Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- HipHop-Duo Zugezogen Maskulin: „Treten, damit man nicht untergeht…
> Das Berliner HipHop-Duo Zugezogen Maskulin über Chia-Granola-Bowls,
> Entfremdung von der alten Heimat und Wut als Lebensgefühl.
Bild: „Grundlage unserer Musik ist Frust, Trauer und Depression“: Zugezogen…
taz: Meine Herren, Ihr neues Album ist auf Textebene sehr explizit und es
ist durchweg im Freund-Feind-Schema gehalten. Mir stellt sich die Frage, ob
es sich um persönliche Meinung handelt oder einfach um Punchlines?
Testo: Ich nehme da keine Trennung vor. Ich bin Testo. Das ist keine
Kunstfigur, sondern bloß ein Pseudonym. Auf dem Album drücke ich mein
Unbehagen und mein Nicht-einverstanden-Sein aus. Persönlich habe ich
natürlich noch mehr Facetten anzubieten.
Die sind uninteressant als Gegenstand für Reime?
Testo: Als Rapper habe ich das Gefühl, dass derzeit die Vermittlung von
„Feel Good“ unangebracht ist. Mein Redebedarf ist also, zu sagen: „Es ist
nicht alles super; ganz im Gegenteil.“
grim104: Sehe ich ähnlich. Die Boshaftigkeit kommt aus mir. Texte fallen
mir auch als Moritz im Restaurant ein. Auch in den guten Momenten ist ja
der Status gegeben, den ich dann wiederum als grim104 anprangere.
Die Frage nach dem Realitätsbezug stellt sich trotzdem. Wie ernst zu nehmen
sind Verbalattacken auf Stone-Island-Jacken-Träger und Chia-Samen?
grim104: Der Authentizitätsfimmel anderer interessiert gar nicht. Das ist
eine komplexe Situation, dass man Sachen rappt, die man nicht eins zu eins
so meint.
Also haben Sie gar nichts gegen Bio-Zertifizierung und Detox?
grim104: Es ist wichtig, klarzustellen, dass wir nicht einfach so
Chia-Samen-Esser oder Craft-Bier-Trinker attackieren. Das wäre zu simpel.
Mir doch egal, was jemand trinkt. Mich stört aber die Idee von moralisch
gutem Konsum. Der dient zur Abgrenzung gegenüber dem ungebildeten Plebs.
Nicht der Chia-Granola-Bowl für 15 Euro ist das Problem, sondern die Bowl
als Symptom einer Gesellschaft, die zwischen Menschen auf der Gewinnerseite
unterscheidet und „der anderen Seite“. Darauf hacken wir rum.
Also ist „Alle gegen alle“ insofern ein Berlin-Album, weil die Schneise
zwischen Arm und Reich anderswo weniger breit ist?
Testo: Wir beschreiben verschiedene Formen des Auseinanderdriftens der
Gesellschaft. In Berlin herrscht sehr viel Selbstgerechtigkeit unter den
Menschen, denen es besser geht. Armut und Elend findet sich dort aber auch.
Wir schauen auch über den Tellerrand in die Provinz – wo man teils in einer
abgehängten Welt lebt.
grim104: Das zehrt aus unserem eigenen Erfahrungsraum. Wenn man in die alte
Heimat fährt, dann gibt es erst mal Alienation. Das sage ich nicht, weil
es gut klingt, sondern weil man tatsächlich wie ein Alien von einem anderen
Planeten durch die Straßen wandelt. Die Leute in der alten Heimat verstehen
gar nicht, was man so in der Großstadt macht.
Die AfD ist immer nur woanders stark, nie da, wo wir selbst wohnen!
Testo: Es gibt im ganzen Land einen Taschenspielertrick: Man verweist immer
auf die anderen. Deswegen auch die Rufe, wie schlimm es im Osten und in
Dresden sei. Dabei hat die AfD auch in Westdeutschland gute Ergebnisse
erzielt!
Und warum?
Testo: In einer globalisierten Welt, die sich – gefühlt – immer schneller
dreht, fühlen sich Menschen, die nicht „zu den Gewinnern“ gehören,
abgehängt. Wenn man nur Scheiße erlebt, gehört man automatisch zu den
Verlierern. Als verfallen viele in die identitäre Erzählung der Nation –
eine starke Nation. Da müssen alle zusammen andere Antworten finden, damit
nicht wieder ein Heim für Geflüchtete brennt.
