# taz.de -- Satire über den Islam auf Youtube: Mit IS ins Weekend-Feeling | |
> Muslime, die über Flüchtlingshelfer und Terroristen spaßen – und so | |
> Aufklärung betreiben? Ein Spagat, an dem sich die „Datteltäter“ | |
> versuchen. | |
Bild: Younes Al-Amayra für die Datteltäter in Aktion. | |
Selbstzufrieden pappt sich Younes Al-Amayra einen „Refugees | |
Welcome“-Sticker auf die Brust. Selbst ausgedruckt. Was getan – für | |
Flüchtlinge. „Was machen wir eigentlich, wenn das Thema nicht mehr so hip | |
und angesagt ist?“, fragt er. Und liefert die Antwort gleich mit: „Dann | |
suchen wir uns ein neues Hobby.“ | |
Die erste Minute eines Videos des noch jungen YouTuber-Kollektivs | |
[1][„Datteltäter“.] Ihr Ziel: eine muslimische Perspektive einbringen, ins | |
Universum der Videoplattform. Eine, die aufklären will – aber auch Satire | |
kann. Erste Erfolge zeichnen sich bereits ab, an diesem Samstagnachmittag | |
Mitte September. | |
„Schon 130-mal auf Facebook geteilt“, sagt Marcel Sonneck, 25 Jahre alt, | |
knapp zwei Meter groß, Augen blau wie zwei Gletschereisbonbons und als | |
deutsch-deutscher Sympathisant dabei. „280-mal geliked; auf YouTube schon | |
knapp 2.000 Views“ – die Bilanz für ihr Video [2][„RefugeesVeryWelcome?�… | |
„Peeeng“, sagt Younes Al-Amayra. Stolze Zustimmung für die Zwischenetappe | |
auf der Suche nach Aufmerksamkeit für die Arbeit der „Datteltäter“. | |
Schnitt. Zwei junge Männer treffen sich im Park. Der eine klagt: „Ich krieg | |
grad nicht so mein Summer-of-my-life-Feeling, die armen Flüchtlinge, du | |
weißt …“ Computerspielmusik erklingt, eine elektronische Stimme sagt „Ro… | |
one“ und verlangt „Fight“. Der Wettstreit ums krassere Engagement startet. | |
Der eine Typ prahlt mit einem selbstkomponierten Song für Flüchtlinge. Der | |
andere kontert mit einem Foto vor dem Berliner Lageso, das er auf Instagram | |
gepostet hat. Eine Parodie auf jene Menschen, die glauben, mit ein paar | |
Klicks und Posts in sozialen Netzwerken hätten sie schon genug getan. | |
Schnitt. Die Kameraführung wechselt in die Ego-Shooter-Perspektive eines | |
Menschen, der am Boden liegt. Seine Hand greift nach dem T-Shirt des einen | |
Mannes, der mit seinem Social-Media-Engagement prahlt. Ein fast leerer | |
Energiebalken wird eingeblendet. „Refugee“ steht darüber. Ein Herzschlag | |
ist zu hören, der immer schwächer wird. „Nein, wir reden gerade. No Time“, | |
versuchen die beiden den Sterbenden abzuwimmeln – so lange bis dessen | |
Herzschlag versiegt. | |
„Mein Vater war auch ein Flüchtling“, sagt Younes Al-Amayra am | |
Samstagnachmittag in seinem Wohnzimmer. Berliner Stadtrand, Erdgeschoss | |
eines Einfamilienhauses, seine Familie wohnt einen Stock drüber. Al-Amayras | |
Eltern sind Palästinenser. „Ich weiß genau, wie es abläuft. Mir können die | |
Leute nichts vormachen“, sagt er. Mit „die Leute“ ist die deutsche | |
Mehrheitsgesellschaft gemeint, die sich den Sommer über so weltoffen und | |
voller Mitgefühl präsentiert. Eine Euphorie, die Menschen wie ihn, die | |
nicht deutsch aussehen, aber in Deutschland aufgewachsen sind, skeptisch | |
stimmt – vielleicht sogar ein wenig wütend macht. | |
Al-Amayra ist mit seinen „Datteltäter“-Mitstreitern Sonneck und Fiete | |
Aleksander verabredet – einem 24-Jährigen mit aschblondem Haar und | |
Ziegenbärtchen, der mit 18 zum Islam konvertierte. Die drei wollen ein | |
