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# taz.de -- Rassismus und Polizei: Die Blindheit der Ermittler
> Schüler in Walle haben die Wanderausstellung „die Opfer des NSU“ nach
> Bremen geholt. Die Beschäftigung mit den Morden hat ihren Blick verändert
Bild: Yusef Altunc will immer noch Polizist werden – aber in einer Polizei oh…
Yusef Altunc ist 19 Jahre alt und will schon lange Polizist werden: „Wer
wollte das nicht als kleiner Junge?“, fragt er. Nun, eine Ausstellung in
seiner Schule hat seinen Berufswunsch erschüttert: Die rassistischen
Ermittlungen der Polizei in der NSU-Mordserie haben Altunc nachhaltig
geschockt. „Es hat mich aufgeklärt. Ich habe nun ein ganz anderes Bild von
der Polizei.“
Der 19-Jährige macht gerade sein Abitur am Schulzentrum Walle und ist dort
Teil der Arbeitsgruppe „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Er i…
einer der Schüler, die die Wanderausstellung über „Die Opfer des NSU“ an
das Schulzentrum Walle holten. Sie läuft bis zum 27. Januar.
Die Ausstellungskuratorin Birgit Maier schulte ihn und andere Schüler,
Besucher durch die Ausstellung zu führen. Gruppen und andere Schulen können
sich anmelden und werden anschließend von einem der Schüler durch die
Ausstellung geführt.
Im Mittelpunkt der 22 Schautafeln stehen die Opfer des
rechtsterroristischen Netzwerks des nationalsozialistischen Untergrunds
(NSU), der 13 Jahre lang aus dem Untergrund rassistisch motivierte Morde an
zehn Menschen begehen konnte. Die Schüler der Arbeitsgruppe „Schule ohne
Rassismus – Schule mit Courage“ haben sich dafür eingesetzt, die
Ausstellung an die Schule zu holen.
Es war ihnen wichtig, dass die Ausstellung nicht nur die Gräuel des NSU
abbildet, sondern auch weitere marginalisierte Opfer rechter Gewalt einen
Platz in der Ausstellung haben. Deswegen haben sie Steine mit den Namen der
179 Todesopfern beschriftet, die rechte Gewalt in Deutschland zwischen 1990
und 2015 nach Zählung der Amadeu-Antonio-Stiftung gefordert hat. Die
Namenssteine säumen den Schulflur, an dessen Wand die Schautafeln über die
Opfer des NSU hängen.
Besonders die Ermittlungen im Umfeld der Ermordeten machen Altunc zu
schaffen: „Sie dachten, die Opfer seien Drogendealer und Kriminelle. Die
Ermittlungen waren geprägt von Rassismus und Vorurteilen.“ Besonders
perfide waren die Ermittlungen gleich beim ersten Opfer des NSU: Der
Blumenhändler Enver Şimşek wurde in Nürnberg am 11. September 2000 aus zwei
Waffen mit acht Schüssen erschossen. Zwei Wochen davor hatten rechte
Gruppen in Nürnberg Flyer verteilt, auf denen stand: „1. September 2000 –
von jetzt an wird zurückgeschossen“. Der Mord geschah an einem mobilen
Blumen-Verkaufswagen auf einem Parkplatz am ehemaligen
Reichsparteitagsgelände.
Şimşek hinterließ eine Frau und ihre gemeinsame Tochter. Die Ermittler
unterstellten der Witwe, für den Mord selbst einen Auftragskiller
angeheuert zu haben. „Sie haben ihr falsche Fotos von angeblichen Affären
und fremden Kindern gezeigt, um sie zu einem Geständnis zu bringen“, sagt
Altunc.
Die traurige Geschichte der Opfer und ihrer Familien fasst jeweils eine
Schautafel zusammen, die im Flur am Haupteingang des Schulzentrums
ausgestellt sind. Sie erzählen vom Leben von Menschen, die vieles aufgaben,
mit Hoffnung nach Deutschland kamen oder hier geboren wurden – fast alle
waren Betreiber von kleinen Läden, Imbissen, Kiosken oder Internet-Cafés.
