| # taz.de -- Kritik an der queerfeministischen Szene: Beißreflexe fast ausgebli… | |
| > In der Hamburger Roten Flora ist der Eklat ausgeblieben: Bei der | |
| > Vorstellung des Buches „Beißreflexe“ blieben KritikerInnen vor der Tür. | |
| > Das Konfliktpotential war dennoch spürbar | |
| Bild: Vor der Roten Flora: „Beißreflexe“-Autorinnnen Koschka Linkerhand un… | |
| Hamburg taz | Patsy l'Amour laLove zieht sich in Ruhe ihren Lippenstift | |
| nach, lässt eine Sektflasche knallen und schenkt sich und ihren | |
| Koreferent*innen ein. Ist der bei linken Diskussionen eher untypische | |
| Alkoholkonsum auf dem Podium einfach Gelassenheit oder eine Kompensation | |
| von Aufregung? Auch die Getränkeauswahl scheint am Freitgabend den linken | |
| Normalzustand herauszufordern. | |
| Der Raum in der Roten Flora ist an diesem Frühsommertag so aufgeheizt wie | |
| die [1][Debatte] um den Sammelband „Beißreflexe“, den die | |
| Geschlechterforscherin Patsy l'Amour laLove herausgegebenen hat und | |
| vorstellen wird. Es kursierte das Gerücht, dass Kritiker*innen des Buches | |
| die Veranstaltung in der Flora stören oder gar verhindern wollten. | |
| Die Veranstalter der linken Theorie-Zeitschrift Phase Zweisind deshalb | |
| nervös. Angespannt lässt einer der Organisatoren seine Blicke durch den | |
| Raum schweifen und beobachtet die Anwesenden. Könnte von ihnen eine Gefahr | |
| für die Veranstaltung ausgehen? | |
| Das Buch übt Kritik an queerem Aktivismus und den dort beobachteten | |
| autoritären Sehnsüchten und Sprechverboten. Die Szene sei kritikunfähig und | |
| verbiete Menschen das Wort, weil sie zu „privilegiert“ seien, um sich | |
| äußern zu können – etwa weiße Personen, „Cis“-Männer und -Frauen, al… | |
| Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen | |
| Geschlecht übereinstimmt, oder Homosexuelle. Oftmals zähle nur, wer spricht | |
| und nicht das, was gesagt wird, kritisiert l'Amour laLove. | |
| Der linke Buchladen im Schanzenviertel legt das Buch nicht in seinem | |
| Geschäft aus. In den sozialen Netzwerken sah sich l'Amour laLove heftigen | |
| Anfeindungen ausgesetzt. Ihr wurde mehrfach Gewalt angedroht. | |
| ## Buchvorstellung als „Place-to-Be“ | |
| An diesem Abend trägt Patsy l'Amour laLove eine schwarze Perücke, ein | |
| Paillettenkleid und Ketten und Armreifen in Pink und Lila. Ihre Arme sind | |
| voll von Tätowierungen. Neben ihr sitzen zwei Autorinnen des Buches, | |
| Caroline A. Sosat und Koschka Linkerhand, auf dem Podium. | |
| Die Reihen vor ihnen sind proppenvoll – so voll, dass nicht alle hinein | |
| konnten. Etwa 120 Frauen und Männer sitzen brav auf den Stühlen, andere auf | |
| dem Boden des mit Graffiti-Tags und Antifa-Stickern verzierten Raumes. | |
| Viele tragen die typischen Antifa-Shirts, einige Piercings, kaum einer | |
| Dreadlocks. „Das scheint heute der Place-to-be zu sein“, sagt eine | |
| Teilnehmerin. Viele sind wohl auch aus Neugier und Schaulust gekommen, um | |
| zu bestaunen, ob es tatsächlich zu Ärger auf der Veranstaltung kommt. Es | |
| wird Bier, Limo und Mate getrunken. Der Soundcheck einer Punk-Band dröhnt | |
| aus dem unteren Stockwerk nach oben. | |
| Vor der Buchvorstellung verliest ein Mann ein Statement. Es stammt vom | |
| Plenum der Roten Flora. Dort sei eine kontroverse Debatte darüber geführt | |
| worden, ob die Veranstaltung abgesagt werden solle. Das Buch sei von | |
| Kritiker*innen als transphob und rassistisch bezeichnet worden. Diese | |
| Gruppe sei der Ansicht, dass solche Inhalte in der Roten Flora keine Bühne | |
| bekommen sollten. | |
| Doch der Sprecher erklärt: „Die in dem Buch formulierte Kritik ist Teil | |
| eines inner-linken Positionsrahmens und Teil einer queer-feministischen | |
| Debatte.“ Die Rote Flora solle ein Ort für „linksradikale, selbstkritische | |
| Auseinandersetzung“ sein. Deshalb werde die Debatte begrüßt und solle | |
| weitergeführt werden. Einige klatschen. | |
| Auch auf die „Diskussionsregeln“ weist einer der Veranstalter eigens hin. | |
| „Lebhaft aber respektvoll“ solle diskutiert werden. „Greift bitte sachlich | |
| das Argument und nicht die Person an“, sagt er, was vom Publikum | |
| unkommentiert zur Kenntnis genommen wird. Solche, eigentlich als | |
| selbstverständlich geltenden Regeln, waren im Vorfeld in der Debatte um | |
| „Beißreflexe“ teilweise außer Kraft. | |
| ## Tofu-Würstchen als Protest | |
| Der Protest aber bleibt am Freitag sehr klein. Eine Gruppe von etwa zehn | |
