# taz.de -- Dietmar Wischmeyer über Satire: „Mal die Vernunft im Dorf lassen… | |
> Dass er sich aufregen kann, über Politik und Gesellschaft, sieht der | |
> Satiriker Dietmar Wischmeyer als Zeichen, noch nicht völlig verblödet zu | |
> sein. | |
Bild: „Nervt mich sowieso, diese scheiß Fühlerei dauernd“ – Wischmeyer,… | |
taz: Herr Wischmeyer, sind Sie ein ausgeglichener Mensch? | |
Dietmar Wischmeyer: Oh nein. Ich wäre es gerne, aber ich kann nicht | |
ausgeglichen sein, weil ich mich ja mit der Tagespolitik beschäftigen muss. | |
Ein ekliges Leidwesen meiner beruflichen Tätigkeit. Aber diese | |
Unausgeglichenheit, dieses Sich-noch-aufregen-können ist ja auch ein | |
Lebenszeichen, dass man noch nicht völlig verblödet ist. So lüg’ ich mir | |
das zurecht. | |
Und aus dieser Unausgeglichenheit kommt dann Ihre Wut auf den „Artgenossen, | |
der uns im Wege steht“, wie Sie behaupten? | |
Am Art- und Zeitgenossen nervt mich einfach, dass er so dumm ist. Nie war | |
der Zugang zu Bildung so leicht und so umsonst wie heute. Es wird niemand | |
prinzipiell, sei es aus Geldmangel oder sonst irgendwas, vom Zugang zu | |
Bildung ausgeschlossen. Aber nie waren die Leute so doof. Und je | |
saturierter sie sind und je mehr Geld sie haben, desto blöder werden sie. | |
Das regt mich auf. | |
Und für alle, die das auch aufregt, sind Ihre Auftritte eine Art Katharsis? | |
Das hoffe ich. Das kathartische Moment der Satire ist nicht zu leugnen. Es | |
ist gut, sich den ganzen Scheiß mal von der Seele zu lachen. Die Gefahr | |
dabei ist aber, dass man das schon für Politik hält. Das ist das, was ich | |
an linkem Kabarett immer verachtet habe: dass das Publikum das | |
stellvertretend für politisches Handeln nimmt. Man geht zu einem Auftritt | |
von Volker Pispers und hält sich danach für links. Oder für politisch | |
aktiv, weil man mal so was wie „Dresdner Stichlinge“ oder „Beutelratten“ | |
gehört hat. Das kann es nicht sein. Deswegen finde ich den schlechten Witz | |
häufig besser als den wertvollen Witz, weil er einfach tiefer in der Seele | |
sauber macht. | |
Aber Sie sind ja auch häufiger im ZDF zu sehen. Wenn man vor so alten | |
Leuten auftritt, ist man vom politischen Kabarett auch nicht weit entfernt. | |
Politisches Kabarett hat nicht so viel mit dem Alter zu tun. Und das ZDF | |
wendet sich mit der „heute Show“ ja nicht an den klassischen ZDF-Zuschauer, | |
der da aber trotzdem zuschaut. Der ZDF-Zuschauer guckt etwas, weil es ihm | |
gezeigt wird. Deswegen guckt er sich auch die „heute Show“ an. Und deswegen | |
kommt er auch zu meinen Veranstaltungen und ist oft konsterniert: Das ist | |
nicht seine Welt. | |
Vielleicht weil die Leute Angst vor Ihnen haben. „Der Deutsche hat ständig | |
Angst“, sagen Sie ja selbst. Woher kommt die? | |
Die Urangst des Deutschen ist, dass sich überhaupt irgendetwas verändert. | |
Das will er nicht. Und je älter er wird, desto weniger will er. Siehe | |
Wutbürger und Stuttgart 21. | |
Aber dass gegen Stuttgart 21 protestiert wird, oder die Bewerbung für | |
Olympia in Hamburg abgelehnt wird, ist doch ein Zeichen für einen Rest | |
Intelligenz in einem zu Dummheit neigenden Volk. | |
Das kann durchaus sein. Aber die Motive der Leute, die gegen Stuttgart 21 | |
protestiert haben, sind keine, die nach akribischer Forschung entstanden | |
