| # taz.de -- Margaret Chos neue Comedy-Show: Lachen über sexuelle Gewalt | |
| > Margaret Cho ist Comedy-Star und queere Ikone. In ihrem neuen Programm | |
| > verarbeitet sie die eigenen Missbrauchserfahrungen. | |
| Bild: „I wanna kill my rapist“, singt sie: Margaret Cho | |
| Den Song hat sie sich bis zum Ende aufgehoben. Vielleicht, weil er zu | |
| schwer für den Einstieg ist. Vielleicht aber auch, damit er in Erinnerung | |
| bleibt. I wanna kill my rapist – Ich will meinen Vergewaltiger umbringen, | |
| singt sie. Lange Note auf dem kill. Margaret Cho, 47, kurzgeschorene Haare, | |
| tätowiert, Comedian. Now you’re dead, gun to your head. Der Song über ihre | |
| Erfahrung mit sexuellem Missbrauch ist ein Ohrwurm. Cause what you did, I | |
| can’t forgive. | |
| Sexuelle Gewalt und Mordfantasien in einer Comedyshow: Margaret Chos | |
| Auftritt im Berliner Quatsch-Comedy-Club unkonventionell zu nennen, wäre | |
| untertrieben. Das Programm „PsyCHO“, mit dem die US-Amerikanerin im | |
| Dezember durch Europa tourt, hat nichts zu tun mit der Kalauerei, die sonst | |
| auf deutschen Comedybühnen serviert wird. | |
| Cho macht Comedy, um abzurechnen. Mit der Politik, mit Sexisten und | |
| Rassisten – und jetzt auch mit Vergewaltigern. „Ich bin eine Überlebende | |
| sexueller Gewalt“, offenbart sie dem Publikum. Als Kind sei sie von ihrem | |
| Onkel jahrelang vergewaltigt worden. Die Wut, den Frust darüber habe sie | |
| gegen sich selbst gerichtet. Zum Lachen ist das erst mal nicht, doch Cho | |
| macht weiter – mit einer Pointe: „Meine Mutter sagt immer: Bei deiner Tante | |
| hat er’s auch gemacht, also halte dich ja nicht für was Besonderes!“ | |
| Das Publikum im Quatsch-Comedy-Club ist Mitte zwanzig bis Mitte vierzig, | |
| vorwiegend LGBT, soweit sich das sagen lässt. Margaret Cho ist eine queere | |
| Ikone: nicht nur weil sie bisexuell ist, sondern auch [1][weil es bei ihr | |
| immer wieder um Sex geht, und um einen positiven Umgang mit der Lust]. | |
| Besonders gern lässt sie sich über ihr eigenes Sexualleben aus: Dass ihre | |
| Vagina alt und fett wird. Dass flotte Dreier sie überfordern. Dass es ihr | |
| niemand so gut besorgen kann wie ihr Vibrator. Cho schöpft aus den | |
| sexuellen Unsicherheiten des Publikums – und das lacht sich vor Dankbarkeit | |
| tot. | |
| Ein paar Stunden zuvor in einem Luxushotel am Kurfürstendamm. Durch die | |
| Lobby wabert Fahrstuhlmusik, Margaret Cho nippt an einer Tasse Grüntee. Wie | |
| kommt es, dass sie jetzt über ihre Missbrauchserfahrung spricht? „Ich habe | |
| von Anfang an darüber gesprochen, seit es passiert ist, auch auf der Bühne. | |
| Den Leuten war es aber zu peinlich, sie haben es ignoriert.“ Dass das Thema | |
| jetzt mehr Aufmerksamkeit erregt, hat für sie damit zu tun, dass sich | |
| Einstellungen verändern. „Mehr Opfer sind heute bereit, an die | |
| Öffentlichkeit zu gehen. Das macht es schwerer für die –“, sie benutzt das | |
| Wortpredators,„– Raubtiere“. | |
| Das Schweigen über Missbrauch, sagt sie, ist Futter für die Raubtiere. Dass | |
| das Problem weiterhin aus der Öffentlichkeit gedrängt und in therapeutische | |
| Praxen verbannt werde, helfe vor allem den Tätern. „Sie kommen immer und | |
| immer wieder durch. Das ist, was mich antreibt, ich will die Unschuldigen | |
| beschützen und die Überlebenden heilen.“ | |
| ## Lachen um zu überleben | |
| Aber ist eine Comedybühne der richtige Ort, um Menschen an ihre Erfahrungen | |
| mit sexueller Gewalt zu erinnern? „Wahrscheinlich nicht – nein, es ist kein | |
| angemessener Raum, eigentlich richtig grauenvoll.“ Sie amüsiert sich über | |
| diese Feststellung, denkt dann kurz nach. „Ich weiß nicht, ob es in Ordnung | |
| ist, über Vergewaltigung zu lachen – ich weiß nur, dass ich darüber lachen | |
| musste, um zu überleben.“ | |
| Margaret Cho wächst als Kind einer koreanischen Einwandererfamilie im San | |
| Francisco der 70er Jahre auf. Ihre Eltern betreiben einen schwulen | |
| Buchladen, als 1978 mit dem Stadtrat Harvey Milk der Hoffnungsträger der | |
| schwullesbischen Bürgerrechtsbewegung ermordet wird. Wenige Jahre später | |
| erlebt Cho, wie die Aids-Epidemie große Teile der queeren Community | |
