| # taz.de -- Staatstheater sichtet Nachwuchs: Eine Bühne für Anfänger | |
| > Beim „Fast Forward“-Festival in Braunschweig bekommen junge Regisseure | |
| > aus ganz Europa die Chance, ihr eigenes Stück zu inszenieren. | |
| Bild: Beim Festival „Fast Forward“ auf der Bühne: das Stück „Die süße… | |
| BRAUNSCHWEIG taz | „In jedem Restaurant, in das ich gehe, bedienen mich | |
| Leute, dich ich aus dem Fernsehen kenne“, sagt der Kellner Mark in „Stadt | |
| ohne Engel“, dem Los-Angeles-Journal des ostfriesischen Schriftstellers Jan | |
| Brandt. Mark singt und tanzt selbst in Musicals, kann sich aber nur mit | |
| Nebenjobs in der Gastronomie durchschlagen. Ganze Horden junger Leute | |
| drängen nach Los Angeles, um es zwischen Schauspielschule, | |
| Werbeengagements, StatistInnenrollen und der Kellnerei irgendwie nach oben | |
| zu schaffen. Vom Flaschenschubser zum Filmstar. Doch wie steht es um das | |
| europäische Theater? | |
| Welche Strategien haben junge Theaterschaffende in Ankara, Athen, | |
| Amsterdam, um mit den dünner werdenden Strukturen umzugehen? Pflegen auch | |
| Europas Regiestudierende den unbändigen Optimismus, wie er in Los Angeles | |
| vorherrscht? Wollen sie Traditionen verwalten oder Themen, Texte und Thesen | |
| zeitgenössisch kommentieren und einordnen? | |
| Diesen Fragen spürt das „Fast Forward“ nach, das europäische Festival für | |
| junge Regie, das vom 24. bis 27. November am Staatstheater Braunschweig | |
| stattfindet. Bereits zum sechsten Mal steht Generalintendant Joachim | |
| Klement Pate für diese Plattform des transkulturellen Austauschs: „‚Fast | |
| Forward‘ hat sich mit den Jahren zu einem bedeutenden europäischen | |
| Marktplatz entwickelt, der unerfahrenen Theaterschaffenden auch als | |
| Sprungbrett dient“, sagt er. | |
| So wurde etwa der belgische Regisseur Antoine Laubin, „Fast | |
| Forward“-Preisträger im Jahr 2013 mit seiner Regiearbeit „Dehors“ über | |
| Obdachlosigkeit, zum renommierten Theaterfestival von Avignon eingeladen. | |
| Wer den Jury-Wettbewerb für sich entscheiden kann, darf in der kommenden | |
| Spielzeit eine Premiere am Staatstheater Braunschweig produzieren. Diese | |
| Praxis dient nicht nur einem „nachhaltigen internationalen Austausch“, sagt | |
| Klement, sondern ist auch finanziellen Zwängen geschuldet, die die | |
| Ausschüttung angemessener Preisgelder unmöglich machen. | |
| Nicht immer ist es einfach, die europäischen Regiearbeiten dann sinnig in | |
| das Braunschweiger Programm zu integrieren. Laubin etwa hat in Kooperation | |
| mit Braunschweiger SchauspielerInnen ein dreisprachiges Stück zur | |
| deutsch-belgischen Nachkriegsgeschichte entwickelt. „Der Theaterstandort | |
| Braunschweig profitiert elementar von Produktionen, die einen Dialog | |
| zwischen den Sprachräumen ermöglicht“, sagt Intendant Klement: „Dieser | |
| herausfordernde Austausch ist nicht gering zu schätzen.“ | |
| Auch die letztjährigen Preisträgerinnen des Festivals, Rugilė | |
| Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė aus Litauen, konnten beim | |
| „Fast Forward“ durch ihre laut Jury „sehr eigene Handschrift, extrem | |
| konsequent in der Wahl ihrer Mittel“ sowie durch die Relevanz ihrer | |
| kollektiven Arbeit bestehen. „Geros Dienos! – Have A Good Day!“ war eine | |
| fein komponierte „Oper für zehn Kassiererinnen, Supermarktgeräusche und | |
| Klavier“ über Würde in der Welt des Konsums und der prekären Beschäftigun… | |
| Das Künstlerinnen-Trio, das für diese Inszenierung erstmals | |
| zusammenarbeitete, feiert im Mai 2017 in Braunschweig Premiere mit „Sun and | |
