| # taz.de -- Kabarettist über „academixer“: „Wir hätten viel mehr sagen … | |
| > Das Kabarett academixer wird 50. Mitgründer Gunter Böhnke erinnert sich | |
| > an die Anfänge, an die Zensur und die Wendezeit. | |
| Bild: Bernd-Lutz Lange mit Gunter Böhnke im Nach-Wende-Programm „Land in Sic… | |
| taz: Herr Böhnke, im Jahr 1966 haben Sie gemeinsam mit Jürgen Hart, | |
| Christian Becher und Bernd-Lutz Lange das Studentenkabarett academixer | |
| gegründet. Wie kam es dazu? | |
| Gunter Böhnke: 1961 waren die Mitglieder des Studentenkabaretts „Rat der | |
| Spötter“ verhaftet worden – das hat im Westen ziemlich hohe Wellen | |
| geschlagen. Und als unsere Vorgänger, „Die academixer“ vom | |
| Dolmetsch-Institut auch verboten wurden, wollte man nicht, dass das wieder | |
| so hochkocht. Jürgen Hart hat dann den Parteiauftrag bekommen, ein neues | |
| Studentenkabarett zu gründen, das im Grunde das alte sein sollte. | |
| Also haben Sie einfach das „die“ weggelassen? | |
| Ganz genau. | |
| Sie haben Ihr Studium Mitte der 60er Jahre beendet, die Umwandlung zum | |
| Berufskabarett erfolgte aber erst 1980. In Ihrer Studienzeit haben Sie | |
| zwei- bis dreimal im Monat gespielt. Wie hat das danach funktioniert? | |
| Jürgen Hart war Lehrer, ich Redakteur beim ADN (Allgemeiner Deutscher | |
| Nachrichtendienst) in Berlin und Christian Becher arbeitete in der | |
| HO-Bezirksdirektion Frankfurt (Oder). In den ersten Jahren nach dem Studium | |
| haben wir nur selten gespielt und auch nicht immer alle zusammen. Ich | |
| musste jedes Mal aus Berlin anreisen, und wenn der Zug ausgefallen ist, bin | |
| ich getrampt. Einmal bin ich in einen Framo gestiegen, so einen kleinen | |
| Lieferwagen, der nicht schneller als 60 fahren durfte. Ich kam natürlich zu | |
| spät. Das machte aber nichts. In der dritten oder vierten Szene trat ich | |
| einfach mit auf, als müsste das so sein. | |
| War es die Entscheidung des Ensembles, aus dem Studenten- ein | |
| Berufskabarett zu machen? | |
| Wir waren noch jahrelang das Kabarett der Karl-Marx-Universität, später | |
| hieß es dann nur noch Kabarett an der Universität. So ging es bis 1979. | |
| Damals war ich Lektoratsleiter in einem Verlag, hatte Leitungssitzungen | |
| früh um halb sieben und kam nachts um halb drei irgendwo aus Delitzsch oder | |
| Rostock von den Vorstellungen zurück. Deshalb musste die Entscheidung | |
| getroffen werden: Entweder wir hören auf oder wir kriegen eine eigene | |
| Spielstätte. Da wir uns inzwischen einen Namen gemacht hatten, haben wir | |
| 1980 tatsächlich unseren academixer-Keller bekommen. | |
| Viel Platz also für Satire, die ja eigentlich immer eher auf der Seite der | |
| Unterdrückten steht und nach oben tritt. War das zu DDR-Zeiten überhaupt | |
| möglich? | |
| Das war das Hauptproblem des DDR-Kabaretts. Wir mussten uns genau | |
| überlegen, was wir sagen. Aber wir mussten auch nicht direkt Angst haben, | |
| ins Gefängnis zu kommen. | |
| Aber die Zensur hat sich bei Ihrer Arbeit schon direkt geäußert? | |
| Ja, anfangs mussten wir unsere Texte immer einreichen, später drei Wochen | |
| vor der Premiere zur Abnahme vorspielen. Uns haben sie nie ein Programm | |
| verboten, manchmal aber einzelne Strophen. Als wir in den 90er Jahren | |
| Reprisen von alten Texten gemacht haben, waren viele Zuschauer überrascht: | |
| „Mensch, habt ihr das wirklich damals schon gespielt? Da habt ihr euch ja | |
| was getraut.“ Ich selbst habe das früher nie so empfunden. Ich fand, wir | |
