# taz.de -- Religionstheater: Plaudern über Gott | |
> Aus Interviews mit Konvertiten hat die Göttinger Werkgruppe2 einen Abend | |
> über die freie Wahl des Glaubens gebastelt. | |
Bild: Turmbau zu Babel im Stile einer Nam-June-Paik-Installation: Statt interre… | |
GÖTTINGEN taz | Es will nicht verstummen, dieses Gerücht von einem | |
himmlischen Wesen namens Gott, das als Absolutes hinter all dem Relativen | |
der Garant für Wahrheit und eine verbindliche Moral ist: Hoffnung in | |
aufgeklärten Zeiten, in denen Überzeugungen nur Gedankenspiele eines | |
unabschließbaren Diskurses sind, Werte nur Produkte von Zeit und Zufall, | |
Glaubensakte nur Interpretation eines Gefühls. Alles scheint vage, alles | |
möglich. Ein unendlicher Projektionsraum für Wunschvorstellungen wider die | |
existenzielle Einsamkeit: ein offener Himmel. | |
„Offener Himmel“ – so ist der neue Dokutheaterabend der Göttinger | |
Werkgruppe2 betitelt. Er handelt von Menschen, denen die Offenheit Angst | |
macht – oder die am Für-wahr-Halten ihrer Eltern zweifeln. Sie gewinnen Mut | |
zum Experimentieren, Umdenken, Konvertieren: die freie Wahl der Religion | |
als Menschenrecht. Zehn BraunschweigerInnen, die aus freien Stücken ihre | |
Religionszugehörigkeit geändert haben, haben die drei Theatermacherinnen | |
interviewt und aus rund 1.000 Seiten transkribierter O-Töne Monologe | |
prototypischer Figuren gebastelt: Christ gewordener Atheist, Atheistin | |
gewordene Katholikin, Jüdin gewordene Christin und Muslim gewordener | |
Atheist. | |
Schauspieler verkörpern diese Glaubenswechsler mit identifikatorischem | |
Spiel. Meist kommentarlos werden ihre Erzählungen und Ressentiments | |
gegeneinander gestellt, dramaturgisch recht grob zu Szenen gebündelt unter | |
Überschriften wie: Selbstkritik, Abgrenzung, Bekehren, Tod und Paradies – | |
aber nie zum Gespräch vereint. Obwohl die Protagonisten durch ihre | |
multireligiösen Erfahrungen durchaus interreligiöse Brückenbauer sein | |
könnten. | |
## Gott geht auf Sendung | |
Stattdessen bauen sie einen Turm zu Babel, stapeln im Stile einer | |
Nam-June-Paik-Installation uralte Radios gen Himmel, die stetig | |
Einflüsterungen der Welt, der Religionen ausspucken. Oder sind es | |
Mitteilungen des vielzüngig wispernden Gottes? Zum Stückfinale jedenfalls | |
ist er zweifellos live auf Sendung, summt mit tänzelnder Stimme zu Abbas | |
„Dancing Queen“ – wohl die einzige Positionierung des Werkgruppe-Trios zum | |
Thema, haben sie doch Nietzsche im Programmheft zitiert: „Ich würde nur an | |
einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde.“ Wobei der Philosoph weniger | |
an Popmusik als an dionysische Orgien dachte. | |
Aber das Dionysische, das ist dem Neu-Christen und Neu-Moslem völlig fremd. | |
Der eine ist religionsfrei in der DDR aufgewachsen, der andere bei | |
atheistischen 68er-Eltern im Westen. Beide merkten: da fehlt was in ihrem | |
Leben. Zum Beispiel der rituelle Zinnober, der beim Kirchgang mit der | |
Familie der katholischen Freundin entdeckt wurde – als Inspiration zur | |
späteren Taufe. | |
Der Konversionskollege hat es schwieriger, ist von vornherein genervt bis | |
aggressiv, weil er großen Rechtfertigungsdruck spürt. Das Publikum dächte | |