| förmlich auffrisst. In dieser Zeit spielt Cho, damals eine Teenagerin, ihre | |
| ersten Comedyshows, auf kleinen Bühnen in der Nachbarschaft. Lachen und | |
| Leid sind für sie von Anfang an verknüpft. „Die Leute brauchten damals | |
| Comedy, sie brauchten Katharsis, um mit dem ganzen Tod um sie herum | |
| fertigzuwerden – um damit fertigzuwerden, dass sie noch am Leben waren.“ | |
| Aber auch eigene Frusterfahrungen mit Rassismus und Sexismus prägen Chos | |
| Kunst. 1994 wird sie die erste asiatische Protagonistin in einer | |
| amerikanischen Fernsehserie, der Sitcom „All American Girl“. Beim Dreh | |
| wirft man ihr vor, sie sei zu dick, also hungert sie sich in die gewünschte | |
| Körperform, bis sie mit Nierenversagen ins Krankenhaus muss. Die Serie | |
| floppt, ihre Rolle verkommt zum asiatischen Klischee. | |
| ## Laute Provokation | |
| Heute ist sie eine der beliebtesten Comedians sowohl bei | |
| asiatisch-amerikanischen als auch LGBT-Communitys in den USA. In ihrer | |
| Comedy verwandelt Cho den Subtext der Diskriminierung in laute Provokation. | |
| Was nicht gesagt werden darf, was die Prüden, Konservativen, die Weißen zum | |
| Erröten bringt, ist für Cho die ideale Pointe. „Bei weißen Schwänzen füh… | |
| ich mich immer exotisch“, verkündet sie auf der Bühne und mimt dabei das | |
| Klischee vom schüchternen asiatischen Mädchen. Selbstironie ist ihre | |
| Stärke, anstatt nach anderen zu treten, macht sie sich selbst zur | |
| Witzfigur. Das macht sie zugänglich und glaubhaft. Man nimmt ihr ab, dass | |
| ihr die ernsten Themen trotz Klamauk tatsächlich ernst sind. | |
| Überhaupt sind Ernst und Komik für Cho keine grundsätzlichen Unterschiede. | |
| „Klar, ich spreche über sexuellen Missbrauch, über Rassismus und Trauer. | |
| Ernste Sachen. Aber für mich hat das alles auch etwas Lächerliches. Es ist, | |
| als wäre ich Notärztin. Die sehen täglich so viel Leid und Tod – und sie | |
| nehmen es mit Humor. Comedy ist ein Heilmittel.“ Cho will, dass ihre | |
| ZuschauerInnen emotional reagieren. Das muss nicht unbedingt Lachen sein, | |
| sagt sie. „Viele weinen auch. Heulen so richtig. Das ist doch ebenso | |
| erfreulich.“ | |
| Cho fühlt sich bestätigt, wenn ZuschauerInnen nach dem Auftritt zu ihr | |
| kommen oder ihr schreiben, um über Missbrauchserfahrungen zu sprechen. | |
| Besonders erstaunt sie, dass die Hälfte der Opfer, die sich ihr | |
| anvertrauen, Männer sind. „Sexuelle Gewalt hat kein Geschlecht. Männer | |
| leiden darunter, nicht darüber zu sprechen zu können, was ihnen passiert | |
| ist. Viele männliche Opfer haben sich mir anvertraut, aber anonym in den | |
| sozialen Medien.“ | |
| ## Den Vergewaltiger in sich töten | |
| Frauen dagegen würden immer aufgefordert, zu vergeben, was Cho aufregt. | |
| „Warum sollte ich vergeben? Das Gerede von der Vergebung unterdrückt | |
| Frauen. Wir schlucken unsere Wut herunter und richten sie letztlich gegen | |
| uns selbst.“ Früher kämpfte Cho mit Süchten, Essstörungen und Depressione… | |
| für sie alles Folgen einer Missbrauchserfahrung, die noch in ihrem System | |
| steckte. „Heute erlaube ich mir meine Wut, die Wut ist meine | |
| Leibwächterin.“ | |
| [2][Zu ihrem Song kill my rapist hat Cho ein Musikvideo gedreht]. Darin | |
| versammelt sie bewaffnete junge Frauen und Mädchen auf einem Spielplatz, | |
| während im Kofferraum ihres Autos ein gefesselter Mann liegt. Ihre | |
| Abrechnung mit dem Onkel? „Mir gefällt die Idee von Rache. Natürlich keine | |
| echte Rache. Der Song handelt davon, den Vergewaltiger zu töten, der noch | |
| in uns ist.“ Am Ende des Videos jagt der weibliche Mob den Mann in eine | |
| Sackgasse. Die Frauen halten ihn fest, während Cho mit einem | |
| Cricketschläger ausholt – Schnitt. Cho erwacht auf der Couch eines | |
| Therapeuten. | |
| 22 Dec 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.funnyordie.com/videos/53a6eac121/peaches-new-song-dick-in-the-ai… | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?v=7TXCmkhr-nE | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Weissenburger | |
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