# taz.de -- Feminismus nach 1968: Dann eben ohne Schwänze | |
> Warum sich die autonome Frauenbewegung von der Studentenbewegung | |
> abspaltete. Und was wir daraus lernen können. | |
Bild: Um Zeitungen zu machen, braucht man ihn nicht, als Deko ist er ok: der Pe… | |
Der [1][Sozialistische Deutsche Studentenbund] (SDS) war ein Männerhaufen. | |
Alle möglichen Formen von Hierarchie wurden in Frage gestellt, nur für die | |
Hierarchie der Geschlechter waren die Herren überraschend blind. | |
Im September 1968 gibt Helke Sander auf der Delegiertenkonferenz des SDS | |
bekannt, dass die Frauen sich auf eine „Politisierung des Privaten“ | |
konzentrieren wollen. Wer den ganzen Tag ein Kind auf dem Arm trägt, könne | |
schwer die Faust zur Revolution erheben. | |
Sander erklärt Erziehungsfragen zu Hauptfragen und schließt mit: „Genossen, | |
wenn ihr zu dieser Diskussion, die inhaltlich geführt werden muß, nicht | |
bereit seid, dann müssen wir allerdings feststellen, dass der SDS nichts | |
weiter ist als ein aufgeblasener konterrevolutionärer Hefeteig.“ Dieser | |
Zwischenruf droht zu verhallen, weshalb Sigrid Rüger Tomaten auf die Bühne | |
regnen lässt, es folgen Ärgernis und Spott. | |
## Diverse Schwänze über einer nackte Frau | |
Für die politisierten Frauen ist kein Platz im SDS, der Frankfurter | |
Weiberrat wird gegründet. Zwei Monate später, auf der Delegiertenkonferenz | |
in Hannover, geht schließlich eines der berühmtesten frühen Schriftstücke | |
der neuen Frauenbewegung um: Diverse Schwänze prangen als Trophäen über | |
einer nackten Frau mit Axt, Namen von Delegierten unterhalb des Bildes | |
laden zur Einordnung dieser ein. | |
Ein anderes Flugblatt ruft: „Befreit die sozialistischen Eminenzen von | |
ihren bürgerlichen Schwänzen!“ | |
Die Emanzipationsbestrebungen der Frauen wurden im Männerbündnis SDS | |
kleingeredet. Christian Semler, später langjähriger Redakteur der taz, tat | |
diese gar als „kleinbürgerlichen feministischen Aktionswahn“ ab und als | |
„endlose Selbstbespiegelung von kleinbürgerlichen Frauen“. Für die Frauen | |
ist kein Platz, also schaffen sie sich ihre eigenen Räume. Sie gründen | |
Weiberräte, Frauenzentren und publizieren auch eigenständig. Die Frauen | |
führen nun ihre eigene Bewegung an, setzen eigene Themen. | |
In den klassischen Medien galten den Männern als Frauenthemen vor allem | |
Stricken, Kochen und Windelwechseln. Die politisierten Frauen von damals | |
beschäftigten sich aber mit lesbischer Liebe, sexualisierter Gewalt oder | |
Schwangerschaftsabbrüchen. 1971 wiederholte Alice Schwarzer die Aktion „Wir | |
haben abgetrieben!“ aus Frankreich in Deutschland und schuf so mit dem | |
Stern-Cover die erste große mediale Aufmerksamkeit für dieses Thema. Die | |
Regel war das nicht. Wo also über diese Themen schreiben? | |
## Neue Blätter, neue Maßstäbe | |
In den Siebzigern beginnt die neuere Geschichte feministischer Medien. 1971 | |
mit zwei US-amerikanischen Zines (It ain’t me babe und Off our backs), 1972 | |
dann mit der Schweizer Hexenpresse, der ersten feministischen Publikation | |
im deutschsprachigen Raum, und schließlich mit der Gründung des Ms. | |
Magazine in den USA. Gloria Steinem setzte mit der Gründung des Blattes | |
neue Maßstäbe: Auflage und Anspruch waren hoch und alles lag in den Händen | |
von Frauen. | |
Ms. Magazine wurde zum Referenzpunkt der feministischen Bewegung in den USA | |
– und Vorbild für deutschsprachige feministische Zeitschriften wie Courage | |
(1976) und [2][EMMA] (1977). Bis heute orientieren sich auch jüngere | |
Publikationen wie das Missy Magazine an Ms. Magazine. | |
Und auch heute werden immer noch feministische Zeitschriften gegründet. Die | |
steigenden Abozahlen etwa des [3][Missy Magazine] sprechen auch dafür, dass | |
es diese Form von Gegenöffentlichkeit noch immer braucht. Bestimmte Themen | |
finden noch immer selten Eingang in die klassischen Medien. | |
Noch immer werden Medien in Deutschland in der Mehrheit von Männern | |
gemacht, tauchen Frauen seltener in der Berichterstattung auf als Männer – | |
auch in der taz, und wird [4][Alltagsseximus] erst dann zum Thema, wenn | |
hunderte Frauen ihre Erlebnisse im Netz aufschreiben und ihre Stimmen nicht | |
mehr ignoriert werden können. | |
## Frauenfrage als Nebenwiderspruch | |
Mit der Abspaltung von der Studentenbewegung haben sich die Frauen ihre | |
