# taz.de -- Debatte Islamismus: Phantom „Generation Allah“ | |
> Viele befürchten, dass junge Flüchtlinge aus dem Irak oder Syrien von | |
> hiesigen Salafisten rekrutiert werden. Die Fakten sprechen dagegen. | |
Bild: Neosalafistische Mobilisierung, wie die Kampagne „Lies!“, ist ein ges… | |
Viel ist in den vergangenen Wochen diskutiert worden über die gegenwärtigen | |
Flüchtlingsbewegungen und die damit verbundenen Probleme und Gefahren. Wie | |
nicht anders zu erwarten, ging es dabei auch um den Islam und Gefährdungen, | |
die möglicherweise von Islamisten ausgehen. Zwei Szenarien standen im | |
Vordergrund. | |
Das erste Szenario geht davon aus, dass mit den Flüchtlingen aus Syrien und | |
Irak einige hartgesottene Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) nach | |
Deutschland oder Westeuropa einsickern könnten. Genau dies scheint sich nun | |
bei den verheerenden Pariser Anschlägen zu bestätigen. Das zweite Szenario | |
sieht indirekte Gefahr. | |
Im Mittelpunkt steht die Befürchtung, Muslime aus den Bürgerkriegsgebieten, | |
die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, könnten ein fruchtbares | |
Rekrutierungsfeld darstellen für hiesige gewaltbereite Salafisten. | |
Ein prominenter Vertreter des zweiten Szenarios ist aktuell der ehemalige | |
EKD-Vorsitzende Wolfgang Huber. Seine Befürchtungen konnte man unlängst in | |
der Süddeutschen Zeitung nachlesen. Huber fürchtet um die gelebte religiöse | |
Pluralität in unserem Land und mahnt, man könne nicht alle Haltungen | |
hinnehmen, für die der Islam in Anspruch genommen werde. Besondere Sorge | |
bereitet ihm die „Generation Allah“, die durch junge muslimische | |
Flüchtlinge Zuwachs erhalten könnte. | |
## Negativ besetztes Schlagwort | |
„Generation Allah“ – das ist ein neues Schlagwort, mit dem in den | |
Feuilletons junge Muslime per Fremdzuschreibung in einem Kollektiv negativ | |
vergemeinschaftet werden. Eine angeblich wachsende Problemgruppe, die – so | |
die These – Anschluss finden könne an gefährliche Salafisten, die den | |
Dschihad in Syrien, im Irak und andernorts befeuern. | |
Seinen Ursprung findet dieses Konstrukt in der Schrift „Generation Allah. | |
Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen“, die der | |
Psychologe Ahmat Mansour vor kurzem vorgestellt hat. Neben vielen richtigen | |
Beobachtungen findet man dort die sogenannte Generation Allah, die ein | |
wesentlicher Teil der „Radikalen“ sei. Mansour beschreibt eine | |
Pyramidenstruktur mit drei Gruppen. | |
An der Spitze stehen die allseits bekannten Terrororganisationen IS und | |
al-Qaida. In der Mitte folge die Muslimbruderschaft, zu der auch Explizit | |
der türkische Präsident TayyipErdoğangezählt wird. An der Basis stehe die | |
„Generation Allah“, die eine Basis für den Radikalismus bilde, und diese | |
Basis sei nach Auffassung des Berliner Psychologen „breit“. | |
## Für die Prävention nicht hilfreich | |
Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten ist das neue Großgruppenmodell | |
„Generation Allah“, das sich auf große Teile der muslimischen Jugendlichen | |
bezieht, nicht belegt. Die aktuellen Daten der deutschen | |
Sicherheitsbehörden zeigen, dass sich unter den nach Syrien ausgereisten | |
jungen Menschen auch viele Konvertiten finden. Zudem kommt ein großer Teil | |
der radikalisierten Muslime aus eher religionsfernen Familien. | |
Der Begriff ist daher nicht mit der Sachlage in Übereinstimmung zu bringen. | |