sind, sondern daraus, dass viele einfach dagegen sind, dass sich irgendwas | |
ändert. Wie erklärt sich dieser Wahnsinnsaufschrei gegen TTIP? Die Leute | |
wissen doch gar nicht, worum es da geht. Jedenfalls nicht in dem Maße, wie | |
sie dagegen demonstrieren. Dass der Datenschutz den Bach runter geht, | |
interessiert hingegen keine Sau mehr. Es ist alles so eine Gefühligkeit. | |
Ich bin nach den Anschlägen von Paris und der Absage des Länderspiels in | |
Hannover gefragt worden, ob ich mich bei Veranstaltungen nun bedroht | |
fühlte. Und ich habe geantwortet, dass es doch scheißegal ist, wie ich mich | |
fühle: Entweder gibt es eine Bedrohung und die stellen Leute fest, die sich | |
hoffentlich besser damit auskennen als ich, oder es gibt keine Bedrohung. | |
Und die 40.000 Leute, die zum Fußball in Hannover gegangen sind, haben sich | |
auch nicht bedroht gefühlt. Die haben lediglich ne’ Durchsage zu hören | |
bekommen, dass sie sich verpissen sollten. Man muss doch mal die Vernunft | |
im Dorf lassen und nicht ständig fühlen. Nervt mich sowieso, diese scheiß | |
Fühlerei dauernd. | |
Das klingt ganz schön obrigkeitshörig. Irgendjemand sagt Ihnen, dass Sie | |
nach Hause gehen sollen, und Sie denken sich nur: Na ja, da wird schon | |
einer wissen, was er macht, dann geh ich mal nach Hause. | |
Obrigkeitshörigkeit ist nicht immer falsch. Sie ist nur dann bescheuert, | |
wenn man alles kritiklos hinnimmt, was einem vom Staat gesagt wird. Das | |
finde ich schon bedenklich. Aber wenn man von Sicherheitskräften gesagt | |
bekommt, dass man sofort das Stadion verlassen solle, weil eine Bedrohung | |
vorliege, dann hoffe ich, dass alle sehr obrigkeitshörig sind und nicht | |
stehenbleiben und das erst mal ausdiskutieren wollen: „Also ich fühle mich | |
jetzt nicht bedroht, Herr Wachtmeister, können Sie nicht mal ein paar | |
Argumente bringen?“ Leck mich am Arsch. Ein bisschen was muss schon | |
funktionieren. Man muss nicht überall Revoluzzer sein. Ich will nicht die | |
Straßenverkehrsordnung an jeder Kreuzung ausdiskutieren. Ich halte einfach | |
an. | |
Aber ist das nicht nur unsere spießige Ader? Ich gehe noch nicht einmal | |
nachts über rote Ampeln – selbst dann, wenn alle an mir vorbei über die | |
Straße marschieren. | |
Das rettet irgendwann Ihr Leben. Garantiert. Ich habe losen Kontakt zu | |
einem Montenegriner, den ich ständig an der Kfz-Zulassungsstelle treffe, | |
weil der irgendwelche Autos aufkauft und irgendwohin verkloppt. Der hat mir | |
mal gesagt, was der große Vorteil an Deutschland ist im Vergleich mit | |
vielen anderen Staaten, auch seiner montenegrinischen Heimat: Die Leute | |
haben Vertrauen zueinander. Wenn ich hier jemandem etwas verkaufe, gehe ich | |
fest davon aus, dass er oder sie es auch bezahlt. Und wenn ich hier über | |
eine grüne Ampel fahre, gehe ich fest davon aus, dass die, die Rot haben, | |
auch anhalten oder stehenbleiben. Das erleichtert das Leben ungemein. Das | |
ist ein großer Vorteil, den ich nicht leichtfertig zugunsten einer falsch | |
verstandenen Freizügigkeit aufs Spiel setzen wollte. Lieber im Großen | |
skeptisch sein und im Kleinen hörig. | |
Sie sind ja ein richtiger Deutschland-Fan. | |
Ja, vieles finde ich gut hier. Alles andere wäre ja auch bescheuert. Es | |
gibt so viel Scheiße auf der Welt, dass man sich auch mal auf die wenigen | |
