | |
wiedergegeben worden, wies das Hamburger Landgericht zurück. Am Kern der | |
Sache änderten die Aussagen nichts, außerdem rechne das Publikum einer | |
Satiresendung ohnehin mit Zuspitzungen. | |
Der Fall zeigte: Bei Satire geht es nicht nur um scharfzüngige Meinungen, | |
sondern auch um brisante Neuigkeiten. Bewusst wählten Uthoff und von Wagner | |
diesen Weg: „Wir wollten Kabarett machen, das sich in die Tiefe wagt. Dazu | |
muss man dann unweigerlich die Fakten bereitstellen“, sagt von Wagner, der | |
„Die Anstalt“ liebevoll „Sendung mit der Maus für Erwachsene“ nennt. D… | |
Stil der Politiklehrstunde ist ihr eigener, keine Vorgabe des ZDF, um etwa | |
einem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag gerecht zu werden. | |
Die Mainzer Redaktion, die für „Die Anstalt“ und die „heute-show“ zust… | |
ist, wird ZDF-intern etwas spöttisch „Abteilung Lustig“ genannt. Und | |
dennoch hören sie dort schon mal anerkennende Worte von der seriösen | |
News-Abteilung der Konkurrenz: Manche Fakten könne einfach nur Satire so | |
klar vermitteln. 2012 erhielten Oliver Welkes Ulk-Nachrichten den | |
renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Journalismus: „Aufklärung | |
mit Genuss in Zeiten des Politikverdrusses und des Misstrauens gegenüber | |
herkömmlicher Berichterstattung“, lobte die Jury. | |
In den USA hat Fernsehsatire schon länger den Status einer kritischen | |
Informationsquelle, erklärt der Marburger Medienwissenschaftler Benedikt | |
Porzelt. Da dort Sender wie das Republikaner-Sprachrohr Fox News politische | |
Themen sehr stark polarisierend wiedergäben, schätzten politisch | |
interessierte Amerikaner die Alternative, sich etwa in der „Daily Show“ | |
kritisch mit politischen Inhalten und der Medienarbeit auseinanderzusetzen. | |
Showmaster Jon Steward kommentiert überdrehte Terrorwarnungen bei Fox | |
ebenso wie idiotische Wahlberichterstattung auf CNN: Kritik an politischem | |
Bewusstsein ist hier Kritik an den Medien – dieses Prinzip hat die | |
„heute-show“ erfolgreich aufgegriffen, auch wenn die hiesige politische | |
Realität zum Glück eine andere ist. | |
## Banalisierung der Politik | |
„In Deutschland haben wir bisher den Luxus gehabt, dass weniger | |
populistisch mit politischen Themen in der Öffentlichkeit umgegangen wird“, | |
so Porzelt. Während die „Daily Show“ den politischen Diskurs vom Boulevard | |
auf die Füße der Realität stellt, sieht der Wissenschaftler die | |
„heute-show“ in der Rolle, breitere Zuschauerschichten für den | |
Politikalltag zu gewinnen. | |
Das geht vor allem mit Vereinfachung. Die „heute-show“ mischt Politsatire | |
mit Comedy-Elementen. Eine solche Diagnose hätte vor zehn Jahren allenfalls | |
ein irritiertes Naserümpfen bei der belesenen | |
„Scheibenwischer“-Zuschauerfront ausgelöst: Comedy haftete lange Zeit das | |
Schmuddelimage des Privatfernsehens an. Sie birgt eine Gefahr, die der | |
amerikanische Kulturwissenschaftler Russell Peterson „pseudo-satire“ | |
schimpft: die Banalisierung der Politik. Das Gewicht von Sigmar Gabriel | |
oder die Mundwinkel von Angela Merkel – auch diese Themen haben ihren | |
Platz. Doch der große Bogen, den Welke bei allen Sidekicks und Wortspielen | |
spannt, ist hochwertiger politischer Wochenkommentar, der die säumige | |
Sportteilleserin bei der informativen Stange hält. | |
Von offizieller Seite aus verneint das ZDF die Absicht, mit der | |
„heute-show“ mehr als Satire senden zu wollen. Juristisch ist das | |
verständlich, denn manchmal bleibt die journalistische Genauigkeit beim | |
euphorischen Entstellen von TV-Ausschnitten dann doch außen vor: So musste | |