Aufgrund der wenigen vorliegenden Daten zu Radikalisierten in Deutschland | |
könnte man verallgemeinernd auch von der „Generation Bildungsverlierer“ | |
oder der „Generation der Orientierungslosen“ sprechen. Für beides lassen | |
sich ohne Schwierigkeiten Belege finden. | |
Gravierender sind die Einsprüche, die unter präventiven Gesichtspunkten | |
gegen Gruppenkonstruktionen formuliert werden können. „Generation Allah“ | |
ist eine Zuschreibung mit eindeutig negativer Konnotation. Zuschreibungen | |
dieser Art konstruieren eine fiktive Gruppe von möglichen Problemträgern. | |
In der konkreten Präventionsarbeit sind solche Zielgruppenbeschreibungen | |
kontraproduktiv, da sie muslimische Jugendliche pauschal mit einem ganzen | |
Bündel an Risikofaktoren belegen. Der Präventionsarbeit in Schule, | |
Jugendhilfe und Gemeinde erweist man mit solchen Gruppenkonstruktionen | |
einen Bärendienst. | |
Die jüngere Forschung im Bereich der Radikalisisierungsprävention zeigt, | |
dass die Markierung einer Zielgruppe eine Reihe von negativen Effekten | |
auslösen kann. Zunächst kann konstatiert werden, dass sich ein | |
Jugendlicher, unabhängig von Herkunft, Religion und Bildung, ungern als | |
potenzieller Problemträger beschreiben lässt. Wird die betroffene Person | |
dieser Zuschreibung gewahr, reagiert sie im Regelfall mit einer | |
Verweigerungshaltung gegenüber auch gut gemeinten Präventionsmaßnahmen. | |
Darüber hinaus – und das ist keine Petitesse – kann eine negative | |
Markierung auch zu einer verletzenden Stigmatisierung führen. Dies ist etwa | |
dann der Fall, wenn die Gruppe als gefährlich dargestellt wird und diese | |
Darstellung Anschluss hat an weitere öffentliche Diskurse, die gleichfalls | |
mit negativen Bildern arbeiten. Bei dem Begriff „Generation Allah“ ist | |
genau dies der Fall, denn der Begriff nimmt Anschluss an | |
Bedrohungsszenarien der Islamdebatte, die seit einigen Jahren kursieren und | |
im Kontext der aktuellen Flüchtlingsdebatte neuen Auftrieb erhalten. | |
Stigmatisierungen bleiben auch in politischer Hinsicht nicht folgenlos. Sie | |
bilden oft den Anfang einer Identitätspolitik. Die negativ Markierten | |
nehmen die Stigmatisierungen auf und transformieren diese in positive | |
Merkmale. | |
## Alle Gruppen betroffen | |
Aus den genannten Gründen sollten Akteure der Präventionsarbeit und | |
Pädagogik auf derartige Begriffe verzichten. Eine seriöse Präventionsarbeit | |
kommt ohne Zuschreibungen aus, die auf mediale Effekte zielen. Sie | |
fokussiert vielmehr die positiven Ressourcen, die auch in problembeladenen | |
Zielgruppen zu finden sind. | |
Bei der Prävention gegen religiös begründeten Extremismus geht es übrigens | |
nicht nur um Muslime und Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak. Die | |
Biografien der ausgereisten jungen Männer und Frauen zeigen sehr deutlich, | |
dass alle gesellschaftlichen Gruppen betroffen sind. Es sind eben nicht nur | |
junge Muslime aus schwierigen Verhältnissen. Ebenso finden wir junge | |
Menschen aus wohlsituierten „biodeutschen“ Familien, die mit Islam nie | |
etwas zu tun hatten. Die neosalafistische Mobilisierung ist deshalb ein | |
gesamtgesellschaftliches Problem, um das sich mit ruhiger Hand und langem | |
Atem alle kümmern müssen. | |
17 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Michael Kiefer | |
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