| # taz.de -- Kriegstraumata auf der Theaterbühne: „Frauen kennen den Preis de… | |
| > Der georgische „Fast Forward“-Preisträger Data Tavadze erläutert, warum | |
| > er im Theater die Kriegserfahrungen, die Traumata und das Leiden der | |
| > Überlebenden aufgreift | |
| Bild: Verluste und Tragödien ziehen sich durch alle Kriege – hier inszeniert… | |
| taz: Herr Tavadze, Sie sind Schauspieler, Autor, Regisseur – welche dieser | |
| Rollen ist Ihre liebste? | |
| Data Tavadze: Meine Eltern waren Schauspieler. Ich selbst habe mit drei | |
| Jahren meine ersten Schritte auf der Bühne gemacht. Aber ich wusste immer, | |
| dass ich Regisseur werden will. Ich schreibe auch sehr gerne und habe schon | |
| in einigen Stücken und Filmen mitgespielt. Dennoch verstehe ich mich als | |
| Regisseur. | |
| Wie prägt die politische und gesellschaftliche Situation Ihrer Heimat Ihre | |
| Arbeit? | |
| Die Krise in den 1990ern betraf uns alle – Erwachsene ebenso wie Kinder. | |
| Und bis heute werden wir als Künstler sowie als Bürger von jener Dekade | |
| beeinflusst: in der Wahl unserer Themen und Materialien. Dabei wagen es | |
| nicht allzu viele Künstler, sich mit jener Krise und dem Krieg von 2008 zu | |
| beschäftigen, oder mit dem Leiden, mit diesen Hintergrund zu leben – zu | |
| überleben. Mein letztes Stück, „Prometheus – 25 Jahre Unabhängigkeit“,… | |
| auch ein Versuch, die Freiheit eines so jungen Landes anhand der | |
| Erfahrungen und Körper ebenso junger Darsteller zu ergründen: Prometheus | |
| als archetypische Gefangener ist eine Figur des Kaukasus. | |
| Auch mit „Die Troerinnen“ greifen Sie zurück auf eine Tragödie von | |
| Euripides. Arbeiten Sie immer mit historischen Textgrundlagen? | |
| Nicht immer. Mein Dramaturg Davit Gabunia und ich sind bekannt dafür, | |
| aufstrebende Dramatiker zu fördern. Bislang haben wir darum viele | |
| zeitgenössische georgische Texte inszeniert. In diesem Fall brauchten wir | |
| ein starkes Fundament. Euripides und seine Tragödie waren für uns das beste | |
| Material, da er jede erdenkliche Tragödie von Frauen im Krieg zeigt: der | |
| Verlust ihres Mannes, ihres Kindes, ihres Bruders sowie Vergewaltigung und | |
| Selbstmord. Diese weiblichen Schicksale sind sowohl im Trojanischen Krieg | |
| als auch in Georgien 2008 zu finden. Wir wollten diese Zeitbrücke schlagen, | |
| um zu zeigen, wie alt dieses Motiv ist und dass es ein Ende finden muss. | |
| Die Jury in Braunschweig urteilt, dass „Die Troerinnen“ von universeller | |
| Dringlichkeit ist. Inwiefern ist das Stück in der georgischen Kultur | |
| verwurzelt? | |
| Ich denke nicht, dass „Die Troerinnen“ viel mit typisch georgischem Theater | |
| gemein hat, obwohl georgischer Gesang sich in den polyphonen Sounds | |
| widerspiegelt. Erst dadurch, dass wir ziemlich konkrete georgische | |
| Geschichte erzählen, wird ein universeller Dialog möglich. | |
| Wie sind Sie an die Erzählungen der Kriegsüberlebenden gekommen? | |
| Das war leider ziemlich einfach. Es genügte schon, die Tür unseres Theaters | |
| zu öffnen und den ersten Passanten anzuhalten, um starke Bilder zu finden. | |
| Über Monate hat sich das gesamte Team mit Überlebenden getroffen, | |
| weiblichen und männlichen. Am Ende hatten wir über 100 Interviews. Wir | |
| haben auch Leute auf der Straße angesprochen, Freunde interviewt und einige | |
| Tage in Flüchtlingslagern verbracht. Wir haben festgestellt: Es gibt keinen | |
| Georgier ohne Kriegserinnerungen. | |
| Welchen Einfluss hatten die Schauspielerinnen auf die Entstehung des | |
| Stücks? | |
| Es war von Anfang an ein kollektiver Prozess. Teile unserer Diskussionen | |
| haben wir in die Inszenierung aufgenommen, etwa die Frage, wie man über | |
| Trauer sprechen soll und kann. Am Anfang wussten wir kaum mehr als den | |
| Titel. Diese fünf Schauspielerinnen gehören neben sechs Männern zum | |
| Ensemble des Royal District Theaters. Für mich war sehr wichtig, dass wir | |
| uns vertrauen können. Wir kennen uns von der Universität bereits seit zehn | |
| Jahren. | |
| Seit 2008 arbeiten Sie am Royal District Theater. Wie sind die Bedingungen | |
| für Theaterschaffende in Tiflis? | |
| Georgier sind Theatergänger. Natürlich ist die Szene in einem so kleinen | |
| Land nicht vergleichbar mit Deutschland, aber im Vergleich mit anderen | |
| Künsten ist das Theater wohl am tätigsten und beliebtesten. Die freie Szene | |
| bräuchte mehr Aufmerksamkeit und staatliche Unterstützung, um überleben zu | |
| können. Insbesondere jene unabhängigen Ensembles, die keine eigene Bühne | |
| haben und dabei mit die interessantesten theatralen Prozesse herstellen. | |
| Sie haben mehrere Dramen- und Regiefestivals mitbegründet und den | |
| internationalen Wettbewerb “Talking About Borders“ gewonnen. Welchen Status | |
| haben Sie in der georgischen Theaterszene? | |
| Ich verstehe selbst nicht, welche Position ich in der Szene habe. Natürlich | |
| ist es für mich als Künstler wichtig, wahrgenommen zu werden. Die | |
| Bedingungen am Royal District eröffnen mir da gewisse Fenster ins Ausland. | |
| Das “Fast Forward“ war bereits das zehnte Festival, zu dem wir mit “Die | |
| Troerinnen“ gereist sind. | |
| Auch Ihr Stück „Kriegsmutter“ beschäftigt sich vorrangig mit Leidensfraue… | |
| Warum ziehen sich diese Figuren durch die Arbeit eines jungen Mannes? | |
| Frauen werden nicht nur während Kriegen misshandelt, sondern auch durch die | |
| Medien, die Frauen wie Kinder häufig eindimensional als Opfer darstellen. | |
| Zudem werden sie zur Rache instrumentalisiert und als Gattin, Tochter, | |
| Schwester immer in Bezug zu einem Mann gesetzt. Als ich selbst Frauen | |
| getroffen habe, die überlebt haben, habe ich in ihnen eine sinnliche | |
| Friedensquelle gefunden. Diese Frauen kennen den Preis des Krieges und | |
| wollen ihn nicht nochmals zahlen. Die Idee für eine Performance über starke | |
| Kriegsfrauen hatte ich schon 2008. Bis ich sie umsetzen konnte, musste ich | |
| aber vier Jahre verstreichen lassen und Distanz gewinnen. | |
| 6 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Kornelius Friz | |
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