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# taz.de -- Münsteraner Islam-Theologe: Der Sendungsbewusste
> Mouhanad Khorchide propagiert einen barmherzigen Islam, will Mut machen
> und Angst nehmen. Doch jetzt hat er Ärger mit Islam-Verbänden und
> Salafisten.
Bild: Mouhanad Khorchide leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Un…
BERLIN taz | Ende November will Bundespräsident Joachim Gauck das Zentrum
für Islamische Theologie an der Uni Münster besuchen. Doch der Hausfriede
an dem Institut ist dahin. Denn die großen Islam-Verbände, die den
Religionspädagogen Mouhanad Khorchide selbst einst als Leiter berufen
haben, kritisieren ihn nun scharf.
Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime wirft Khorchide nicht nur vor, er
stimme sich mit den Verbänden nicht über Lehrinhalte und -personal ab,
sondern auch zu wenig wissenschaftlich zu arbeiten – mit anderen Worten: Er
mache in Münster, was er wolle. Mazyeks Attacke gipfelte in der Forderung,
das Zentrum solle seine Arbeit vorerst ruhen lassen, bis eine Einigung mit
den Verbänden gefunden sei.
Vier Zentren für Islamische Theologie sind seit 2010 an deutschen
Universitäten entstanden. Wie bei den christlichen Lehrstühlen die Kirchen
haben die muslimischen Verbände dort ein gewichtiges Wort mitzureden. Von
den meist jungen Professoren, die dort lehren, besitzt der 42-jährige
Khorchide zweifellos das größte Sendungsbewusstsein. Zwei Bücher hat er in
den letzten zwölf Monaten veröffentlicht, mehr Interviews gegeben als alle
seine Kollegen zusammen. In seinen Büchern zeichnet Khorchide das Bild
eines freundlichen Islams, er will der deutschen Öffentlichkeit die Angst
vor seiner Religion nehmen.
Auch für die Muslime hat er eine Botschaft: Ihn stört es, dass viele ihren
Glauben auf einen Katalog von Regeln reduzieren, die es zu befolgen gilt,
aus Angst vor einem strafenden Gott. Ihnen setzt er das Bild eines
liebenden Gotts voller Barmherzigkeit entgegen. Damit trifft er für viele
den richtigen Ton. Doch mit seinem ausgeprägten Sendungsbewusstsein bringt
er auch viele gegen sich auf.
## Glauben weiterentwickeln
„Wir wollen nicht einfach ins Deutsche übersetzen, was in Marokko oder der
Türkei unterrichtet wird, sondern die islamische Theologie
weiterentwickeln“, gab Mouhanad Khorchide kürzlich auf einer Tagung in
Berlin als seine Losung aus. Auf dem ersten Blick wirkt der schmächtige
Mann mit dem schicken Anzug und dem sorgsam gestutzten Bart fast
schüchtern. Doch was er verkündet, zeugt von großer Überzeugung.
Muslimische Theologen stünden in vielen Ländern unter starkem Druck, von
Fundamentalisten und von Regierungen. Sie würden deshalb viele Hoffnungen
auf ihre Kollegen in Deutschland setzen, so Khorchide. Mehrfach schon sei
ihm bei internationalen Kolloquien gesagt worden: „Ihr sucht Antworten auf
die Fragen, die wir uns nicht zu stellen trauen.“
Scharf wendet sich Khorchide gegen eine wortwörtliche Auslegung des Koran,
wie sie Fundamentalisten predigen. Seine Abneigung gegen eine
buchstabentreue Lesart des Islam hat auch biografische Gründe. Als
staatenloser Palästinenser wuchs der 1971 in Beirut geborene Khorchide mit
seiner Familie erst im Libanon und dann in Saudi-Arabien auf. Das hat ihn
stark geprägt: „Auf der einen Seite habe ich im Alltag im Libanon eine
große Toleranz zwischen Sunniten, Schiiten und Christen erlebt“, erzählt er
am nächsten Tag bei einem Treffen in der Lobby eines Berliner Hotels. „Auf
der anderen Seite eine große Intoleranz in Saudi-Arabien, wo nur die lokale
Lehre gilt und selbst die islamische Mystik oder die Schiiten als
„unislamisch“ verdammt werden.“
## Studium in Wien und Beirut
Weil er und seine Brüder als Ausländer in Saudi-Arabien nicht studieren
durften, lernten sie Deutsch, um mit einem Studentenvisum nach Österreich
zu kommen. In Wien schreib sich Khorchide in Medizin und Soziologie ein,
bevor er sich für ein Studium der Theologie in Beirut entschied. Die Lehre
dort empfand er aber rasch als ziemlich einseitig. „Auch da gab es
Professoren, die meinten, Schiiten könnten keine richtigen Muslime sein“,
erzählt er. „Das hat mich so verärgert, dass ich mein Studium fast
abgebrochen hätte.“
Stattdessen orientierte sich Khorchide an islamischen Mystikern wie
Dschalal ad-Din Rumi, weil die nach dem Kern des Glaubens fragten. Nach dem
Studium wandte er sich dann modernen Reformdenkern zu, die für eine
zeitgemäße Interpretation des Islam stehen. Die gelten in ihren Ländern
aber oft als Außenseiter: der Ägypter Nasr Hamid Abu Zaid etwa wurde vor
knapp zwanzig Jahren von Fundamentalisten quasi aus seinem Land vertrieben,
weil seine Ansichten ihnen als zu ketzerisch galten.
