| # taz.de -- LGBT in Honduras: „Bleiben ist keine Option“ | |
| > César Lainez setzt sich für die Rechte Homosexueller ein. Doch vor der | |
| > Gewalt gegen Homosexuelle will er mit seinem Freund fliehen. | |
| Bild: Vom Aktivisten zur Königin der Nacht: César Lainez vor dem Drag Queen C… | |
| Tegucigalpa taz | César Lainez eilt die von Geschäften und | |
| Handwerksbetrieben gesäumte dritte Avenida im Zentrum von Tegucigalpa | |
| entlang. Er ist spät dran und kommt außer Atem vor der mit einem Gitter | |
| gesicherten massiven Holztür an, auf der ein Regenbogen-Plakat prangt. Sein | |
| Kollege Donny Reyes wartet bereits und unterhält sich mit Rubi Ferreira. | |
| Rubi alias Rubén ist 26 Jahre alt, wirkt androgyn und arbeitet sporadisch | |
| auf dem Strich ein paar Straßen weiter. | |
| Dort lassen die Unternehmer ab 18 Uhr die Rollläden runter. „Dann übernimmt | |
| die Nachtschicht. Die ersten Prostituierten tauchen dann in den | |
| Hauseingängen auf, und die Imbisswagen machen sich auf den Gehsteigen | |
| breit“, erklärt Reyes und fordert Ferreira mit einem Wink auf, ins Büro von | |
| Arcoíris zu treten. | |
| Arcoíris bedeutet Regenbogen und ist eine von einer Handvoll | |
| Organisationen, die sich für die Rechte der Lesben, Schwulen, Bi- und | |
| Transsexuellen in Honduras engagieren. Mit den vier Buchstaben LGBT – für | |
| Lesbian, Gay, Bi- und Transsexuell – können nur wenige etwas anfangen. In | |
| der Szene sind sie hingegen gebräuchlich. „Schwul sein und schwul auftreten | |
| ist selbst an den Universitäten noch ein Tabu“, klagt Lainez und rollt mit | |
| den Augen. | |
| Zwar ist Homosexualität in Honduras nicht strafbar, aber Diskriminierung | |
| ist ähnlich wie in El Salvador oder Guatemala weit verbreitet. Lainez | |
| studiert Finanzverwaltung an der öffentlichen Universität von Tegucigalpa | |
| und kann bereits einen Abschluss in Informatik vorweisen. „Hier ist das | |
| Gros der Bevölkerung superreligiös, die Heteroehe ist quasi obligatorisch | |
| und jedwede andere Lebensform wird schlicht nicht akzeptiert“, erklärt er | |
| und lässt sich auf den Schreibtischstuhl fallen. | |
| Lainez trägt eine Tolle und hat sich die Seiten und den Hinterkopf | |
| ausrasieren lassen. Seit 2013 gehört der 25-Jährige mit den auffällig | |
| vollen Lippen zu dem halben Dutzend Aktivisten, die sich bei Arcoíris | |
| engagieren und im Rahmen der bescheidenen Möglichkeiten weiterhelfen. | |
| „Zuhören, beraten und nach Alternativen suchen. So in etwa lautet die | |
| Reihenfolge, wenn hier jemand neu ankommt“, sagt er. | |
| ## Unklar, ob die Polizei ermittelt | |
| Heute versucht er Rubi Ferreira zu helfen. Die wurde vor zwei Wochen von | |
| zwei Freiern brutal zusammengeschlagen, als sie diese aufforderte, für ihre | |
| Dienste zu zahlen. „Das kommt häufig vor. Wir haben Anzeige erstattet, aber | |
| ob die Polizei wirklich ermitteln wird, wissen wir nicht. Die ist oft Teil | |
| des Problems“, sagt Lainez. Übergriffe gegen Mitglieder der LGBT-Szene | |
| vonseiten der Polizei hat es viele gegeben, und die Mitarbeiter von | |
| Arcoíris haben eine ganze Reihe davon dokumentiert, aber auch unzählige | |