sich „heute-show“-Moderator Oliver Welke bei der sächsischen | |
Linken-Politikerin Marlena Schiewer entschuldigen, als er deren verkürztes | |
Zitat aus einem TV-Interview über die AfD in der Show zeigte: Der | |
Ausschnitt hatte den Anschein erweckt, sie halte die AfD für die | |
freundliche Version der NPD. | |
Das ZDF führte dies in einer raschen Stellungnahme auf fehlerhafte | |
Kommunikation innerhalb der „heute-show“-Redaktion zurück. Doch aus der | |
öffentlichen Empörung über den Fall ließ sich der journalistische Anspruch | |
an die Sendung ableiten: Ein Hanns-Joachim-Friedrichs-Preisträger muss | |
seine Satirepfeile mit großer Ernsthaftigkeit abschießen. Anders als etwa | |
bei Stefan Raabs Quatsch-Comedy „TV Total“ lassen sich die Zitat-Buttons | |
der „heute-show“ nicht nach Belieben drücken. | |
## Pathos und Emotionen | |
Auch die im Februar 2014 neu aufgelegte „Anstalt“ muss sich immer wieder | |
dem Vorwurf der Vereinfachung aussetzen. Besonders bewusst scheinen sich | |
die Komiker in Zeiten des Vertrauensverlusts gegenüber den Medien ihrer | |
journalistischen Verantwortung zu sein: Ihren Faktencheck, eine lange, | |
kommentarlose Liste von Weblinks der Onlinequellen, auf die sie ihre Satire | |
aufbauen, stellt „Die Anstalt“ nach jeder Sendung online. Man sei den | |
Nachfragen der ZuschauerInnen nachgekommen, sagen die Kabarettisten. | |
In der Verfügbarkeit des Internet liegt auch der Schlüssel für das | |
grundsätzliche Aufblühen der Satirebranche. Zwar sind „heute-show“ und �… | |
Anstalt“ nach wie vor in den Nischenzeiten des linearen Fernsehprogramms zu | |
sehen, aber permanent in der Mediathek verfügbar. Und dass junge | |
Erwachsene, die Zielgruppe nachwachsender WählerInnen, vor allem im | |
Internet unterwegs sind, weiß nicht nur Medienforscher Porzelt. | |
Das zeigen auch erfolgreiche Netzphänomene wie die „Varoufake“-Debatte üb… | |
den vermeintlich gefälschten Stinkefinger des griechischen Finanzministers | |
in Jan Böhmermanns Show „Neo Magazin Royale“. Oder die | |
„Starbucket-Challenge“, bei der sich „Anstalt“-Fans aus Protest gegen d… | |
Steuersparpolitik der Kaffeehauskette mit Eiskaffee überschütteten – auch | |
wenn die Videoaktion kein Riesending in den sozialen Netzwerken wurde. | |
Dafür nutzen die „Anstalt“-Macher ein Stilmittel, das man in den | |
vergangenen Jahren hierzulande eisern mied: Pathos. Da laden Uthoff und von | |
Wagner den griechischen Überlebenden des deutschen NS-Massakers in die | |
Sendung ein, lassen den Altbarden Konstantin Wecker am Flügel vom Frieden | |
singen – oder fahren gleich einen ganzen Chor syrischer Flüchtlinge am Ende | |
einer Schwerpunktsendung zum Thema Asyl auf. Während sich Jan Böhmermann | |
auf Twitter darüber lustig machte, gab es von der Grimme-Jury dafür den | |
Fernsehpreis 2015 in der Kategorie „Unterhaltung“. | |
Mit Pathos bewegt man Menschen nachhaltiger als mit einer klugen Pointe. | |
Bei einem emotionalen Schluss könnten die Zuschauer die traurigen Zustände | |
nicht mehr weglachen, so Medienwissenschaftler Porzelt. „Die Anstalt“ | |
begegnet damit dem alten Vorwurf an politisches Kabarett, es erfülle nur | |
eine Ventilfunktion für den angestauten Politfrust der Bürger – und | |
verhindere damit politische Aktion. „Mit dem NS in Griechenland kommt man | |
nicht auf die Metaebene“, analysiert Uthoff. „Da wollen wir auch gar nicht | |
hin.“ | |
13 Jun 2015 | |
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[1] http://www.geheimerkrieg.de | |
## AUTOREN | |
Tobias Krone | |
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