| # taz.de -- Strategie des „Islamischen Staates“: Die Koexistenz als Gegner | |
| > Mit ihren Anschlägen wollen die Dschihadisten europäische Gesellschaften | |
| > spalten. Davon erhoffen sie sich eine Ausgrenzung der Muslime. | |
| Bild: Das mögen Dschihadisten gar nicht: der „Karneval der Migranten“ am 2… | |
| KAIRO taz | Mit Anschlägen wie [1][am Dienstag in Brüssel] und [2][zuvor in | |
| Paris] verfolgen die Dschihadisten des „Islamischen Staates“ (IS) vor allem | |
| ein ideologisches Ziel. Sie wollen in Europa eine Welt in Schwarz und Weiß | |
| schaffen, in der die, wie sie es nennen, „Grauzone“ eliminiert wird. | |
| Gemeint ist die Koexistenz zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. Ziel des IS | |
| ist die Polarisierung der Gesellschaften europäischer Staaten, in der | |
| Hoffnung, dann die Muslime mit ihrer Hassbotschaft mobilisieren zu können. | |
| Ausführlich wurde diese Idee der „Eliminierung der Grauzone“ unter dem | |
| gleichen Titel im IS-Onlinemagazin Dabiq [3][nach den Anschlägen gegen die | |
| Satirezeitung Charlie Hebdo im Februar 2015] diskutiert, also lange vor der | |
| Anschlagsserie in Paris im vergangenen November und der jetzigen in | |
| Brüssel. | |
| In dem englischsprachigen Artikel wird die Welt in zwei Lager eingeteilt, | |
| das des Islam mit seinem Kalifat und das Lager der Ungläubigen und der | |
| „Kreuzfahrerstaaten“. Zitiert wird auch der ehemalige Al-Qaida-Chef Osama | |
| bin Laden, der einmal sagte, dass George W. Bush recht hatte mit seiner | |
| Aussage, „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns und mit den Terroristen“. | |
| Entweder, so bin Ladens Retourkutsche, „seid ihr mit dem Islam oder mit den | |
| Kreuzfahrern“. | |
| Muslime, die nicht in dieses Bild passen und die „der Grauzone angehören“, | |
| sollen laut diesem Artikel „ausgelöscht“ werden. Erstmals sei die Grauzone | |
| von den Anschlägen des 11. September 2001 ins Wanken gebracht worden. | |
| Später sei die angestrebte Spaltung europäischer Gesellschaften durch den | |
| Arabischen Frühling noch einmal in Gefahr geraten. Ein Arabischer Frühling, | |
| der von Apostaten getragen worden sei, also von Menschen, die ihrer | |
| Religion abtrünnig geworden seien, aber etwa auch von Schiiten, wie bei den | |
| Protesten in Bahrain. | |
| ## Drohung an Muslime | |
| Doch spätestens mit der Entstehung des IS und des Kalifats, argumentiert | |
| Dabiq, gäbe es für Muslime keine Ausrede mehr, nicht am Krieg gegen die | |
| Ungläubigen teilzunehmen. Der Aufbau des Kalifats habe jedem individuellen | |
| Muslim das Gefühl gegeben, zu etwas Größerem zu gehören. | |
| Ergo: Muslime, die sich in dieser Polarisierung neutral verhalten oder ihre | |
| Unabhängigkeit vor der Dschihad-Ideologie bewahren, werden als „Sünder“ | |
| gebrandmarkt. Wer sich als Muslim nicht im Sinne des IS zuordnen lässt, | |
| müsse als Abtrünniger von seiner Religion behandelt werden. | |
| Anschläge wie in Brüssel oder Paris haben also das Ziel, Europa zwischen | |
| Muslimen und Nichtmuslimen zu spalten und die Muslime zu einer Entscheidung | |
| zu zwingen, sich der Ideologie des IS anzuschließen. Dabei hoffen die | |
| Dschihadisten auf eine Reaktion, mit der Muslime ausgrenzt werden, in der | |
| Hoffnung, dass sie sich dann einfacher rekrutieren lassen. | |
| ## Lagerspaltung: Gläubige und Ungläubige | |
| Der Führer des „Islamischen Staates“, Abu Bakr al-Bagdadi, hatte im Mai | |
| 2015 Mai in einer Audiobotschaft die Muslime weltweit aufgefordert, sich zu | |
| bewaffnen. „Die Kreuzfahrer behaupten, sie wären nicht gegen die | |
| muslimische Öffentlichkeit als solche, sondern gehen nur gegen diejenigen | |
| vor, die bewaffnet sind“, erklärte al-Bagdadi. | |
| Aber, fügte er an die Muslime gerichtet, hinzu: „Ihr werdet bald sehen, | |
| dass sie gegen alle Muslime vorgehen. Und wenn die Kreuzfahrer in den | |
| Ländern des Kreuzes die Muslime überwachen, festnehmen und verhören, werden | |
| sie bald beginnen, sie zu deportieren, sie werden tot sein, gefangenen oder | |
| ohne Heimat. Sie werden niemanden in Ruhe lassen, außer jene Muslime, die | |
| von ihrer Religion abtrünnig geworden sind und die ihrer folgen.“ | |
| Der Artikel im IS-Magazin hat eine klare Schlussfolgerung. „Irgendwann wird | |
| die Grauzone ausgestorben sein, dann wird es keinen Platz mehr für die | |
| Grautöne und ihre Bewegungen, sondern nur noch das Lager der Gläubigen | |
| gegen das der Ungläubigen geben.“ | |
| ## Pegida als bester Freund | |
| Manche der Aussagen des IS finden bei rechtspopulistischen europäischen | |
| Bewegungen ihre Entsprechung, die Europa auch gerne in zwei Lager aufteilen | |
| und die die Muslime im Namen der Rettung des Abendlandes ausgrenzen wollen. | |
| In diesem Sinne sind Pediga und die Ihren wahrscheinlich der beste Freund | |
| des IS in Europa. Und ein Online-Manifest des norwegischen Attentäters und | |
| Islamhassers Anders Breivig liest sich fast wie eine IS-Streitschrift von | |
| der andern Front im „Kampf der Zivilisationen“. | |
| Nach jeder Anschlagserie wird diskutiert, wie sich Europa schützen und | |
| verteidigen kann. Auch jetzt wird über neue Sicherheitsmaßnahmen | |
| gesprochen, die notwendig seien, die letztlich aber keine ultimative | |
| Sicherheit schaffen werden. Gerade diese Sicherheitsmaßnahmen bedürfen des | |
| Fingerspitzengefühls, wenn sie nicht zu einer Radikalisierung einer | |
| weiteren Generation junger Muslime in Europa führen sollen. | |
| Wichtigste politische Aufgabe aber ist, nicht in die Schwarz-Weiß-Falle zu | |
| tappen, die der IS ausgelegt hat. Das beste Gegenmittel gegen dieses | |
| ideologische Gift bleibt die vom IS so verhasste Grauzone gelebter | |
| Koexistenz. | |
| 24 Mar 2016 | |
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| ## AUTOREN | |
| Karim El-Gawhary | |
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