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# taz.de -- Rapperin über Gesellschaftskritik: „Du lebst, du stirbst. Fertig…
> Zu viel „Soziologievortrag“ sei ihre Musik, warfen Kritiker Sookee vor.
> Auf ihrem neuen Album „Mortem und Makeup“ möchte sie das ändern.
Bild: Glaubt nicht, dass es nur zwei Geschlechter gibt: Sookee, hier live auf d…
taz.am wochenende: Sookee, gefällt Ihnen, was in Deutschland gerade gerappt
wird?
Sookee: Dass es immer mehr Frauen im HipHop gibt, finde ich grundsätzlich
positiv. Auch in politisch mir nahestehenden Szenen hat sich das Genre in
den vergangenen Jahren wieder einen Raum geschaffen, worüber ich froh bin.
Besonders freue ich mich über die Kollegen Juse Ju und Fatoni, Zugezogen
Maskulin, die Antilopengang, die Menschen aus dem Urban-Tree-Umfeld und vom
Audiolith-Label. Auch Joy Denalane rechne ich ausdrücklich dazu! Ich muss
mir echt Zeit nehmen, die ganze gute Mucke anzuhören, und das ist ein gutes
Zeichen.
Und was gefällt Ihnen nicht?
Die üblichen Idioten, die sich aus ihrer Komfortzone nicht herausbewegen
und sagen, künstlerische Freiheit oder Erfolg gebe ihnen recht. Manche
diskreditieren sich gleich selber, wie kürzlich Bushido, als er sich bei
Twitter wie ein Spießer über die Postfiliale in Steglitz aufgeregt hat.
Darauf hat jemand im Bushido-Duktus geantwortet: „Ihr Apfelbaum hängt über
meinem Gartenzaun, Sie Fotze!“ So was entmachtet diese krassen Männer
ungemein.
Ihr neues Album heißt „Mortem und Makeup“ – was bedeutet der Titel?
Sowohl Mortem als auch Make-up sind für mich Bereiche, die einerseits
politisch sind, andererseits überhaupt nicht. Der Tod ist etwas, das uns
alle betrifft: Du wirst geboren, du lebst, du stirbst. Fertig. Aber er ist
auch politisch gerahmt. Kaufe ich bei www.billigbestattungen.de den Sarg
oder die Urne oder kann ich mir ein Beisetzungsevent leisten?
Mit Make-up ist es ähnlich. Einerseits ist Make-up hedonistisches
Leute-malen-sich-bunt. Andererseits hat es viel mit Gesellschaft zu tun,
weil darin Schönheitsideale verhandelt werden und Leute so zu sich selbst
kommen. Auch Blackfacing ist ein politischer Moment. Mein Albumtitel ist
eine Anspielung darauf, dass politisch und unpolitisch, trivial und
todernst meist gleichzeitig passieren.
Sie wollen mit dem Album auch Hörer außerhalb der linken Filterblase
ansprechen. Wie stellen Sie das an?
Ich habe zuerst auf die Kritik gehört. Ich habe nie gesagt: Das ist es
jetzt, boom, ich kann’s. Ich bin nun mal beim Reimen sehr kopflastig
sozialisiert. Mein neues Album ist kein Abschied von der linken, queeren
Szene, sondern eher der Versuch einer Öffnung. Es geht darum, Leute
einzuladen, sich dialogbereit zu zeigen. Mein Ansatz war es, nicht über
theoretische Herleitungen zu gehen, sondern Geschichten zu erzählen wie
auf „Hüpfburg“ oder „Hurensohn“. Da fließt mal etwas Autobiografische…
ein, mal ist es fiktiv.
In dem Song „Die Freundin von“ rappen Sie über das Nachgeordnetsein von
Frauen in der Gesellschaft, im Sinne Simone de Beauvoirs also dem „zweiten
Geschlecht“ nach den Männern. Fühlen Sie sich auch nachgeordnet?
Ich habe das so formuliert, weil ich mich da weitestgehend rausgewunden
habe, was kein einfacher Prozess war. Der Song ist zu 100 Prozent
autobiografisch. Es geht aber nicht um mich, sondern um die Diskurse – auch
wenn es natürlich schwer ist, im Internet misogyne Sachen über mich zu
lesen wie „Geh putzen“, „Du kannst mir einen blasen“ oder „Bring dich…
Gibt es spezielle Punkte in Ihrem Leben, an denen Sie gemerkt haben: Es
geht nicht nur um mich, sondern um die Strukturen?
Ich glaube, dass ich schon immer Bauchfeministin war, aber mir haben lange
die Ansprechpartnerinnen gefehlt. Ich habe von 2003 bis 2009 Gender Studies
studiert. Währenddessen lief aber schon die Mucke gut an. Trotzdem war das
Studium entscheidend, zum Beispiel Texte von Judith Butler und Michel
Foucault. Prägend waren auch Gespräche mit meiner Mutter, weil ich dadurch
kapiert habe, wie Sexismus und Klassismus ihre Biografie als Arbeiterkind
bestimmt haben.
Sie bezeichnen sich selbst als Queerfeministin. Was ist Ihr Verständnis
davon, besonders in Abgrenzung zum Feminismus?
