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# taz.de -- Kolumne Macht: Bei Blau über die Ampel
> Ob Waffenbesitz oder Abbiegeregeln: Unbeschwert von der Verfassung treibt
> der Föderalismus in den USA die bizarrsten Blüten.
Bild: Darf ich hier abbiegen?
Manchmal lernt man die Heimat in der Fremde erst richtig zu schätzen. Das
gilt auch für Verhältnisse, von denen man gar nicht wusste, dass man sie
schätzt. Die deutsche Ausprägung des Föderalismus beispielsweise –
verglichen mit dem, was in den USA darunter verstanden wird. Klingt
langweilig und bürokratisch? Ist es nicht.
Das merkt die Reisende spätestens dann, wenn sie feststellen muss, dass
sich Virginia, Maryland, und Washington, D. C. nicht einmal darauf
verständigen können, ob es nun erlaubt ist, an einer roten Ampel rechts
abzubiegen oder nicht. Diese Unsicherheit ist ziemlich lästig und kann
sogar teuer werden, zumal es in der Gegend möglich ist, innerhalb weniger
Kilometer mehrfach die Jurisdiktion zu wechseln, ohne es überhaupt zu
merken.
Eigentlich ist erstaunlich, dass es überall in den Vereinigten Staaten
verboten ist, bei Rot über eine Kreuzung zu fahren. Andere Farben für
Ampeln wären doch auch vorstellbar. Himmelblau für Kalifornien, Azur für
Texas: wenn das nicht treffliche Nachweise für die Eigenständigkeit der
Bundesstaaten wären.
Es bleibt nicht bei unübersichtlichen Verkehrsvorschriften, leider. Die
Zentralregierung darf sich mit ziemlich vielen Angelegenheiten gar nicht
befassen. Ob das nun dem Gemeinwohl dient oder nicht.
## Diskriminierende Gesetze
Egal wie man zum Recht auf privaten Waffenbesitz steht, das in der
Verfassung verankert ist: Warum gelten nicht wenigstens überall dieselben
Kontrollvorschriften, so dass es nicht mehr reizvoll ist, eine Pistole in
dem einen Staat zu kaufen und in einen anderen zu schmuggeln – wo die
Bestimmungen schärfer sind? Ganz einfach: Eine zentrale Regelung würde der
Verfassung widersprechen. Das hört sich absurd an? Ja. Aber es hört sich
nicht nur so an. Es ist absurd.
Mississippi und North Carolina haben kürzlich Gesetze erlassen, die Schwule
und Lesben diskriminieren. Im In- und Ausland stieß das auf Empörung. Der
Tourismus ist zurückgegangen, Geschäfte sind geplatzt – der Schaden für die
Staaten geht schon jetzt in die Millionen. Wunderbar.
Aber ist die Reaktion des Gouverneurs von New York, Andrew Cuomo, auch
wunderbar? Er hat alle Dienstreisen in die beiden Staaten untersagt.
Spontan löst das bei Leuten, die diese Gesetze widerlich finden – und ich
gehöre dazu – Befriedigung aus. Aber eben nur spontan. Wenn man davon
ausgeht, dass Dienstreisen nicht aus Jux und Tollerei stattfinden, sondern
einem sinnvollen Zweck dienen, dann ist eine solche Maßnahme zwar gut
geeignet, um schnellen Beifall zu bekommen. Aber es zeugt eben auch von
einem Politikverständnis, das vor allem für die Galerie gedacht ist.
Nicht einmal während des Kalten Kriegs ist es für eine gute Idee gehalten
worden, den Gesprächsfaden zwischen den damaligen Weltmächten zu kappen.
Aber wenn das zwischen New York und North Carolina geschieht, sieht darin
offenbar kaum jemand ein Problem. Was kommt als Nächstes? Ein
Handelsboykott? Ob die Verfassung der Vereinigten Staaten das hergäbe, wäre
ein schöner Stoff für juristische Doktorarbeiten.
Fest steht: Der Föderalismus in den USA verhindert Regelungen, von denen
hinter vorgehaltener Hand über Parteigrenzen hinweg viele zugeben, dass sie
eigentlich sinnvoll wären. Aber markige Worte kommen vielerorts bei
Wählerinnen und Wählern besser an als die Bereitschaft zum Kompromiss, zu
dem die Verfassung die Staaten ja auch nicht zwingt.
Wäre es anders, dann hätten die Bundesstaaten Mississippi und North
Carolina ihre Schwule und Lesben diskriminierenden Gesetze vermutlich gar
nicht erst erlassen.
7 May 2016
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
USA
Föderalismus
Verfassung
Gesetz
Schwerpunkt Brexit
Deutsche Bank
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
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North Carolina
Cleveland
USA
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