Sachen besinnen sollte, die hier funktionieren und wirklich gut sind. | |
Schauen wir doch mal auf Deutschland und die Welt: Pegida hasst | |
Flüchtlinge, Politiker und natürlich die Lügenpresse. Russland hasst die | |
Türkei. Und der IS hasst einfach alle. Fällt der Hass schwerer in Zeiten, | |
in denen so viel gehasst wird? | |
Ich glaube, ich hasse niemanden. Es tun mir eher Leute in ihrer selbst | |
verschuldeten Beschränktheit leid. Und man fühlt sich bedroht durch die | |
Dummheit mancher Leute. Ich finde viele Politiker unangenehm. Zumindest in | |
ihrer Politikerrolle gegenüber dem Stimmvieh: Wie sie eiskalt lügen, in der | |
festen Überzeugung, dass sich auch eine Lüge ins Gehirn der Idioten | |
einhämmert, wenn man sie nur oft genug wiederholt. Das finde ich | |
verwerflich. Aber ich hasse sie nicht dafür. Dafür ist mir der Hass ein zu | |
wertvolles Gut, als das ich es an ihnen verschwenden würde. | |
Und die Pegida-Demonstranten? | |
Hassen die wirklich etwas? Hass ist ja eine sehr intensive Leidenschaft und | |
die kommen mir viel zu tumb vor, als dass sie eine so tiefe Emotion | |
überhaupt zulassen könnten. | |
Aber irgendeinen Zorn müssen die als Motivation schon in sich tragen, um | |
sich zu Tausenden zu versammeln. | |
Ja, aber es ist doch interessant, dass vor zwei Wochen, als es ein bisschen | |
kälter war, Tausende weniger da waren. Der Geist von Stalingrad herrscht | |
bei denen also überhaupt nicht. Was sind das für erbärmliche Weicheier? | |
Bloß weil es nur noch drei Grad war, kommen die Schwachmaten nicht mehr. | |
Das kann man doch nicht ernst nehmen. Wenn man eine politische Meinung hat, | |
kann man die doch nicht vom Thermometer abhängig machen. Es war ja nun auch | |
nicht 20 Grad unter Null. Aber ich finde sowieso, dass denen viel zu viel | |
Aufmerksamkeit zuteil wird – mit Gegendemonstrationen und all der | |
politischen Folklore. Ich hab keine Lust, AfD und Pegida in ihrem | |
Märtyrerbewusstsein zu bestätigen. Das sind Idioten. Lasst die doch machen. | |
Widmen Sie sich in Ihrem Programm denen deswegen so verhältnismäßig wenig? | |
Es ist halt sehr leicht auf Pegida einzudreschen. Wem soll ich denn | |
bitteschön noch erklären, dass das verbohrte Idioten sind? Meine Zuschauer | |
oder Zuhörer wissen das doch sowieso schon längst. Und denen, die es nicht | |
wissen, brauch ich es nicht zu sagen, weil ich dann ja eh Teil der | |
Lügenpresse bin. Die würde ich also auch noch bestätigen. | |
Aber viele von denen, die nicht merken, was für Idioten da auf der Straße | |
sind, erreichen Sie gar nicht mehr. Die erreichen auch andere nicht. | |
Bereitet Ihnen das nicht Sorge, dass sich da eine parallele | |
Desinformationsgesellschaft mithilfe der sozialen Medien entwickelt? | |
Das ist wirklich bedrohlich. Es ist nicht dieses Einzelphänomen: Irre auf | |
dem Dresdner Striezelmarkt, die sich auf den Nationalsozialismus einen | |
runterholen. Es ist viel schlimmer, dass sich komplett irregeleitete | |
Paralleluniversen durch die sozialen Netzwerke gegenseitig nur noch | |
bestätigen in ihrer Sicht auf die Dinge, und man gar nicht mehr eindringt | |
in diese Welt. Da kann man mit Aufklärung, Satire und Witzen auch nichts | |
mehr erreichen. | |
7 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Jürn Kruse | |
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