# taz.de -- Coming-out von Spitzenmanagern: Unter der rosa Decke | |
> Mit Apple-Chef Tim Cook hat sich einer der wichtigsten Bosse der Welt als | |
> schwul geoutet. In Deutschland trauen sich nur wenige diesen Schritt. | |
Bild: Männer, Männer und noch mehr Männer: Unter deutschen Vorständen gilt … | |
Auf den Einladungskarten steht noch immer „gerne mit Ehefrau“. Harald | |
Christ wundert sich nicht mehr darüber. „Teilweise ist das ein Versehen, | |
viele machen es auch ganz bewusst“, sagt er. Der Christ soll besser allein | |
kommen, seinen Lebenspartner bloß nicht mitbringen. Der Postbank-Chef | |
verzichtet lieber ganz. | |
Harald Christ einen Exoten zu nennen würde ihn kaum stören. Ein deutscher | |
Topmanager, der seine Homosexualität nicht vor Kollegen, Kunden, | |
Geschäftspartnern versteckt, sondern öffentlich darüber spricht. | |
Der 42-Jährige hat sich vor fünf Jahren geoutet, zuvor Karriere bei Banken | |
gemacht, war 2009 Schattenminister von SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier und | |
selbstständiger Finanzinvestor. Er ist reich geworden und jetzt seit zwei | |
Jahren Vorstandschef der Postbank Finanzdienstleistungs AG mit 4.500 | |
Mitarbeitern unter sich. Er ist schwuler Chef. Eine Seltenheit in | |
Deutschland. | |
Ende Oktober erklärte Apple-Chef Tim Cook erstmals öffentlich, er sei | |
schwul. Doch den deutschen Tim Cook sucht man vergebens. Von über 180 | |
aktuellen DAX-Vorständen ist kein einziger Mann offiziell homosexuell. | |
Schon statistisch gesehen eine schiere Unmöglichkeit. | |
## Das Image der Konzerne | |
Insider wissen von 10 bis 20 homosexuellen Männern in DAX-Vorständen. „Ich | |
kenne etliche schwule Topmanager“, sagt etwa Harald Christ. Bisher hat sich | |
aber noch niemand getraut, sich zu outen. „Die Angst des Einzelnen, das | |
Coming-out könnte karrierestörend sein, ist noch immer zu groß.“ | |
Wieso eigentlich? Die Gesellschaft verträgt schwule Außenminister und | |
lesbische Umweltministerinnen, homosexuelle Schauspieler und | |
Talkshowmoderatorinnen. Doch die Wirtschaft tickt anders. Konservativer. | |
Hinter Großkonzernen stehen Aktionäre, Aufsichtsräte, Besitzer und | |
Geschäftspartner. | |
Es geht um Milliardenbeträge und ums Image. Und nicht in allen Ländern und | |
Branchen herrscht ein offenes Klima. Als hinkten besonders Großkonzerne | |
Jahrzehnte der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher, sind sie noch | |
immer männerdominiert. Und heterosexuell. | |
Im Spitzenmanagement ist soziales Netzwerken so wichtig wie Kompetenz. Dazu | |
gehören auch private Einladungen. Und zu Hause hat gefälligst die Ehefrau – | |
hübsch gekleidet – zugegen zu sein, und die Kinder sollen kurz die Köpfe | |
durch die Tür stecken und lächeln. Familienidyll eben. | |
## Eine Männerwelt | |
Es gibt auch die nicht so idyllische Seite. Früher war es normal, „dass | |
Vertragsabschlüsse im Bordell gefeiert wurden“, sagt Bernd Schachtsiek. Er | |
war lange Jahre Chef des Völklinger Kreises (VK), des Vereins für schwule | |
Führungskräfte. | |
Die Nachtclubbesuche sind weniger geworden, sagt er. Aber die Netzwerke | |
heterosexueller Männer, die zusammenhalten, sich abends zu | |
gesellschaftlichen Anlässen oder im Golfclub treffen, die seien nach wie | |
vor vorherrschend. Frauen und offen schwule Männer passen da nicht rein. | |
Dass das Coming-out von Tim Cook Strahlkraft auf deutsche Führungsetagen | |
ausübt, glaubt Schachtsiek daher nicht. „Schwule Topmanager haben sich das | |
gut überlegt, die lassen sich von so etwas nur begrenzt beeindrucken“, sagt | |
er. Man will mit Firmenthemen in die Presse, nicht mit dem Privatleben. | |
Lieber Manager Magazin als Bunte. | |
Um die Bunte zu verhindern, betreiben sie oft einen enormen Aufwand. Manche | |
führen ein Doppelleben. Frau, Haus, Hund und Kinder in der einen Stadt. | |
Wohnung und Affären in der anderen. Einige engagieren ihre beste Freundin | |
als Begleitung für die Öffentlichkeit, inszenieren gemeinsame Urlaubsfotos | |
für den Schreibtisch. Die Praktiken erinnern an den Profifußball. | |
## Aus Gehorsam zum Konzern | |
Führt man 20 Jahre so ein Doppelleben, wird ein Coming-out immer | |
unwahrscheinlicher. „Man könnte als verlogen gelten, Autoritätsverlust | |
erleiden“, sagt Schachtsiek. Dinge, die für Verantwortungsträger Gift sind. | |
Auch John Browne hatte davor Angst. Der frühere Chef des Ölriesen BP führte | |
über 40 Jahre ein Doppelleben, bis er 2007 vom britischen Boulevard geoutet | |
wurde. Er ging daraufhin schneller als geplant in den Ruhestand, wollte dem | |
Konzern „unangenehme Peinlichkeiten“ ersparen. Vorauseilender Gehorsam. | |
Heute sagt er, das sei ein Fehler gewesen. Er bereut, damals nicht gekämpft | |