| Gewaltdelikte von Zivilisten. Viele davon in Concepción, so heißt der | |
| wuselige Stadtteil von Honduras’ Hauptstadt, in dem Arcoíris seit 2003 | |
| aktiv ist. | |
| Lainez wurde 2006 auf die Einrichtung aufmerksam. „Damals kam ich mit dem | |
| Arcoírs-Gründer Reyes ins Gespräch“, erinnert er sich. Heute wohnen die | |
| beiden zusammen, und auch Lainez’ 18-jähriger Freund Moises Orellana ist in | |
| der 3-Zimmer-Wohnung in der Colonia Cerro Grande untergekommen. Die liegt | |
| ein paar Kilometer entfernt auf einem der bebauten Berghänge, die das | |
| Zentrum umgeben. Sie hat schon oft als Herberge für junge Männer gedient, | |
| die zu Hause rausgeflogen sind. | |
| Eltern, die ihre Kinder verstoßen, weil die sich zum gleichen Geschlecht | |
| orientieren, gibt es viele in Honduras. Lainez selbst hat Glück gehabt, | |
| denn seine Mutter versucht zwar nach wie vor seiner Homosexualität mit | |
| christlichen Argumenten zu begegnen, hat ihn aber nie verstoßen. Bei | |
| Orellana war das anders. „Nach dem Tod seiner Mutter im März vergangenen | |
| Jahres hat ihn seine ältere Schwester aufgenommen. Vor ein paar Monaten hat | |
| sie ihn dann vor die Tür gesetzt, weil seine Homosexualität ein Risiko für | |
| ihre beiden Kinder sei“, erzählt Lainez. Er hat noch versucht zu vermitteln | |
| – erfolglos. | |
| Schließlich hat er seinen schlaksigen Freund aufgenommen. Orellana geht in | |
| eine protestantische Schule und soll zumindest das halbe Jahr bis zum | |
| Abitur noch durchhalten. Das ist alles andere als einfach: „Hier sind die | |
| katholischen und protestantischen Kirchen sehr konservativ eingestellt; sie | |
| schüren Stigmata und Vorurteile gegen uns Schwule“, kritisiert Lainez. | |
| ## „Bodensatz der Toilette!“ | |
| Orellana, der gerade ins Büro getreten ist, hat die letzten Worte | |
| mitbekommen: „Unsere Rektorin hat mich heute als Bodensatz der Toilette | |
| bezeichnet – vor all den anderen Schülern. Nur weil ich schwul bin“, sagt | |
| er verzweifelt. Am liebsten würde Orellana hinschmeißen, denn die ständige | |
| Diskriminierung macht ihn mürbe. | |
| Doch da macht Lainez nicht mit: „Ohne Abitur hast du keine Chance“, erklärt | |
| er leise und eindringlich und streichelt seinem Freund über den Kopf. | |
| Lainez will nicht warten, bis sich die Verhältnisse in Honduras ändern – er | |
| hat sich entschieden auszuwandern. „Nur will ich nicht ohne echte | |
| Perspektive als illegaler Hilfsarbeiter in den USA landen, sondern lieber | |
| mit offiziellen Visa und Arbeitserlaubnis in Mexiko, Chile oder Spanien“. | |
| Klare Ziele. Die soll sich auch Orellana zu eigen machen. | |
| Orellana ist ein aufgeweckter und über beide Ohren verliebter junger Mann. | |
| Über Facebook hat er sich an Arcoíris gewandt, dort auch gleich das Profil | |
| von Lainez gesehen. „Ich fand ihn sofort hinreißend, und er hat mir | |
| zusammen mit seinem Kollegen Reyes weitergeholfen, sich wie ein Gentleman | |
| verhalten. Da habe ich mich verliebt“, erklärt er etwas verschämt im | |
| Hinterhof von Lainez’ Büro. Der hat Rubi Ferreira gerade die Adresse eines | |
| Anwalts rübergeschoben und verabschiedet sie dann. | |
