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# taz.de -- Deutschlands Reaktion auf den Terror: Contenance, Contenance
> Noch übt sich die deutsche Politik in Zurückhaltung. Aber wird das so
> bleiben? Jetzt wäre der Moment da, um auf Prävention zu setzen.
Bild: Bisher reagierte Deutschland mit Besonnenheit und nicht mit Alarmismus.
Das war nicht unbedingt zu erwarten. Deutschland reagiert auf die Attentate
in Paris, auf die internationale Jagd nach flüchtigen Attentätern und auf
die Länderspielabsage in Hannover wegen einer Terrordrohung – mit
Besonnenheit.
Ohne Panik, trotz Hunderter Mannschaftswagen, räumten die Stadionbesucher
das Feld. Und auch die Politik reagiert bisher, soweit es geht, gelassen.
Anders als in Frankreich bleiben hier Forderungen nach
Sicherheitsverschärfungen bisher Einzelstimmen, selbst aus der CSU hört
man, es brauche jetzt keinen „Aktionismus“.
Zur Erinnerung: Nach den Anschlägen auf die Redaktion von Charlie Hebdo im
Januar forderte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) schon nach
wenigen Tagen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Die ist
heute Gesetz. Diesmal ist es der Innenminister, der die Debatte über einen
Einsatz der Bundeswehr im Inneren subito beendet: Dafür gebe es derzeit
„keinen Bedarf“.
Es gibt berechtigte Zweifel, dass die Contenance lange währt. Zu
verführerisch ist der Ruf nach schnellen, harten Antworten. Und mit der
Flüchtlingsdebatte, die derzeit bemüht in den Hintergrund gerückt wird,
steht bereits ein Ziel bereit.
## Missbräuchlich und falsch
Dass just diese Woche de Maizière eine Asylrechtsverschärfung auf den Weg
brachte, lässt Ungutes befürchten. Der Aufschlag wurde schon zuvor gemacht:
Könnten unter den Eintreffenden nicht auch Terroristen sein?, hieß es aus
der CSU. Ist nicht spätestens jetzt Schluss mit der Aufnahmebereitschaft?
Dabei ist die Faktenlage in Paris noch unklar. In Deutschland ist das
anders: Laut Sicherheitsbehörden ist kein einziger derartiger Fall bisher
belegt.
Der Fokus auf Flüchtlinge in dieser Debatte ist nicht nur missbräuchlich,
er ist auch falsch. Denn die hiesige Terrorbedrohung hat bisher in fast
allen Fällen eine andere Herkunft: eine europäische. Sie kommt von hier
Aufgewachsenen wie Arid Uka, der 2011 in Frankfurt/Main zwei US-Soldaten
erschoss. Von radikalisierten Deutschen, die in Syrien kämpften und nun
zurück sind. Oder von Leuten wie den Paris-Attentätern, von denen, nach dem
Stand der Ermittlungen, mindestens fünf von acht Franzosen oder Belgier
waren. Und deren Drahtzieher, auch er Belgier, offenbar lange vor der
derzeitigen Hochphase der Flüchtlingsbewegung nach Syrien reisen konnte und
zurück.
## Die Radikalisierung begann hier
Diese Radikalisierten sind Kinder unserer Gesellschaften. Und ihre
Radikalisierung begann hier. Wenn Angela Merkel jetzt also eine „gemeinsame
Antwort“ auf den Terror ausruft, dann müsste sich der Blick ins eigene Land
richten, nach Bonn, nach Kassel, nach Berlin. Aber er tut es kaum.
Es sind wenige Wackere, die sich in den letzten Jahren dem Beginn von
Radikalisierungskarrieren entgegenstellen. Präventionsarbeiter, die in
Problemviertel ausschwärmen, die in Familien, Schulen oder Jugendklubs auf
Warnsignale hinweisen. Es gibt zu wenige von ihnen. 40 Millionen Euro
investiert die Bundesregierung 2015 in Präventionsprogramme gegen
Islamismus – eine klägliche Summe. Für neue Stellen bei den
Sicherheitsbehörden plant das Innenministerium derzeit 328 Millionen Euro
ein.
## Keine schnelle politische Dividende
Die Gewichtung liegt auf der Hand. Das Feld der Deradikalisierung und
Prävention verspricht keine schnelle politische Dividende. Bis dieser
Ansatz wirkt, dauert es oft Jahre. Und der Erfolg – die Abwendung von
Gewalt – bleibt unsichtbar. Doch wenn erst die Polizei anrücken muss, ist
es meist schon zu spät.
Die noch anhaltende Besonnenheit bietet die Chance, die Perspektive zu
ändern – auf die Orte, wo künftige Terroristen verhindert werden. Nur
leider sieht es danach nicht aus. Grenzen werden kontrolliert, schwer
bewaffnete Polizisten auf Patrouille geschickt – Repression. Es ist zu
befürchten, dass nach dem Innehalten wieder nur der Ruf nach harten,
schnellen Konsequenzen folgt. Im schlechtesten Fall in der
Flüchtlingspolitik.
21 Nov 2015
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Schwerpunkt Islamistischer Terror
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Deutschland
Flüchtlinge
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