zu haben. Browne rät allen homosexuellen Managern, sich zu outen. | |
Doch noch kann das ein Karrierehemmnis sein. Es gibt die „gläserne Decke“ … | |
die sonst die Hindernisse von Frauen in der Wirtschaft beschreibt – auch | |
für schwule Männer. Gewissermaßen eine „pinkfarbene Decke“. | |
„Wir hören immer wieder, dass es ab dem mittleren Management Probleme in | |
der Karriere gibt“, sagt Schachtsiek. Keine offene Diskriminierung, | |
subtilere Formen. Ein DAX-Vorstand erzählte ihm einmal, dass er seinen Job | |
nie bekommen hätte, wäre er als schwul geoutet gewesen. Denn über | |
Spitzenposten in der Wirtschaft entscheiden alte Männer in Aufsichtsräten, | |
die andere Lebensformen als die eigene ablehnen. Eine geschlossene Gruppe, | |
konservativ sozialisiert. | |
## Das Risiko ist groß | |
Auch im Mittelstand gehen nur wenige offen mit ihrer Homosexualität um. | |
Thomas Lucke leitet ein mittelständisches Unternehmen mit 150 Mitarbeitern | |
in Süddeutschland. Seinen echten Namen will er nicht in der Zeitung lesen. | |
„In der Firma wissen viele, dass ich schwul bin. Mein Partner ist bei | |
Firmenfesten dabei. Aber so ganz öffentlich möchte ich nicht damit | |
verbunden werden“, sagt er. | |
Auch er will mit dem, wofür sein Unternehmen steht, bei Kunden und | |
Lieferanten im Vordergrund stehen, nicht mit seiner sexuellen Identität. | |
„Die einen tratschen gerne, andere sind schlicht homophob. Das Thema würde | |
alles andere, was man leistet, überlagern.“ Deshalb sagt er nichts, lügt | |
manchmal. Ein Coming-out „bringt ja nichts. Man kommt nicht besser voran im | |
Job. Und das Risiko, dass man auf jemanden trifft, der damit nicht | |
zurechtkommt, ist immer da.“ | |
Großkonzerne setzen seit Jahren vermehrt auf Diversity Management, werben | |
mit der Vielfalt in ihren Unternehmen. Das kann zu einer offeneren | |
Unternehmenskultur beitragen, homosexuelle Mitarbeiter bei ihrem Coming-out | |
unterstützen. Sofern es nicht nur PR-Zwecken dient, um die homosexuelle | |
Kaufkraft abgreifen zu können. | |
## „Intaktes familiäres Umfeld“ | |
Die Betonung im Begriff „Homosexualität“ liegt noch immer auf Sex. Dabei | |
geht es nicht darum, dass Arbeitnehmer nach einem Coming-out im Job von | |
ihren Bettgeschichten berichten. Sondern um ihre sexuelle Identität, darum, | |
dass sie ungezwungen von ihrem Privatleben erzählen können. | |
Harald Christ ist froh über sein Coming-out. „Es war eine innere | |
Befreiung“, sagt er heute. Aber es gab auch Karrierehemmnisse. 2012 war er | |
für einen Spitzenjob im Finanzsektor im Gespräch. Ein Personalberater | |
sagte, er sei perfekt geeignet. Vorschlagen könne er ihn dennoch nicht. Der | |
Konzern suche jemanden „mit intaktem familiärem Umfeld“. In so einem | |
Unternehmen wollte er ohnehin nicht arbeiten. | |
Auch nach Tim Cooks Coming-out gab es üble Medienberichte, Vorwürfe, dass | |
er seine Macht missbrauche, seine Sexualität Privatsache sei und er selbst | |
schlicht arrogant. | |
## Adoptionsrecht für homosexuelle Paare | |
„Es ist empörend, dass manche immer noch nicht kapiert haben, dass es | |
gerade für die Wirtschaft wichtig ist, am Arbeitsplatz ganz | |
selbstverständlich über Homosexualität zu reden“, [1][sagt Sabine | |
Leutheusser-Schnarrenberger]. Die frühere FDP-Bundesjustizministerin | |
engagiert sich seit Jahren für Rechte von Homosexuellen. Für sie steht Tim | |
Cook „in einer Reihe mit vielen Mutigen, die offen über ihre sexuelle | |
Orientierung sprechen“. | |
Leutheusser-Schnarrenberger fordert Gesetzesänderungen vor allem in zwei | |
Punkten: „Erstens muss es auch Menschen erlaubt sein, Kinder zu adoptieren, | |
die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, und diese muss endlich in | |
„gleichgeschlechtliche Ehe“ umbenannt werden, so die Vorsitzende des | |
Förderkreises der [2][//Bundesstiftung:Bundesstiftung Magnus Hirschfeld]. | |
Und: „Zweitens müssen in unseren Gesetzen endlich die sprachlichen | |
Benachteiligungen von LGBTI-Menschen beseitigt werden. Das wäre ein | |
wichtiges Zeichen.“ | |
Alle Betroffenen, mit denen man spricht, wünschen sich einen, der | |
vorprescht. Einen DAX-Vorstand, der rauskommt. Es gibt ein paar aktive | |
Topmanager, die mit ihrer Homosexualität im direkten Umfeld offen umgehen. | |
Die auch mit Journalisten in Hintergrundgesprächen darüber reden, sich | |
jedoch bisher nicht dem zu erwartenden Mediensturm aussetzen wollen. Einige | |
hadern mit sich. Vielleicht kann das Coming-out von Tim Cook ja doch | |
Strahlkraft bis in deutsche Chefetagen entfalten. | |
7 Nov 2014 | |
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## AUTOREN | |
Paul Wrusch | |
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