| In den fünf Monaten ihrer Beziehung hat Orellana neue Facetten des schwulen | |
| Lebens in Tegucigalpa kennengelernt. Das findet weitgehend im Verborgenen | |
| statt. Viele der jungen Männer, die sich regelmäßig bei Arcoíris treffen, | |
| im Vorderraum vor dem Fernseher, bei Musik oder beim Kartenspielen | |
| abhängen, haben schlechte Erfahrungen gemacht. | |
| So wie Victor alias Paola. Dem schmächtigen 25-Jährigen hat man im Mai | |
| einen 22er-Revolver an die Wange gehalten und abgedrückt. „Die Kugel steckt | |
| noch im Hinterkopf, und niemand weiß, wer dafür verantwortlich war“, | |
| erklärt Lainez mit vor Empörung zitternder Stimme. Mindestens drei Morde an | |
| Transsexuellen hat es in diesem Jahr bereits gegeben. Eines der Opfer, | |
| Angie Ferreira, kannte Orellana persönlich, und auch an die Vergewaltigung | |
| von Marco Aurelio kann er sich gut erinnern. „Der kam, zwei Stunden nachdem | |
| er sich verabschiedet hatte, blutend zurück. Militärpolizisten hatten ihn | |
| aufgegriffen“ sagt er mit stockender Stimme. | |
| Marco Aurelio, ein LGBT-Aktivist aus der Stadt La Ceiba, war anlässlich der | |
| Jubiläumsparty von Arcoíris nach Tegucigalpa gekommen und gehört zu den | |
| bekannten Gesichtern der Comunity. Auch Arcoírs-Gründer Reyes wurde 2007 | |
| festgenommen, von Polizisten geschlagen, gefoltert und schließlich in eine | |
| Zelle gesperrt, wo mehrere Häftlingen ihn vergewaltigten. „Bis heute sind | |
| die Schuldigen nicht zur Verantwortung gezogen worden“, sagt Lainez leise. | |
| ## Gewalt bleibt ungeahndet | |
| Typisch für Honduras, wo 98 Prozent der Gewaltverbrechen an Mitgliedern der | |
| LGBT-Szene nicht geahndet werden. „Wir werden wie der letzte Dreck | |
| behandelt. Die Homophobie ist weit verbreitet, und nur punktuell, so wie | |
| hier, sind wir leidlich sicher“, sagt Reyes. Er vertritt die Organisation | |
| nach außen, hält den Kontakt zu Botschaften, ist ständig auf der Suche nach | |
| Unterstützung. Für Sicherheit sorgen soll eine Polizistin, die nun immer in | |
| der Nähe des Eingangs sitzt. | |
| Im Arcoírs steigen auch die Partys der Community. Für einen | |
| Dragqueen-Contest hatte sich Lainez vor Kurzem noch einmal in seinen engen | |
| Tüllfummel geschmissen, sich kunstvoll schminken lassen und sich so peu à | |
| peu in Alessa Jones verwandelt. Mehrere Tage hat er mit den anderen die | |
| Choreografie für die Tanz- und Laufstegshow einstudiert, denn schließlich | |
| ist er als Alessa Jones im vergangenen Jahr zur Königin von Arcoíris gekürt | |
| worden. Das verpflichtet. | |
| Doch bei dem einen Titel wird es bleiben. Für das Paar ist klar, dass sie | |
| in Honduras nur noch auf Zeit leben. Orellana träumt davon, Lainez zu | |
| heiraten und Tourismus zu studieren. In Honduras undenkbar. „Mexiko wäre | |
| eine Option, doch lieber noch würden wir nach Spanien oder Chile gehen“, | |
| sagt er und blickt zu Lainez. Der nickt und packt dann weiter seinen | |
| Rucksack. In einer halben Stunde beginnt sein Seminar an der Uni. | |
| 1 Jan 2016 | |
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| Knut Henkel | |
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