| Leuten hat zu einem „queer-feministischen Cornern“ aufgerufen, bei dem man | |
| sich auf der Straße trifft, trinkt und zusammen rumhängt. Und das machen | |
| sie dann auch: Die in Schwarz, Lila oder im Leopardenmustern gekleideten | |
| DemonstrantInnen haben einen Grill vor der Flora aufgestellt, mit | |
| Tofu-Würstchen, trinken Bier und verteilen Flyer mit der Aufschrift | |
| „Solidarisch, Offen und Friedlich“. Damit beziehen sie sich auf die Kritik | |
| von Hengameh Yaghoobifarah, Redakteurin des Missy Magazines und | |
| taz-Kolumnistin, die in einem Interview das Buch als „unsolidarisch“ | |
| bezeichnete. | |
| Den Vorwurf weist Patsy l'Amour laLove zurück: „Was ist das für eine | |
| Solidarität, bei der ich keine Kritik äußern darf?“, fragt sie. Durch die | |
| Reaktionen auf das Buch sieht sie ihre These der Kritikunfähigkeit von | |
| Teilen der queeren Szene bestätigt. „Ich möchte die Sprachlosigkeit in der | |
| queeren und der linken Szene durchbrechen“, sagt sie und prangert an, dass | |
| in queeren und linken Kontexten die bloße Anwesenheit von weißen Menschen | |
| schon als Machtausübung aufgefasst werde. | |
| Die Auseinandersetzung um das Critical-Whiteness-Konzept wurde bis in die | |
| taz hinein geführt: Im Februar schrieb Christian Jakob in einer Reaktion | |
| auf einen Text von Yaghoobifarahvon einer „rassifizierten Linken“, in der | |
| dieser Ansatz mehrheitsfähig sei. An diesem Abend in der Roten Flora aber | |
| ist das nicht so. Vielen scheint die Kritik an ebendiesem Konzept ein | |
| großes Bedürfnis. Viele wirken erleichtert. | |
| Patsy l'Amour laLove war der angespannten Atmosphäre mit Witz begegnet: Als | |
| sie zu Beginn des Diskussionsteils um Ruhe bittet, fragt sie ironisch „Ist | |
| das jetzt schon ein Sprechverbot?“ Das brachte die Anwesenden auf ihre | |
| Seite. Auch bei der Vorstellung ihrer Buchbeiträge ernten die | |
| Referent*innen tosenden Applaus, als wären sie Popstars. Es kommt weder zu | |
| Zwischenrufen noch zu Interventionen der Teilnehmenden. | |
| Zu einem wirklichen Meinungsaustausch mit den Kritiker*innen von | |
| „Beißreflexe“ kommt es deshalb nicht. Im Diskussionsteil der Veranstaltung | |
| werden wohlwollend viele inhaltliche Nachfragen gestellt. Von der harschen | |
| Kritik im Vorfeld ist hier nichts zu merken. | |
| ## Aufblitzen des Konflitkpotentials | |
| Nur einmal, als aus dem Publikum heraus gefragt wird, wann ein ähnlich | |
| kritische Auseinandersetzung mit der linken Szene aus der schwarzen | |
| Community zu erwarten sei, blitzt das Konfliktpotential der Debatte auf. | |
| „Was ist dein Problem, Alter?“ schreit eine junge Frau aus dem hinteren | |
| Teil des Raumes dem Fragenden entgegen – wohl, weil ein weißer Mann über | |
| die schwarze Community spricht. | |
| Patsy l'Amour laLove sieht in dem kleinen Vorfall die „Beißreflexe“ der | |
| Szene bestätigt: „Das war doch eine unverfängliche Frage“, stellt sie kla… | |
| „Er wurde nur aus einem Reflex heraus attackiert, weil er das Wort | |
| ‚schwarz‘ gesagt hat, und dieses Wort ist nicht rassistisch.“ Außer dies… | |
| Zwischenfall bleibt das Publikum sehr ruhig. Es herrscht andächtige Stille, | |
| diszipliniert wird das Frage-Antwort-Spiel eingehalten, ganz so, wie zuvor | |
| noch einmal erklärt. | |
| ## Hierarchische Sprechpositionen? | |
| Für eine Teilnehmerin, die in Kontakt mit den Organisator*innen des | |
| Protestes steht, ist klar, dass die Kritiker*innen des Buches an diesem | |
| Abend bewusst ferngeblieben sind. „Die Veranstaltungsstruktur verunmöglicht | |
| eine wirklichen Austausch von Argumenten“, sagt sie. „Die Referent*innen | |
| auf dem Podium haben eine hierarchische Sprecher*innenposition, die in | |
| diesem Rahmen schwer aufzubrechen ist.“ | |
| Ein anderer Teilnehmer pflichtet dem bei. „Es wäre sicherlich für eine | |
| Diskussion förderlich gewesen, wenn es ein Koreferat einer queeren | |
| Aktivistin gegeben hätte“, sagt er. Viele andere Anwesende des Abends sind | |
| froh über das Buch und die Debatte. „Diese Diskussion ist längst überfäll… | |
| und betrifft nicht nur die queere, sondern ganz allgemein die linke Szene“, | |
| sagt einer. | |
| Der erwartete Eklat bleibt aus. Doch der Abend zeigt, dass „Beißreflexe“ | |
| einen wunden Punkt in der linken Szene getroffen hat. | |
| 29 May 2017 | |
| ## LINKS | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Brück | |
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