| # taz.de -- Vergewaltigung an US-Universität: Ein schrecklicher Prozess | |
| > Ein Sportstar vergewaltigt an der Uni Stanford eine bewusstlose Frau. Er | |
| > schiebt Alkohol als Grund vor und erhält eine sehr geringe Strafe. | |
| Bild: Schon im September 2015 protestiereten Studentinnen und Studenten gegen V… | |
| Mit großen blauen Augen schaut Brock Turner in die Kamera. Erschrocken | |
| sieht er aus und sehr jung, sogar für seine 20 Lenze. Es ist das Täterfoto, | |
| das die Polizei anfertigte, als sie ihn festnahm. Er ist ein Topschwimmer, | |
| gerade erst in der kalifornischen Eliteuni Stanford zugelassen, einer | |
| dieser Athletenstars, die über den Sport den Aufstieg vom Nobody aus dem | |
| Mittleren Westen zum Studenten an der Uni geschafft haben. | |
| Diese blauen Augen schauen die AmerikanerInnen seit März aus Zeitungen, | |
| Fernsehbildern und im Netz an – doch sie rufen wenig Mitleid hervor: Brock | |
| Turner ist verurteilt, weil er auf einer Party eine Studentin vergewaltigt | |
| hat, die offenbar nicht bei Bewusstsein war. Nun reist das Bild des | |
| Spätpubertierenden weiter durch die Welt, denn er hat für die Tat nur eine | |
| sechsmonatige Haftstrafe und einen Eintrag ins Register für | |
| Sexualtstraftäter bekommen. | |
| Möglich wären bis zu 14 Jahre Haft gewesen, die Staatsanwaltschaft hatte 6 | |
| Jahre gefordert. Der Richter fühlte mit dem Täter, eine längere Haftstrafe | |
| könnte einen gefährlichen Einfluss auf den Jungen haben, erklärte er. Der | |
| Vater des Jungen hatte einen Brief ans Gericht geschrieben: Der Junge sei | |
| mit dem College-Alltag nicht zurechtgekommen und habe zu viel getrunken. Er | |
| esse nicht mal mehr sein Lieblingssteak: Rib Eye. Niemals sei er in seinem | |
| Leben gewalttätig geworden, auch nicht in der besagten Januarnacht 2015. | |
| Brock Turner hat nie gestanden. Sein Verteidiger plädierte auf Freispruch. | |
| Die Strategie: Der Sex sei einvernehmlich gewesen, das Opfer habe erst im | |
| Nachhinein einen Filmriss gehabt. Der Junge äußerte sich also im Sinne | |
| seines Verteidigers – und leugnete. Der Anwalt versuchte, das Opfer zu | |
| diskreditieren, das Bild einer promiskuitiven Schlampe mit Alkoholproblem | |
| zu entwerfen. Vergeblich: Zwei Zeugen hatten gesehen, wie Brock die Frau | |
| sexuell attackierte, die sich nicht bewegte und offenbar bewusstlos war. | |
| Sie hatten gerufen, er war weggerannt. Die Jury glaubte ihm nicht, er wurde | |
| verurteilt. Und leugnete bis zum Schluss. | |
| ## Opfer weniger sichtbar | |
| Emily Doe hat kein Gesicht. Sie ist das Opfer. Geschützt vor der | |
| Öffentlichkeit, aber dadurch auch weniger sichtbar. Emily Doe ist ein Name | |
| wie die deutsche Erika Mustermann. Ihr zerstörtes Leben kam in dem Urteil | |
| nur noch als „Ja, aber“ vor. Schlimm für sie, aber man kann doch diesem | |
| Jungen nicht das Leben zerstören. Eine Gefängnisstrafe, so hatte der Vater | |
| geschrieben, „das ist ein hoher Preis für 20 Minuten Aktion“. Sein Sohn | |
| verspricht nun, sich gegen Binge Drinking und sexuelle Promiskuität auf dem | |
| Campus einsetzen. | |
| Das war eins zu viel für Emily Doe. Es wurde nicht ein Leben, sondern zwei | |
| Leben wurden zerstört, schreibt sie in einer 13-seitigen Stellungnahme, die | |
| im Internet nachlesbar ist. Sie schreibt gut und eindringlich, der Text | |
| wurde berühmt. Sie sei zu betrunken gewesen, um noch in irgendeiner Weise | |
| ihr Einverständnis geben zu können. Aber das habe Brock Turner auch | |
| überhaupt nicht interessiert. | |
| Und nun erfährt die Welt, was vor Gericht mit Opfern von Vergewaltigungen | |
| passiert. Sie beschreibt akkurat die Geschichte einer Retraumatisierung | |