bei islamisierten Europäern immer an den Dreischritt: konvertieren, | |
radikalisieren, explodieren. Er lehnt das ab. Aus der Angst vor „all den | |
äußeren Dingen, die ich nicht kontrolliert habe, die ich nicht mitbestimmen | |
kann“, suchte er beschützenden Halt bei einem Vatergott. In | |
Karl-May-Romanen fand er Hinweise auf den Islam, kramte aus dem elterlichen | |
Bücherschrank den Koran heraus und entdeckte seine Wertevorstellungen darin | |
wieder. „Dann hab ich gesagt: Okay Gott, wenn’s dich gibt, dann gib mir ein | |
Zeichen. Und dann bin ich am nächsten Morgen auf einmal um sechs Uhr | |
aufgewacht, einfach so, und der Himmel war komplett rot.“ | |
Sofort habe er sich Beten über die Website des salafistischen Predigers | |
Pierre Vogel beigebracht. Den könne er zwar nicht leiden, „aber es gab kaum | |
irgendwelche anderen Informationsquellen“. Arabisch und schließlich Suren | |
habe er gelernt, sei Stammgast in der Moschee geworden und hätte nun auch | |
gern mal eine Freundin, aber bitte mit Kopftuch! | |
## Ermüdender Plauderton | |
Wer eine fundiertere Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten wünscht, dem | |
Treibsand des Relativismus zu entkommen, wird enttäuscht. „Eher tastend und | |
suchend im Beantworten unserer Fragen“ hat auch Dramaturgin Silke | |
Merzhäuser die Gesprächspartner empfunden und fragt, ob es ermutigend sei, | |
„wenn die Bekenntnisse mit ihren Inhalten nur zögerlich ausgesprochen | |
werden können“. | |
Ermutigend vielleicht für das soziale Umfeld der Konvertiten, da sie nicht | |
mit der radikalen Emphase des Rechthabens alle Selbstzweifel und Skepsis | |
ausräumen wollen, sondern eher scheu von ihrer großen Sehnsucht nach etwas | |
Tröstendem, nach überirdischer Barmherzigkeit träumen. Wenig ermutigend, | |
eher ermüdend ist das allerdings fürs Publikum. Der beiläufige, nie auf den | |
Punkt kommende, durch Ähs und Redundanzen zerdehnte Caféhausplauderton gibt | |
dem Abend die Dringlichkeit eines Gesprächs über Pastasoßen. Zwar wird | |
immer wieder um Rückmeldung aus dem Publikum gebeten, dieses auch direkt | |
angesprochen, aber der Dialog nie initiiert. | |
## Nichts als Kakophonie | |
Deswegen ist es besonders ärgerlich, dass die Regie gerade dann, wenn über | |
die Gottesvorstellungen und -beweise fabuliert wird, alle durcheinander | |
sprechen lässt. Auch die Radios kakophonieren. Zu gern hätte man erfahren: | |
Wie geht das, wenn aus gefühlsmäßiger Überzeugung eine bloße Vermutung zur | |
Gewissheit wird? Wenn heute so, morgen so der absurde Sprung vom Wissen zum | |
Glauben gewagt wird? | |
Publikumswirksam, da rational, funktioniert nur die Vernunftreligion der | |
Atheistin. Als „fröhliche kleine Christin“ aufgewachsen, erkannte sie | |
neunjährig, „dass es nicht den geringsten Hinweis darauf gibt, dass es | |
irgendeinen Gott gibt. Und deswegen habe ich einfach aufgehört zu glauben“. | |
Tapfer begann sie menschenfreundliche Moralvorstellungen selbst zu | |
vertreten und nicht aus religiösen Schriften abzuleiten. Ganz ohne durch | |
ein Wesen autorisiert zu sein, das die Frage aller grundsätzlichen Fragen | |
zu beantworten wüsste: Warum ist überhaupt etwas – und nicht nichts? | |
15 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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