# taz.de -- Beerdigung eines Pariser Anschlagsopfers: Trauer in einem Dorf am N… | |
> Verwandte und Nachbarn trauern in Ägypten um einen in Paris erschossenen | |
> jungen Mann. Die Trauer kennt keine Grenzen in der globalisierten Welt. | |
Bild: „Als Opfer eines Terroranschlags ist er sicher als Märtyrer gestorben�… | |
BANA ABU NUSEIR taz | Es ist ein emotional hoch aufgeladener Moment, als | |
nachts ums zwei mehrere tausend Bewohner durch das ägyptische Dorf Bana Abu | |
Nuseir ziehen. „Der Märtyrer ist der Freund Allahs“, rufen sie und legen | |
das islamische Glaubensbekenntnis nach: „Es gibt nur einen Gott und | |
Mohammed ist sein Prophet.“ | |
Viele Bärtige sind unter den Männern, die meisten mit Galabijas, langen | |
Beinkleidern. Die Frauen stehen in den Türeingängen, alle tragen ein | |
Kopftuch, manche haben ihr Gesicht gar ganz verschleiert. Ein junger Mann | |
fällt in Ohnmacht, er wird davongetragen. Und wieder rufen sie es, fast | |
schon hysterisch: „Es gibt nur einen Gott.“ Und wieder skandieren sie die | |
Liebe Gottes zu den Märtyrern. | |
Die französische Hauptstadt ist weit entfernt, die Pyramiden näher als der | |
Eiffelturm. Und dennoch geht es hier, mitten in der Nacht unter dem | |
zunehmenden Halbmond über dem Nildelta, um die Anschläge von Paris. Aber | |
das ist keine Demonstration, um jene Terroristen als Märtyrer zu feiern, | |
die in Paris, laut eigener Behauptung, im Namen der Religion gemordet | |
haben. Hier wird einem der Opfer von Paris bei einem islamischen Begräbnis | |
die letzte Ehre erwiesen. | |
Am Abend war die Leiche Saleh El-Gebalis in seinem Heimatort angekommen. | |
Nachdem sie die Pariser Behörden endlich freigegeben haben, ging es mit dem | |
Flugzeug nach Kairo und von dort weiter mit dem Autokorso nach Bana Abu | |
Nuseir, einem 20.000-Seelen-Ort, der drei Autostunden über holprige Wege | |
nördlich der ägyptischen Hauptstadt liegt. | |
Der 28-jährige Saleh war in Paris einfach zum falschen Zeitpunkt am | |
falschen Ort. „Er war von einem tunesischen Freund ins ‚La Belle Equipe‘ | |
zum Essen eingeladen worden, jenem Restaurant, an dem die Attentäter 19 | |
Menschen erschossen haben“, erzählt Mahmud El-Naggar. Der Schwager Salehs | |
arbeitet ebenfalls in Paris und war bei der Überführung der Leiche dabei. | |
Saleh habe mit dem Tunesier und einem marokkanischen Freund | |
zusammengesessen, als die Schießerei losging. „Der Marokkaner bekam einen | |
Schuss ins Bein ab. Der Tunesier hatte zwei Kugeln im Körper. Beide | |
überlebten. Saleh war gleich als Erster tödlich getroffen worden, bevor die | |
anderen losliefen. Ich habe das alles von seinem marokkanischen Freund | |
erfahren“, erzählt Mahmud. | |
„Ich möchte den europäischen Lesern sagen, die, die das getan haben, dürfen | |
sich nicht Muslime nennen oder den Namen ihrer Religion missbrauchen“, sagt | |
Schaker Gebali nach der Beerdigung. Dem Cousin des Toten stehen die Tränen | |
in den Augen. „Das müssen die Europäer unbedingt wissen. Wir haben einen | |
der besten und wertvollsten Menschen in unserem Dorf verloren und er war | |
Muslim“, betont er. | |
## „Dieser Terrorakt hat nichts mit Islam zu tun“ | |
Dann drängt sich Abdel Fatah El-Beschweschi durch die Menschenmenge, einer | |
der Nachbarn. Mit seinem Prophetenbart und der Schwiele an der Stirn, die | |
allen zeigen soll, wie intensiv er sich täglich in Richtung Mekka wendet, | |
ist er einer jener ägyptischen Muslime, die wollen, dass man ihnen ihre | |
Pietät von außen ansieht. „Dieser Terrorakt hat nichts mit Islam zu tun“, | |
sagt er. „Der Prophet hat gesagt, man kommt in die Hölle, wenn man eine | |
Katze misshandelt. Umso mehr gilt das für den Tod unschuldiger Menschen. | |
Sie verzerren das Bild unseres Glaubens.“ Das wollte er auf jeden Fall mal | |
gesagt haben, wirft er ein. | |
Doch hier geht es nicht nur um die Geschichte eines Opfers und seiner | |