| durch einen Täter, der lügt. Der die Tat nicht anerkennt. Der behauptet, | |
| sie habe nie stattgefunden. Und der denkt, das Problem sei das Trinken von | |
| Alkohol. Dessen Vater ein Verbrechen als „20 Minuten Aktion“ bezeichnet und | |
| sich Sorgen macht, weil der Sohn sein Rib-Eye-Steak nicht mehr mag. Der | |
| auch noch belohnt wird in Form einer milden Strafe. Und plötzlich ist die | |
| Tat schon fast verschwunden. Das nennen Fachleute schon seit einiger Zeit | |
| „Rape Culture“ – Vergewaltigungskultur. | |
| Das Netz tobt. Auf Change.org wird eine Petition zur Absetzung des Richters | |
| Aaron Persky innerhalb von zwei Tagen von 200.000 Menschen unterzeichnet. | |
| „Richter Persky hat nicht gesehen, dass die Tatsache, dass Brock Turner ein | |
| weißer männlicher Starathlet an einer prestigeträchtigen Universität ist, | |
| ihn nicht zur Nachsicht berechtigt“, heißt es darin unter anderem. Hat | |
| dieses Verfahren das Zeug zu einem Wendepunkt in der Rape Culture? | |
| ## Rechtssystem muss auch Opfer schützen | |
| Eher nicht: Juristisch ist doch alles korrekt gelaufen, sagen manche | |
| Kommentatoren. Der Junge ist verurteilt. Doch die Verteidigungsstrategie | |
| war darauf angelegt, eine Gegnerin zur Strecke zu bringen, als herrsche | |
| Waffengleichheit und „der Bessere möge gewinnen“. Wie ein Spiel. | |
| Dass der Einsatz in diesem Spiel die Zerstörung der Persönlichkeit eines | |
| Opfers ist, das schon lange keine Lieblingssteaks mehr isst, nimmt die | |
| Justiz bisher nur zur Kenntnis. Da ist etwas falsch. Das wird nicht dadurch | |
| richtiger, dass man das Leben des Täters mit zerstört, ihn zum Beispiel in | |
| einem öffentlich einsehbaren Register für Sexualstraftäter führt. „Suchen | |
| Sie hier nach Name oder Wohnort“, lädt die Internetseite der kalifornischen | |
| Polizei ein. | |
| Das Rechtssystem muss nicht nur von der Unschuldsvermutung ausgehen und | |
| Resozialisierung anstreben, sondern es muss auch Opfer schützen. An diesem | |
| Punkt sind wir noch lange nicht. Und so lange wird es quälende schreckliche | |
| Vergewaltigungsprozesse geben. | |
| 8 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Heide Oestreich | |
| ## TAGS | |
| USA | |
| Vergewaltigung | |
| Rape Culture | |
| Gina-Lisa Lohfink | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Sex | |
| sexueller Missbrauch | |
| Luft und Liebe | |
| Vergewaltigung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Der Fall Gina-Lisa Lohfink: Ein Opfer von Sexismus | |
| Lohfink sagt, sie wurde vergewaltigt. Das Gericht glaubt ihr nicht. Wie | |
| geht die Gesellschaft mit mutmaßlichen Opfern sexueller Gewalt um? | |
| Margaret Chos neue Comedy-Show: Lachen über sexuelle Gewalt | |
| Margaret Cho ist Comedy-Star und queere Ikone. In ihrem neuen Programm | |
| verarbeitet sie die eigenen Missbrauchserfahrungen. | |
| Kolumne Luft und Liebe: Keine Frage des Pimperns | |
| Prinz Andrew und Bill Cosby wird Vergewaltigung vorgeworfen. Warum die Rede | |
| von „Sex-Skandalen“ und „Sex-Vorwürfen“ sehr falsch ist. | |
| Sexueller Missbrauch im US-Schwimmen: Akte des Grauens | |
| US-Schwimmerinnen greifen den Verband an, weil Hinweise auf sexuellen | |
| Missbrauch ignoriert werden. Eingeleitete Reformen seien halbherzig. | |
| Kolumne Luft und Liebe: Kommentarloses Kopulieren | |
| Kalifornien hat ein neues Gesetz für einvernehmlichen Sex. Wie haben | |
| eigentlich die Leute Sex, die sich über „Yes means yes“ aufregen? | |
| Nagellack gegen Vergewaltigungen: Kratzfester Beschützer | |
| Ein neuer Nagellack soll Frauen vor K.O.-Tropfen schützen. Schon wieder | |
| sind es die Frauen, die dafür sorgen müssen, dass ihnen nichts angetan | |
| wird. |