Dem Queerfeminismus geht es um intersektionales Denken. Queer-Theorie
verflicht die Fragen nach geschlechtlicher und sexueller Identität
miteinander untrennbar und sagt: Hier gibt es noch viel mehr Achsen wie zum
Beispiel Klasse, Körper und Sprache, die wirksam sind und die auch nie
außerhalb der Verquickung existieren.
Wenn gesagt wird, „mein Feminismus ist besser“ – das ist immer anstrengen…
Trotzdem ist es wichtig zu erkennen, dass Queerfeminismus das eine ist und
Alice Schwarzer das andere. Die Idee davon, dass wir alle am gleichen Schal
stricken, halte ich für überholt.
Auf dem Track „Who Cares“ mit Charlotte Brandi geht es im Refrain darum,
dass Sie auf Ihrem Besen wegfliegen. Auch Ihr Name ist angelehnt an Sukie
aus „Die Hexen von Eastwick“. Was haben Hexen mit Feminismus zu tun?
Hexen sind ein Beispiel dafür, wie in der zentraleuropäischen Geschichte
patriarchale Strukturen eine Gruppe als bedrohlich charakterisiert und
ausgegrenzt haben. Da ist viel Wissen, was nicht kanonisiert ist, während
Männer zur gleichen Zeit begonnen haben, Bücher zu schreiben und Wissen zu
produzieren. Queerfeminismus würde danach schauen, wo es in der Geschichte
anderer Kulturen und Gesellschaften Hexen gibt und bezieht das dann mit
ein.
Auf dem Song „Queere Tiere“ reden Sie über das Liebes- und Sexualleben von
Tieren. Was können die Menschen von ihnen lernen?
Eine Menge! In der Tierwelt gibt es diese Verkopfungen und
Ordnungskategorien nicht. Tiere leben, sterben und machen in der
Zwischenzeit alles, aber keine Geschlechterdebatten. Ich parallelisiere
derzeit gern Alter mit Geschlecht. Wir sagen ja nicht, dass es nur Jung und
Alt gibt, sondern man ist 5-, 7-, 37-, 89- oder 104-jährig. Es ist nicht
von vornherein klar, ob jemand 21 ist oder 35 und sich „gut gehalten“ hat.
Warum kann es mit Geschlecht nicht ähnlich verlaufen, warum brauchen wir
diese binäre Trennung von Mann und Frau?
Tiere haben solche Kategorien nicht. Klar, die sehen auch zu, dass sie sich
fortpflanzen. Aber das könnten wir ja auch. Selbst wenn es 160 verschiedene
Geschlechter gäbe. Es ist für unsere Situation völlig egal, wen du liebst
und vögelst!
Kategorien haben Ihnen schon Kritik eingebracht. 2011 wurden Sie für den
Song „Pro Homo“ kritisiert, weil Sie sich außer mit Homosexuellen nicht mit
sonstig marginalisierten Personen auseinandergesetzt haben. Ist links sein
nicht manchmal zu kompliziert?
So funktioniert es aber! Das ist okay. Natürlich ist es oll, wenn jetzt
genau mein Material zur Debatte steht – aber auch hier geht es nicht um
mich, sondern um Diskurse. Natürlich denke ich mir: Wie viele Rap-Songs
kennt ihr, die sich mit männlicher Homosexualität auseinandersetzen? Mir
ist aber klar, dass bei mir speerspitzenmäßig genau draufgeschaut wird.
Sie arbeiten auf dem Album mit grim104 von Zugezogen Maskulin – hat er Sie
beeinflusst?
Ich habe mich an seinem Themenrepertoire orientiert – auf dem Song „You
Only Die Once“ geht es um Endlichkeit, Unendlichkeit und die Anstrengung in
dieser Welt. Grim ist ein sehr schlauer Mensch. Ich mag ihn sehr gerne.
Für die Produktionen haben Sie sich dieses Mal neue Leute ins Boot geholt.
Wie hat das den Sound verändert?
Der Produktionsprozess war viel intensiver als früher. Riffsn von
Großstadtgeflüster, LeijiOne von Beat 2.0 und Danger Dan von der
Antilopengang haben sich zusammengesetzt und Beats in den Topf geschmissen,
auf die ich dann geschrieben habe. Wir haben einige Nächte zusammengesessen
und über Ideen für die Drums, Melodien oder Arrangements gesprochen.
Das Ergebnis ist immer noch nicht ausschließlich Boom-Bap, flottes
Synthie-Geballer oder so reduziertes Trap-Zeug, sondern mosaikartig wie
bisher. Aber die Produktionsqualität ist besser. Auch interessant ist, dass
Sound grundsätzlich schwer zu versprachlichen ist. Aber wir haben das
miteinander schnell hinbekommen.
Der letzte Track Ihres Albums heißt „Ruhe“ – wie erholen Sie sich von den
aufreibenden Themen?
Regeneration ist bei mir echt eine Baustelle, was natürlich auch mit der
Dauerpräsenz von Medialität zu tun hat. Mir fällt es unheimlich schwer
abzuschalten. Ich wünsche mir, dass ich das besser könnte. Ich liebe diese
Wirksamkeit, auf die Straße gehen, diskutieren und Sachen anstoßen – aber
die Ruhe, das ist am Schluss so ein Sehnsuchtsthema. Da bin ich selber
Suchende.
18 Mar 2017
## AUTOREN
Yannick Ramsel
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