## Texte im historischen Kontext lesen
In seinem neuen Buch „Scharia – der missverstandene Gott“ hat Korchide ein
Kapitel dem Salafismus gewidmet, jener Spielart des Islam, deren Anhänger
sich nach dem Vorbild des Propheten in arabische Gewänder kleiden. Ihr
striktes und dogmatisches Islam-Verständnis geht er frontal an, indem er
fordert, man müsse die Verse im Kontext ihrer damaligen Zeit betrachten und
stets die Frage stellen: Was wollte uns Gott damit sagen? Dann würden sich
die Widersprüche zu Menschenrechten und Demokratie von selbst auflösen.
Deutsche Salafisten bringt er mit solchen Thesen verlässlich auf die Palme.
Aus Saudi-Arabien importiert, hat sich dieser Hardcore-Islam hierzulande zu
einer wachsenden Jugendbewegung entwickelt. Der Starprediger der hiesigen
Szene, der Konvertit Pierre Vogel, hat den Theologen aus Münster jetzt
sogar zum „Ungläubigen“ erklärt. Vogel ist empört, dass Khorchide in sei…
neuen Buch schreibt, die Hölle sei kein konkreter Ort, sondern bloß als
Metapher für die Abwesenheit von Gott zu verstehen.
In einer 50-minütigen Videopredigt, die er ins Internet gestellt hat,
blättert Vogel aufgeregt durch eine Koran-Übersetzung, in der er mehrere
Stellen rot markiert hat: „Hölle, Hölle, Hölle“, liest er laut daraus vo…
um zu zeigen, dass das sehr wohl wörtlich gemeint sei.
## Keine Angst vor Pierre Vogel
Khorchide vermag das nicht aus der Ruhe zu bringen: „Ich muss Pierre Vogel
sogar dankbar sein“, sagt er überraschenderweise. „Sie glauben gar nicht,
wie viele salafistische Jugendliche mich deswegen kontaktiert haben.“
Einige hätten daraufhin sein Buch gelesen und sich über Vogel empört.
„Diese Jugendlichen sind auf der Suche“, meint Khorchide. „An dieses Mili…
komme ich sonst gar nicht heran“, gewinnt er der Auseinandersetzung sogar
etwas Positives ab.
Auch gegenüber der scharfen Kritik, die ihm von den muslimischen Verbänden
entgegenschlägt, zeigt er sich versöhnlich. Kritiker aus diesen Reihen
werfen ihm vor, einen „Islam light“ zu propagieren und Begriffe aus dem
heutigen Christentum auf den Islam zu übertragen. Einerseits verwässere er
manche Glaubensinhalte bis zur Unkenntlichkeit. Andererseits maße er sich
selbst an, zu beurteilen, wer ein guter Muslim sei und wer nicht, wenn er
die Moral zur alleinigen Richtschnur erkläre.
An den Grundregeln des Islam wolle er nicht rütteln, verteidigt sich
Khorchide: „Ich bete und faste, ich will die religiösen Rituale nicht
abschaffen.“ Aber Barmherzigkeit sei „ein genuin islamischer Gedanke“. Und
der Islam lehre auch: „Das Gebet kann uns sogar von Gott entfernen, wenn es
nur Fassade bleibt.“
## Theologie begutachtet
Dass Khorchide den Verbänden schlichtweg die Kompetenz abspricht, über
Glaubensfragen zu befinden, ist kaum dazu angetan, den Konflikt rasch zu
befrieden. Doch der Gegenwind, den er mit solchen Äußerungen anfacht, stört
ihn nicht. Aiman Mazyek hat jetzt angekündigt, die großen Islam-Verbände
würden in Kürze ein theologisches Gutachten herausgeben, das Khorchides
Theologie „Punkt für Punkt“ unter die Lupe nehme. An einer sachlichen
Debatte sei er sehr interessiert, erwidert Khorchide. „Wir strecken beide
Arme aus und hoffen auf konstruktive Zusammenarbeit“, sagt er.
Hinter dem Streit um die richtige Islam-Lehre stehen, wie immer, handfeste
Interessen. Die Islam-Verbände sitzen im Beirat des Instituts und haben
formal das Recht, Professoren ein- und abzusetzen. Doch dieser Beirat hat
so noch nie getagt. Ein Platz ist seit Monaten unbesetzt, weil der
Verfassungsschutz gegen einen Kandidaten Bedenken hatte, ein anderes
Mitglied trat kürzlich zurück. Nun fürchten die Verbände, ganz ausgebootet
zu werden, sollte die Universität etwa mit lokalen Moscheegemeinden einen
neuen Beirat bilden.
## Schicksal von Vorgänger Sven Kalisch
Das erklärt die Empörung der großen Islam-Verbände, in Münster würden
„Inhalte beschlossen und Professoren bestellt – über die Köpfe der
Religionsgemeinschaften hinweg“, wie es der Vorsitzende des Zentralrats der
Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, beklagt. Das aber sei mit der
Verfassung nicht zu vereinbaren.
Der Standort Münster steht offenbar unter keinem guten Stern. Denn der
Streit über Mouhanad Khorchide erinnert fatal an die Querelen um seinen
Vorgänger, Sven Kalisch. Der war 2004 als erster Professor an eine deutsche
Uni berufen worden, um dort Religionslehrer für den Islam-Unterricht
auszubilden. Nachdem Kalisch aber die historische Existenz des Propheten
Mohammed anzuzweifeln begann, kündigten die Verbände die Zusammenarbeit
auf. Kalisch wurde 2009 von dieser Aufgabe entbunden, er lehrt jetzt an
einem anderen Fachbereich.
Noch so ein Fiasko kann sich in Münster eigentlich niemand leisten. Aber
vieles deutet auf die nächste Eskalation hin.
8 Nov 2013
## AUTOREN
Daniel Bax
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