| Sea“ zu Normen und Formen unter der Sonne bratender Körper. | |
| Zum diesjährigen Festival hat die Kuratorin Barbara Engelhardt acht | |
| Produktionen aus acht Ländern eingeladen. Die Namen der RegisseurInnen | |
| dürften auch dem informierten Publikum unbekannt sein, da nur | |
| Inszenierungen berücksichtigt werden, die zu den ersten drei Arbeiten der | |
| jeweiligen KünstlerInnen zählt. | |
| Das Alter der Nominierten ist für Engelhardt im Gegensatz zu ihrer | |
| Erfahrung nicht von Interesse. Deutschland wurde letztes Jahr vom | |
| Hildesheimer Theaterkollektiv Markus&Markus vertreten, dieses Jahr sind mit | |
| der Theaterakademie August Everding und der Otto-Falckenberg-Schule | |
| Studierende von gleich zwei Münchner Institutionen vertreten. Auch die | |
| Arbeit „Like A Prayer“ der Schweizerin Corinne Meier ist durch ihr Studium | |
| am Hildesheimer Institut für Medien, Theater und populäre Kultur geprägt. | |
| „Wir haben keine thematischen, ästhetischen oder geopolitischen | |
| Richtschnüre“, sagt Klement dennoch. „Auch deutsche Produktionen müssen | |
| nicht zwingend vertreten sein.“ Stattdessen gehe es, so der Intendant des | |
| Staatstheaters, um die Qualität der Arbeiten: „und zwar rücksichtslos“. | |
| Spannender als die deutschen Produktionen dürften die Arbeiten der | |
| weitgereisten TheatermacherInnen sein, nicht weil sie welthaltiger oder | |
| gegenwärtiger wären, sondern allein der exklusiven Möglichkeit wegen, die | |
| inszenatorischen Handschriften unerfahrener Menschen aus der Türkei, | |
| Georgien oder etwa Griechenland kennenzulernen. In „Die Troerinnen“ etwa, | |
| das auf wahren Ereignissen basiert, verleiht Data Tavadze den Opfern und | |
| Entwurzelten des postsowjetischen Kaukasus eine Stimme. Ein Ensemble von | |
| fünf Frauen zieht Verbindungen von Euripides gleichnamigem Text zu den | |
| Erzählungen georgischer Kriegsüberlebender und zu gegenwärtigen | |
| Brennpunkten der Region. | |
| Spannung verspricht auch die kritische sowie dicht konzipierte | |
| norwegisch-tschechische Koproduktion „Forced Beauty“ der Regisseurin Nela | |
| H. Kornétova und der Choreografin Lærke Grøntved der norwegischen Akademi | |
| for Scenekunst Fredrikstad, die auch letztes Jahr ein Stück nach | |
| Braunschweig entsenden durfte. | |
| „Natürlich haben wir Kontakte zu Regieschulen und wir bekommen Hinweise auf | |
| interessante Talente“, sagt Klement. Doch entscheidend für die Auswahl sei | |
| vielmehr der Versuch, die junge Theaterlandschaft Europas zu spiegeln. Die | |
| Frage aufzuwerfen, was es heute bedeute, zeitgenössisches Theater zu | |
| machen, seine Kunst ins Verhältnis zur Wirklichkeit zu setzen. | |
| Gerade in Zeiten des Rechtsrucks wird die Luft für junge KünstlerInnen auch | |
| in europäischen Ländern dünn. Darum wäre es für kommende „Fast | |
| Forward“-Ausgaben wohl auch von Interesse, Einladungen etwa nach | |
| Österreich, Großbritannien oder Portugal auszusprechen, wo die politischen | |
| und sozialen Situationen sowie die beruflichen Perspektiven ein innovatives | |
| Theater kaum fördern. | |
| Das Festival wird von internationalen Studierenden redaktionell begleitet. | |
| Auch aus der Ukraine, deren Theaterlandschaft letztes Jahr erstmals von | |
| VertreterInnen in Braunschweig präsentiert wurde, werden fünf | |
| StipendiatInnen vor Ort sein. Vielleicht bekommt Braunschweig beim „Fast | |
| Forward“-Festival 2017 dann ein Stück über das Kellnern in Kiew zu sehen. | |
| 18 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Kornelius Friz | |
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