eigene, sehr erfolgreiche, Nische geschaffen – mit eigenen Sitzkreisen, | |
Frauenzentren, eigenen Medien. Es ist aber noch immer eine Nische. | |
Von dieser aus haben sie die Gesellschaft verändert. Feministische Gruppen | |
und Medien sorgen für ein Grundbrummen, das immer häufiger auch im großen | |
Schallraum der klassischen Medien gehört wird. | |
Aber könnten wir nicht schon weiter sein, wäre die Frauenfrage 1968 nicht | |
sofort als Nebenwiderspruch abgetan worden? Und klingen die Worte der | |
SDS-Delegierten von damals in Bezug auf die Frauen nicht sehr ähnlich zu | |
denen, mit denen heute queerfeministische Anliegen oder Forderungen von | |
Personen of Colour abgetan werden? Heute lachen wir über die | |
zukunftsblinden Macho-Sprüche von damals. Morgen lachen andere. | |
27 May 2017 | |
## LINKS | |
[1] /!5220369 | |
[2] /!5377820 | |
[3] /!5012393 | |
[4] /!5314761 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gottschalk | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Feminismus | |
Schwerpunkt 1968 | |
Medien | |
Schwerpunkt Gegenöffentlichkeit | |
Schwerpunkt 1968 | |
Judith Butler | |
Frauenbewegung | |
Heinrich-Böll-Stiftung | |
Emma | |
Feminismus | |
Schwerpunkt Gegenöffentlichkeit | |
Schwerpunkt Gegenöffentlichkeit | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Feminismus | |
Schwerpunkt Gegenöffentlichkeit | |
Queer | |
Schwerpunkt Gegenöffentlichkeit | |
Zeitschriften | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die 68er-Bewegung: Aufrührerisch, schamlos, frech … | |
… und doch auch ganz anders: Die 68er wollten Spaß und Freiheit. Vor allem | |
wollten sie alles Autoritäre zur Seite fegen – nicht nur an den | |
Hochschulen. | |
Alice Schwarzer gegen Judith Butler: Mehr als ein Zank nebenbei | |
Patsy L'Amour LaLoves Buch „Beißreflexe“ ist der Trigger eines erhitzten | |
Streits. Der macht die Trennlinien des feministischen Diskurses sichtbar. | |
Generationenkonflikt: „Ich sehe neue Chancen“ | |
Die Soziologin Ute Gerhard erklärt im Interview, welche Probleme Frauen | |
ihrer Generation mit jüngeren Feministinnen haben | |
Antifeminismus-Liste der Böll-Stiftung: Aber doch nicht so! | |
Die Böll-Stiftung zieht mit einer Antifeminismus-Liste den Vorwurf des | |
„Online-Prangers“ auf sich. Sie hat es ihren Kritikern leicht gemacht. | |
Essay „Emma“ und Gender Studies: Das Unbehagen am Gender | |
Die feministische Zeitschrift „Emma“ kritisiert Denkverbote in den | |
Genderstudies, sucht aber nicht den Dialog. Hat sie damit recht? | |
Feministischer Presseclub: SPD-Männer belehren gern | |
Wie sexistisch ist Politik? – Mit diesem Thema startete am Donnerstag der | |
1. Feministische Presseclub vom rbb-Kulturradio und von der taz. | |
Geschichte linker Medien im Überblick: Eine ganz andere Sicht | |
Öffentlichkeit bedingte auch Gegenöffentlichkeit. Eine Auswahl von linken | |
Medien in Deutschland und Österreich. | |
60er-Jahre-Mode als Revolution: Bruch mit dem bürgerlichen Habitus | |
In den 60er-Jahren galt kaum etwas als freier und rebellischer: die | |
Kleidung junger Menschen auf den Laufstegen und Straßen. | |
Afrofeministisches Festival in Paris: Befreiung oder Selbstausgrenzung? | |
Bei einem afrofeministischen Festival sollen einige Veranstaltungen nur für | |
schwarze Frauen angeboten werden. Das entfachte eine Debatte. | |
Kritik an der queerfeministischen Szene: Beißreflexe fast ausgeblieben | |
In der Hamburger Roten Flora ist der Eklat ausgeblieben: Bei der | |
Vorstellung des Buches „Beißreflexe“ blieben KritikerInnen vor der Tür. D… | |
Konfliktpotential war dennoch spürbar | |
LGBTI*-Medien und Politik: Ohne Blasen geht es nicht | |
Haben sexuelle Minderheiten in ihren „Filter Bubbles“ schuld, dass Donald | |
Trump in den USA Präsident werden konnte? Klarstellungen. | |
Kritik an der queerfeministischen Szene: Queere Maulkörbe | |
Die queerfeministische Autorin Patsy l’Amour laLove hat mit „Beißreflexe“ | |
eine scharfe Kritik an ihrer eigenen Szene vorgelegt. Dafür wird ihr | |
gedankt und gedroht | |
Moderne Gegenöffentlichkeit: Auf die Nerven gehen | |
Gegenöffentlichkeit ist heute was anderes als früher. Grund dafür sind neue | |
Mittel der Artikulation und rechtspopulistisches Aufbegehren. | |
Neues Debattenmagazin: Links, jüdisch, divers | |
Die Zeitschrift „Jalta“ will jüdisches Leben abbilden und kritisch | |
reflektieren. Die erste Ausgabe widmet sich auch feministischen Themen. |