neues Video für ihren YouTube-Kanal drehen – in Al-Amayras Wohnzimmer, das | |
ihnen als Studio dient. Ein karger Raum mit Fenster zum Garten, ein paar | |
professionelle Scheinwerfer, ein schwerer Ohrensessel, sonst nichts. | |
Die vierte „Datteltäterin“, Nemi El-Hassan, fehlt an diesem Tag. Keine Zeit | |
– die 22-Jährige studiert Medizin an der Charité in Berlin und ist | |
entsprechend beschäftigt. | |
## Plötzlich Muslim | |
Wie die meisten anderen „Datteltäter“ stammt auch Al-Amayra aus Berlin. | |
Wuchs in Ostberlin auf. Und er hat in seinem Leben schon einiges an | |
Ausgrenzung erfahren. „Der Knackpunkt war der 11. September“, sagt er. | |
„Vorher war ich einfach nur der Kanake. Danach war ich plötzlich der | |
Muslim.“ Egal, ob das zu seiner eigenen Wahrnehmung passte oder nicht. | |
Wie viele Einwanderkinder, deren Eltern aus muslimischen Gesellschaften | |
stammen, befasste sich auch Al-Amayra erst durch die Fremdzuschreibung | |
eingehender mit der Religion, mit der er plötzlich identifiziert wurde. | |
„Osama Bin Laden war nicht das, was ich unter Islam verstand“, sagt er. | |
„Also habe ich angefangen, Bücher zu lesen und mich mit meinem Background | |
auseinanderzusetzten.“ Andere Muslime gab es auf seiner Schule in | |
Berlin-Pankow nicht, also auch keine role models. „Es war eine schwierige | |
Zeit“, sagt er rückblickend. „Ich habe mich geschämt für mein Anderssein… | |
Mittlerweile hat der 30-Jährige Islamwissenschaften studiert und arbeitet | |
in einer Beratungsstelle für Jugendlichen, denen es ähnlich geht. „Viele | |
erleben in der Pubertät eine Identitätskrise“, sagt er. | |
„Bei dir zu Hause ist diese eine Welt und sobald du die Türschwelle | |
übertrittst, beginnt eine andere Welt, mit einer anderen Sprache und ganz | |
anderen Regeln.“ Das zu vereinen sei eine Schwierigkeit an sich. Hinzu | |
kommt: Die meisten Einwanderkinder begreifen sich als Deutsche und wollen | |
dazugehören. Gleichzeitig bekommen sie von anderen Menschen zu hören: ‚Geh | |
zurück in dein Land., „Du verstehst oft nicht, warum du nicht dazugehören | |
darfst“, sagt Al-Amayra. | |
Was also, wenn die aktuelle Willkommenseuphorie, auf die Deutschland | |
derzeit so stolz ist, abgeklungen ist? Hat sich die Gesellschaft | |
tatsächlich verändert? Oder wird es den Kindern der syrischen Einwanderer, | |
die gerade so herzlich begrüßt werden, schon bald genauso ergehen? | |
Auf der Suche nach Orientierung und der eigenen Identität spielt YouTube | |
eine große Rolle, weiß Al-Amayra aus eigener Erfahrung. „Wie man richtig | |
betet, lernt man nicht im Islamwissenschaftsstudium“, sagt er. Auch er hat | |
vor Jahren online nachgesehen. Dabei stieß er als Erstes auf Pierre Vogel, | |
einen islamischen Prediger aus dem Ruhrpott, den die Behörden für eine der | |
einflussreichsten Personen der deutschen Konvertitenszene halten. Der | |
religiös verbrämte einfache Wahrheiten verspricht – und damit zumindest als | |
Wegbereiter für eine spätere Radikalisierung gelten kann. | |
Die „Datteltäter“ wollen nicht stehen lassen, dass Prediger wie Vogel und | |
Hidschab-Tutorials die ersten Hits sind, wenn man bei YouTube das Stichwort | |
„Islam“ eingibt. „YouTube wird von der überwältigenden Mehrheit der Mus… | |
bislang noch total verpennt“, sagt Al-Aymara. | |