| hätten noch viel mehr sagen müssen. | |
| Haben Sie mit der Zeit Tricks entwickelt, um die kritischeren Sachen | |
| durchzukriegen? | |
| Natürlich. Texte, bei denen wir Angst hatten, dass sie gestrichen werden, | |
| haben wir zum Beispiel ein bisschen zur Seite gesprochen. Oder wir haben | |
| gesagt, dass die Szene noch nicht ganz fertig ist und haben beim Vorspielen | |
| ein paar Sätze weggelassen. Aber das konnte auch nach hinten losgehen. Es | |
| gab ja genügend Leute, die Berichte geschrieben haben. Uns hat mal einer | |
| angezeigt, weil wir konterrevolutionäres Programm machen würden. Danach | |
| saßen – das haben wir erst nach der Wende erfahren – vier Wochen lang jeden | |
| Abend zwei Genossen in den Vorstellungen. Die haben aber in ihrem | |
| Abschlussbericht geschrieben, dass sie sehr gelacht hätten und das Programm | |
| optimistisch und vorwärtsweisend sei. Da haben wir Glück gehabt. | |
| Glück hatten sicher auch die, die zu DDR-Zeiten an academixer-Karten | |
| rangekommen sind, oder? | |
| Das war wie eine eigene Währung. Ich konnte zum Beispiel zum Fleischer | |
| gehen und sagen: „Kriege ich zu Weihnachten eine Lende?“ Da hat der mich | |
| gefragt, wie viele Kabarettkarten er kriegt. Er hat die Karten bezahlt, ich | |
| habe die Lende bezahlt, aber die Lende hätte ich ohne die Karten nicht | |
| bekommen. | |
| Sie sind 1990 bei den academixern ausgetreten – hatte das mit der Wende zu | |
| tun? | |
| Ich habe damals teilweise 28 Vorstellungen im Monat gespielt. Ich war | |
| Mitglied der academixer und hatte mit Bernd-Lutz Lange mehrere Programme. | |
| Das wurde irgendwann zu viel. Außerdem hat es mich zutiefst getroffen, dass | |
| bei den academixern so getan wurde, als wäre gar nichts passiert. Die | |
| Arbeit lief weiter, nur ohne die Partei. Es gab nicht ein Gespräch, wo wir | |
| uns mal hingesetzt und gesagt haben: Leute, passt mal auf, jetzt ist ja | |
| hier was passiert in dem Land. | |
| Hat sich die Wende auch an Ihren Zuschauern bemerkbar gemacht? | |
| Wir hatten nach dem 9. November plötzlich halb leere Säle. Die Karten waren | |
| zwar verkauft, aber die Leute waren eben im Westen. Ab Januar waren sie | |
| dann alle wieder da. Das war schon eine schwierige Zeit vom Ende 1989 bis | |
| Mitte der 90er Jahre. Aber die Zuschauer haben zu uns gehalten und die | |
| academixer über die Wende begleitet. | |
| Und hat sich das Publikum im Laufe der Zeit verändert? | |
| Als wir in den 90er Jahren mit unseren Texten aus den 70er Jahren | |
| aufgetreten sind, habe ich einmal durch den Vorhang geguckt und zu Jürgen | |
| Hart gesagt: „Nur Baumwollfelder!“ Da hat der gesagt: „Na und? Das ist do… | |
| unser Publikum! Guck dich doch mal an!“ Und es stimmt: Das Publikum ist bis | |
| heute mit uns mitgegangen. Es sind die Leute, die schon immer da waren. | |
| Erlebt man mit diesen Leuten nicht auch mal Überraschungen? | |
| Es ist furchtbar, wenn man auf der Bühne steht und in der ersten Reihe | |
| sitzt die ganze Zeit einer mit verschränkten Armen und keiner einzigen | |
| Bewegung im Gesicht. Man guckt immer wieder hin: „Hast du den in der ersten | |
| Reihe gesehen? Das ist ja unmöglich!“ Nach der Vorstellung sitzen wir | |
| hinten am Stammtisch, trinken noch ein Bier, da kommt dieser Mann an | |
| unseren Tisch und sagt: „Ich habe mich so amüsiert heute. Vielen, vielen | |
| Dank.“ Da wundert man sich dann schon manchmal. | |
| 16 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Maria Gramsch | |
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