Die meisten haben sich eine bescheidene Existenz aufgebaut und waren in
ihren Städten verwurzelt. Sie waren normale Menschen mit normalen
Problemen. Doch nichts blieb normal für sie.
Auch das zeigt die Ausstellung: Was passierte nach dem Mord mit den
Angehörigen? Sie wurden zweimal zu Opfern. Zunächst als Hinterbliebene von
grausam ermordeten, dann als Opfer rassistischer medialer Berichterstattung
und rassistischer Ermittlungen. Beides war in weiten Teilen von Stereotypen
und Vorurteilen bestimmt: Die ermitteltende Sonderkommissionen hießen
„Halbmond“ und „Bosporus“, in Zeitungen war in Bezug auf die unbekannten
TäterInnen die Rede von „Döner-Killer“.
Ein Stigma, das die Opfer-Angehörigen des NSU doppelt bestrafte. Sie
mussten nicht nur mit dem grausamen Mord an ihren Männern, Vätern oder
Söhnen umgehen, sondern auch mit den stigmatisierenden Ermittlungen:
„Freunde wandten sich ab, die Kinder der Erschossenen wurden in der Schule
gehänselt“, sagt Altunc. Überall habe gestanden, dass die betroffenen
Familien dem kriminellen Milieu angehörten, die unschuldig erschossenen
Väter oder Söhne mit Drogen dealten oder Schlimmeres taten.
Das findet Altunc besonders schlimm: „Alle Hinweise auf Neonazis wurden
konsequent abgelehnt.“ In der Nazi-Zeitung der „Weisse Wolf“ habe schon
2002 gestanden: „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der
Kampf geht weiter …“
Eine polizeiliche Fallanalyse, die besagte, dass für die Taten das Motiv
„Türkenhass“ infrage käme, wird von einer operativen Fallanalyse
übertrumpft. In der steht wörtlich: „Vor dem Hintergrund, dass die Tötung
von Menschen in unserem Kulturraum mit einem hohen Tabu belegt ist, ist
abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit
außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist.“
Den Gegenbeweis liefert nicht nur historische Allgemeinbildung, sondern
auch die Schautafeln, die die Verwurzelung des Kerntrios in einem Netzwerk
eingebettet sehen, entstanden im rechten Sumpf im Deutschland der
1990er-Jahre. Ihre Taten entstanden nicht in einem luftleeren Raum, sie
sind gesellschaftlich eingebettet. Es geht nicht nur um Verwebungen mit
militanten Neonazi-Organisationen zwischen Rechtsrock und Terror, wie
„Combat 18“ und terorristischen Konzepten, sondern auch um die
pogromartigen Ausschreitungen angesichts einer vermeintlichen und
entmenschlichenden „Flüchtlingswelle“ in Orten wie Hoyerswerda und
Rostock-Lichtenhagen.
Viele Kampfzonen aus den 1990ern sind noch heute aktuell: Altunc erzählt
von der Vorbereitung durch die Ausstellungskuratorin Birgit Maier. Die
Wanderausstellung habe auch in einer Polizeifachschule in Sachsen-Anhalt
Halt gemacht. Dort seien die Plakate mit Hakenkreuzen und rechten Parolen
beschmiert worden – und „das war in einer Polizeischule, da kommt man nicht
so leicht hinein“.
Am Tag nachdem Altunc das erzählt hat sich in der Schule eine Gruppe
Polizisten angekündigt, um die Ausstellung im Schulzentrum Walle zu
besichtigen. Altunc sagt: „In Bremen ist es nicht so extrem wie in
Sachsen.“ Durch die Beschäftigung mit dem NSU habe er sich zwar ein neues
Bild von der Polizei gemacht. Seinen Berufswunsch hat er dennoch nicht
aufgegeben. Er sagt: „Ich habe mich beworben, um es besser zu machen.“
23 Jan 2017
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Schwerpunkt Pegida
Lesestück Recherche und Reportage
Innenausschuss
Polizei
Comedy
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