Freunde und Familie, die sich der gleichen Religion zugehörig fühlen wie | |
die Täter. Die Geschichte des 28-jährigen Saleh ist eine von Armut und | |
globalisierten Arbeitsmärkten. | |
Vor 20 Jahren hatte es begonnen, dass ein großer Teil der jungen Männer aus | |
dem Dorf in Frankreich ihr Glück suchten. Denn in ihrem Ort gibt es keine | |
Arbeit, keine Perspektiven. „Bestenfalls verdient man dort so viel, dass es | |
gerade bis zum nächsten Tag reicht, nicht aber um ein Leben aufzubauen“, | |
beschreibt Salehs Onkel Mohammed Gebali die Lage im Dorf. Er hatte selbst | |
lange in Frankreich gearbeitet. Erst vor ein paar Jahren war er | |
zurückgekommen, um sich zur Ruhe zu setzen. | |
Vor acht Jahren war auch Saleh ausgezogen, um in Paris Arbeit zu finden. | |
Acht Jahre lang hat er für die Franzosen Fliesen gelegt. Acht Jahre hat er | |
seiner Familie Geld nach Hause geschickt und gespart, um eine Wohnung | |
einzurichten, um endlich heiraten zu können. Vor vier Monaten war es so | |
weit. Er fand eine ägyptische Braut, im Dorf wurde groß Hochzeit gefeiert. | |
Vor 20 Tagen war Saleh nach Paris zurückgekehrt, um Geld zu verdienen, für | |
sich und seine neue Frau. | |
## „Möge Allah die Täter zur Rechenschaft ziehen“ | |
Mahmud sperrt Salehs Wohnung im Dorf auf. Der Schwager wandert durch die | |
Zimmer, eingerichtet im kitschig-ägyptischen Plüschstil. Sie wirken neu und | |
leblos. Mahmud lässt sich auf einem knallroten Sofa nieder. Er weint. Er | |
sei das erste Mal hier seit der Hochzeit seines Schwagers, entschuldigt er | |
sich. „Möge Allah die Täter zur Rechenschaft ziehen“, murmelt er. Dann | |
versagt ihm die Stimme. | |
In dem Moment kommt die Witwe Rofaida Ali mit ihren Schwestern und einer | |
Tante zur Tür herein. Der schwarze Trauerumhang und das schwarze Kopftuch | |
lassen gerade einmal Rofaidas mondrundes, trauriges Gesicht erkennen. Sie | |
hat ein Hochzeitsfoto mitgebracht. Es zeigt sie lächelnd, im weißen | |
Brautkleid, an die Schulter ihrer Mannes gelehnt, der mit weißem Hemd, | |
schwarzem Anzug und schwarzer Fliege eher wie ein junger Prinz als ein | |
Fliesenleger aussieht. | |
„Manche sind seit Jahrzehnten verheiratet und nicht so glücklich, wie wir | |
es in diesen wenigen Monaten waren, als er hier war“, sagt die Witwe. „Gott | |
wird ihn am jüngsten Tag segnen. Er ist ein Märtyrer, er ist auf jeden Fall | |
ein Märtyrer, als Opfer eines Terroranschlags ist er sicher als Märtyrer | |
gestorben“, unterstreicht sie immer wieder. Für gläubige Muslime wandern | |
Märtyrer direkt ins Paradies. Das macht Trauer und Verlust erträglicher. | |
Am nächsten Morgen stehen Stühle vor dem Haus von Salehs Familie, | |
traditionell werden so die Trauergäste empfangen, die ihr Beileid bekunden. | |
Aus einem Lautsprecher ist zu hören, wie der Koran rezitiert wird. | |
In der Nacht war Emad, der Vater Salehs, beim Begräbnis fast | |
zusammengebrochen. Mühevoll versuchte er sich, gestützt von seinen | |
Verwandten, aufrecht zu halten, als die ihn nach Hause brachten. Nun sitzt | |
er fast teilnahmslos auf einem der Trauerstühle. „Mein Sohn ist bei einem | |
Terroranschlag gestorben, nicht eines natürlichen Todes. Was gibt es für | |
einen Vater Schlimmeres, als wenn seine Kinder auf diese Art sterben?“, | |
fragt er mit leiser Stimme. Dann kommt es auch von ihm, etwas kräftiger: | |
„Möge Allah die Täter zur Rechenschaft ziehen.“ | |
Der Nil ist ein paar hundert Meter, Paris 3.000 Kilometer entfernt. Es gibt | |
kaum unterschiedlichere Kulturen als die der lebhaften französischen | |
Hauptstadt im Herzen Europas und der des ärmlichen ruhigen ägyptischen | |
Dorfes Bana Abu Nuseir im Zentrum des Nildeltas. Doch der Schmerz der | |
Anschlagsopfer von Paris kennt keine Religionszugehörigkeit und in der | |
globalisierten Welt auch keine Grenzen. | |
26 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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