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# taz.de -- LGBTQ-Aktivist_in über North Carolina: „Das Einzige, was uns ret…
> Der US-Bundesstaat North Carolina schränkt kontinuierlich die Freiheiten
> der LGBTQ-Community ein. Elias Lyles organisiert den Protest dagegen.
Bild: Protest von People of Color und LGBTQ-Aktivist_innen im Senatsgebäude vo…
taz: Elias Lyles, das sogenannte House Bill 2 verbietet trans* Menschen
unter anderem, die Toilette ihrer Wahl zu nutzen. Wird man nun
festgenommen, wenn man eine öffentliche Toilette benutzt?
Elias H. Lyles: Es ist völlig unklar, wie die Regelung umgesetzt werden
soll. Da es sich nicht um Strafrecht handelt, ist es im Grunde ein
unanwendbares Gesetz. Es geht vor allem darum, der LGBTQ-Community
(lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, transsexuelle, intersexuelle
und queere Menschen; Anmerkung d. Red.) Angst einzujagen und den Alltag in
der Öffentlichkeit zu erschweren. Technisch gesehen, kann man nicht
festgenommen werden, weil man eine Toilette benutzt, die nicht dem
Geschlecht auf der Geburtsurkunde entspricht. Aber da das House Bill 2
(HB2; d. Red.) eine Leitlinie formuliert, kann es passieren, dass
Sicherheitspersonal versucht, diese umzusetzen, und Menschen wegen
widerrechtlichen Betretens eines Grundstücks festgenommen werden. Wer sich
umzieht oder seinen Körper in einer Umkleidekabine zeigt, der_dem könnte
eine Straftat wie unsittliche Entblößung zur Last gelegt werden. HB2 erhöht
das Risiko, dass queere und trans* Menschen kriminalisiert werden.
[1][HB2 ist ein ganzes Paket], es regelt zum Beispiel auch, dass Städte
keinen Mindestlohn mehr bestimmen dürfen.
Der Gesetzgeber hat eine Passage hinzugefügt, die die Mindestlohnregelungen
aufhebt und weitere Vorgaben zu Gehältern und Versorgungsleistungen
verbietet. Das Gesetz ist ein Angriff auf die Arbeiterbewegung. Das passt
ins Bild: Erst kürzlich hatte North Carolina Städten im gesamten
Bundesgebiet verboten, sich zu sicheren Zufluchtsorten für Immigrant_innen
zu erklären.
Wozu das alles?
Wir interpretieren diese Entwicklungen als Backlash, der die
LGBTQ-Community daran hindert, auf lokaler Ebene gegen Diskriminierung
vorzugehen – eine Strategie, mit der wir bisher sehr erfolgreich waren.
[2][HB2 ist Teil des ständigen Versuchs, verschiedene Gruppen zu
kriminalisieren und zu entmenschlichen]: Schwarze, Migrant_innen, Frauen,
trans* und gender-queere Menschen, arme Menschen und generell die
Arbeiterklasse. Die politische Rechte gibt sich große Mühe, diesen Gruppen
den Zugang zu Grundrechten und Schutz zu verwehren. Dabei sind all diese
Gruppen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt bereits am stärksten
benachteiligt.
Warum kommen solche Gesetze vornehmlich in den Südstaaten zustande?
Der Süden ist oft ein Versuchslabor für Rechtsvorschriften dieser Art. Das
ist nichts Neues. Noch vor 40 oder 50 Jahren wurde hier darüber gestritten,
ob Schwarze und Weiße die gleichen Toiletten benutzen dürfen. Nun
wiederholt sich der Streit, wenn es um trans* Menschen geht. HB2 hat daher
viel mit der Geschichte von Hass, Segregation und Gewalt gegen Menschen im
Süden zu tun. In den Vereinigten Staaten sind Polizei und Strafverfolgung
von jeher eine Bedrohung für die schwarze Community gewesen, wir wissen
auch das schwarze Trans*-Frauen mit am stärksten von Polizeigewalt
betroffen sind. Wenn etwas passiert, beschützt die Polizei die Leute nicht.
Das zeigen die vielen Fälle der letzten Monate, bei denen People of Color
von Polizisten erschossen wurden. Wir haben im Süden auch die Erfahrung
gemacht, dass weder prominente Politiker_innen noch hochtrabende
juristische Strategien uns retten. Das Einzige, was uns retten kann, sind
wir selbst.
Was unternehmen Sie?
Wir gehen gegen das Gesetz auf die Straße und halten uns nicht an die
Regeln. Wir orientieren uns am Besten, was uns die Bürgerrechtsbewegungen
gelehrt haben, wie die lunch counter sit-ins der 60er und der spontane
zivile Ungehorsam der Stone Wall. Und wir haben viel von der
„Not1More“-Kampagne und der „BlackLivesMatter“-Bewegung gelernt.
Mit der „Not1More“-Kampagne haben sich vor allem Jugendliche ohne Papiere
für die Reform des Einwanderungsgesetzes und gegen Deportationen
eingesetzt. BlackLivesMatter wehrt sich gegen strukturellen Rassismus und
Polizeigewalt.