## „Den Islam“ gibt es nicht | |
Auch die „Datteltäter“ wollen den Islam erklären, wenn man so will. Aber | |
sie wollen eine andere Stimme sein. Eine, die zeigt, dass es „den Islam“ | |
nicht gibt. Eine, die mit Humor und Satire Klischees und Feinbilder | |
gegenüber Muslimen hinterfragt. Dabei machen sie auch vor der | |
Terrororganisation Isis nicht halt. | |
Ihr widmeten die „Datteltäter“ ihr erstes Video, das sie im Juli posteten. | |
Der Titel: [3][“Mit Isis ins Weekend-Feeling“]. Es ist die Parodie eines | |
Werbespots aus den 90er Jahren, der zu beschwingter Melodie Sahnejoghurt | |
bewarb – mit Bildern einer Familie, die nach einem Einkauf entspannt ins | |
„Weekend-Feeling“ startete. In der „Datteltäter“-Version kommen nun Fi… | |
Aleksander und Marcel Sonneck als Isis-Anhänger verkleidet vom | |
Sprengstoffeinkauf zurück. | |
## Nicht nur Klamauk | |
„Vollgepackt mit Sprengstoffsachen, die den Teufel glücklich machen, hinein | |
ins Höllenfeuer“, singen sie, während „Datteltäterin“ El-Hassan freudig | |
strahlend den Koran in der Schublade verschwinden lässt. „Jagd dich doch | |
hoch, drück auf den Knopf, benutz nie wieder deinen Kopf.“ Am Ende des | |
Videos steht ein Zitat von Bertolt Brecht über politische Verbrecher, die | |
der Lächerlichkeit preisgegeben werden müssten. Typisch für | |
„Datteltäter“-Videos: Auf den Spaß folgt oft eine ernste Sequenz. „Uns … | |
wichtig, dass wir nicht nur Klamauk machen“, sagt Al-Amayra. „Und wir | |
wollen sichergehen, dass man unsere Message versteht.“ | |
Darüber hinaus geht es aber auch um Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs. | |
Ein Mangel, den viele Muslime spüren: Kaum jemand interessiert sich | |
ernsthaft für ihre Expertise, egal ob in der aktuelle Flüchtlingsdebatte | |
oder bei der Bekämpfung islamistischen Terrors. Auch hier dürfen sie nicht | |
dazugehören. | |
„Warum werden wir nicht gefragt, wenn es um den Islam geht?“, fragt | |
Al-Amayra.*** Und spielt damit auf eine Initiative der Bundeszentrale für | |
politische Bildung an, die demnächst starten soll. Das Konzept: | |
YouTube-Stars wie [4][LeFloid], Beauty-Bloggerin [5][Hatice Schmidt] und | |
„[6][MrWissen2go]“ sollen zentrale Begriffe des Islam erklären. Damit will | |
die Bundeszentrale genau das tun, um was es auch den „Datteltätern“ geht: | |
Der Social-Media-versierten Propaganda islamistischer Terrororganisationen | |
im Netz etwas entgegenzusetzen. | |
Möglicherweise sind die „Datteltäter“ einfach noch zu unbekannt, um für | |
derlei Projekte engagiert zu werden. Oder aber hier geschieht genau das, | |
was viele in Deutschland aufgewachsene Muslime immer wieder beklagen: Sie | |
werden einfach nicht gefragt. | |
*** Nachtrag: Die Datteltäter wurden nun doch von der bpb gefragt – in der | |
Zeit zwischen Interview und Textveröffentlichung. Wir bitten den Fehler zu | |
entschuldigen und stellen fest: es gibt noch Hoffnung. | |
12 Oct 2015 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/channel/UCF_oOFgq8qwi7HRGTJSsZ-g | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=hpM93mT0Jjk | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=ktqFLMjj7ks | |
[4] https://www.youtube.com/user/LeFloid | |
[5] https://www.youtube.com/user/haticeschmidt | |
[6] https://www.youtube.com/user/MrWissen2go | |
## AUTOREN | |
Marlene Halser | |
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