Genau. HB2 ist dem Angriff auf migrantische und Schwarze Communitys sehr
ähnlich: Es ist der Versuch, unsere Körper zu kontrollieren und zu
regulieren. Weil die Rhetorik des Gesetzes auf unsere Körper zielt, stellen
wir uns ihr mit unseren Körpern entgegen. Am Tag nach der Verabschiedung
von HB2 hat eine Gruppe queerer und trans* Menschen, vor allem People of
Color, die Zufahrtsstraße zum Haus des Bürgermeisters in Raleigh, der
Hauptstadt von North Carolina, blockiert. Als an diesem Montag die neue
Sitzungsperiode des Senats anfing, haben wir das State House besetzt und
trans* Frauen haben unbehelligt die Frauentoilette benutzt. 54
Demonstrant_innen haben das Gebäude auch nach Dienstschluss nicht verlassen
und sich festnehmen lassen.
Bruce Springsteen und Brian Adams haben aus Protest gegen HB2 ihre Konzerte
in North Carolina abgesagt. Die Deutsche Bank und PayPal werden ihre
Standorte dort doch nicht erweitern. Mehr als 500 Stellen gehen damit
verloren. Helfen solche Boykotte?
[3][Boykotte sind vielschichtig und kompliziert], da gehen die Meinungen
stark auseinander. Natürlich tut es denen, die sich ein
Bruce-Springsteen-Ticket leisten können, nicht wirklich weh. Die
Auswirkungen treffen die Arbeiterklasse viel härter. Ich bin selbst hin und
her gerissen, aber viele, auch diejenigen, die ohnehin unterbezahlt oder
arbeitslos sind, haben aus North Carolina heraus zu Boykotts aufgerufen.
Wir wissen, dass die Menschen sowieso unter HB2 leiden werden, also ist die
Aufhebung mit allen Mitteln vielleicht wichtiger als die Staatseinnahmen.
North Carolina ist nicht der einzige Staat, in dem Gesetze wie HB2
diskutiert wurden. Im Nachbarstaat South Carolina passiert Ähnliches.
Dort versucht der konservative Senator Lee Bright mit dem Senate Bill 1203
eine Kopie von HB2 zu verabschieden, die auch den Zugang zu öffentlichen
Toiletten und Umkleidekabinen einschränken will. Er sagt, er wolle Frauen
und Mädchen schützen. Dabei gibt es keine bekannten Fälle, in denen eine
trans* Person jemanden auf einer Toilette angegriffen hat. Trans* Frauen
sind diejenigen, die in der Öffentlichkeit bedroht werden. Vor zwei Jahren
hatte Bright schon versucht, zwei Universitäten zu bestrafen, weil sie in
Erstsemesterkursen LGBTQ-Literatur auf dem Lehrplan hatten. Brights Kopie
von HB2 verdeutlicht wieder, dass der Gesetzgeber kein Interesse daran hat,
Minderheiten wirklich zu schützen. South Carolina ist landesweit die Nummer
eins, was Gewalt gegen Frauen angeht. Anstatt daran zu arbeiten, diese
Probleme zu lösen, attackiert Bright die trans* Community, weil er die
ultrakonservative Wählerschaft gewinnen will.
Welchen Einfluss hat der Wettkampf um die Präsidentschaftskandidatur, der
gerade unter Republikanern so erbittert geführt wird?
Diese scharfe Rhetorik, wie Donald Trump sie verbreitet, hat sehr konkrete
Auswirkungen. Damit meine ich seine Verachtung gegenüber allen, die nicht
weiß sind, nicht der Mittelschicht angehören oder nicht nach ihr streben.
Daraus entsteht zurzeit ein konservativer Typ von Gesetzgeber_innen, die
sich normalerweise nicht getraut hätten, so weit zu gehen, wie sie es jetzt
tun. Andererseits denke ich auch, dass die Legislative in South Carolina
nicht mit so viel Widerstand gerechnet hat. Jedes Mal, wenn Grundrechte
verletzt werden, protestieren mehr Menschen. Das haben wir mit
BlackLivesMatter genauso erlebt.
Wie stehen Sie zu Wahlen und der Beteiligung im politischen System? Lebt
man nicht irgendwann in einer Protestblase, wenn man nicht in den
Senatsgremien sitzt?
Wahlen spielen eine große Rolle, weil Leute wie der konservative Senator
Lee Bright nicht von allein aufhören, gegen unsere Rechte vorzugehen, und
sich gleichzeitig weigern, etwas zu unternehmen, um von Gewalt bedrohte
Menschen tatsächlich zu schützen. Aber es stimmt: Wir verbrauchen viel Zeit
damit, auf Angriffe zu reagieren. Eine Partei mit queerer Agenda – klar,
das wäre toll. Aber politisches Handeln kann viele Formen haben: Der
Austausch mit Nachbar_innen, die Organisationstreffen, die Proteste, und
die schwierigen Gespräche, die wir mit unseren Familien beim Abendessen
führen. All das sind bedeutsame politische Aktivitäten.
29 Apr 2016
## LINKS
[1] http://www.ncjustice.org/?q=18-questions-18-answers-real-facts-behind-house…
[2] /Kommentar-North-Carolina/!5292229
[3] /Xhamster-gegen-North-Carolina/!5295627
## AUTOREN
Noemi Molitor
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