Ihr Album heißt „Alle gegen alle“. Oft ist zu erkennen, dass gerade in
Deutschland der Kampf gegen „die Anderen“ meist am Boden stattfindet. Arm
gegen Arm statt gemeinsam gegen das Ungerechtigkeiten produzierende System.
grim104: Das ist Teil der Realität, richtig. Als Bild mal dahingestellt:
Hier lehnt sich der arbeitslose Baukranführer nicht gegen das System auf,
das Arm und Reich trennt, sondern gegen Refugees. Auch auf der sogenannten
Gewinnerseite finden sich diese Verhaltensweisen. Im Kulturbetrieb wird
genauso permanent nach unten getreten und nach oben gebuckelt. Jeder ist
eine Marke, die nach vorne gebracht werden muss.
Testo: Abstiegsangst ist ein gewaltiger Motor. Da man schnell im Elend
enden kann, haben alle die Sorge, die sie antreibt. Auch im
Social-Media-Account muss man treten, damit man nicht untergeht.
Sie machen sich angreifbar, weil Ihre Text nicht pc sind. Treten Sie auch
nach unten?
grim104: Es gibt Wörter, die ich nicht benutze. Ich reime aber tatsächlich
den Namen eines bekannten Rappers auf „Behindi“.
Testo: Ich muss sagen, dass Wortwahl eine persönliche Sache ist, die man
gemeinsam verhandeln kann; wenn jemand anders an mich herantritt und
versucht, mir seinen Leitfaden aufzudrücken, spiel ich nicht mit. Ich habe
bei jedem Wort, das ich aus – für mich – guten Gründen nicht nutze, selbst
entschieden. Kunst soll abbilden, Kunst muss wehtun. Es kann nicht sein,
dass an sie höhere moralische Vorstellungen herangetragen werden als zum
Beispiel an Politik. Aber beim Battle-Rap, beim Dissen, geht es um die
Abwertung der Gegner mit den Mitteln der Sprache. In diesem Spannungsfeld
halten wir uns auf und finden, dass wir da einen Weg gefunden haben.
Zugezogen Maskulin werden eher dem linken Spektrum zugerechnet. Da tummeln
sich hierzulande vor allem Punkbands. Ansonsten die Antilopen Gang und eine
Handvoll jüngerer KünstlerInnen. Ist Deutsch-Rap trotz seiner
multikulturellen Roots unpolitisch? Wie kommt es zum Ungleichgewicht?
Testo: Stichwort Zeckenrap. Natürlich ist viel Punk-Spirit in so einer
politischen Kiste drin. Das Sprachrohr des Punk ist nur irgendwann Ende der
Achtziger von Rap abgelöst worden. Deswegen entscheiden sich junge Leute zu
rappen.
grim104: Am Anfang standen Advanced Chemistry aus Heidelberg und sie waren
explizit antifaschistisch. Heutzutage ist es ein Feuilleton-Trick, die
„guten“ punkigen Rapper von den „schlechten“ zu trennen.
Testo: Es geht auch um Lebensrealitäten und ihre Abbildung. Als ich mit Rap
angefangen habe, konnten mir die Toten Hosen wenig zu meinem Alltag sagen.
Da hängst du in der Plattenbausiedlung ab, kiffst, dein Umfeld besteht aus
1-Euro-Jobbern und sollst dabei Punkrock hören? An meinem Lebensgefühl
waren Royal Bunker und Aggro Berlin näher dran.
In dem vielzitierten Buch „Tristesse Royal“ wird eine Vorweltkriegsstimmung
heraufbeschworen. Dort heißt es, dass man sich zur Front melden würde, wenn
es nicht 1999 wäre und man sich nicht in Berlin befände, sondern 1914 in
Cambridge. Das Weltbild, das Sie mit „Alle gegen alle“ aufbauen, nimmt
beängstigend ähnliche Züge an.
grim104: Ich frag mich erst mal, warum es Cambridge heißt und eben nicht
Berlin. Außerdem sehen wir uns nicht als kriegslüsterne Macker.
Also ist Ihr Antrieb eher ein „Verletztsein“?
Testo: Wut ist bei uns wirklich die nächste Stufe. Grundlage unserer Musik
ist Frust, Trauer und Depression. Wir wehren uns nur gegen die
Abwärtsspirale. Das äußert sich zunächst in Aggression gegen die Scheiße,
die passiert. Dieses Phänomen kann man derzeit auf der ganzen Welt
beobachten, wo Stimmen laut werden, die sagen: Schluss jetzt mit den
Verletzungen. Wir sehen nicht, dass man mit Befindlichkeits-Musik
weiterkommt; da hört einem niemand zu. Wut ist zugleich Ventil und Mittel,
um gehört zu werden.
Wollen Sie Sprachrohr sein?
grim104: „Politischsein“ ist in unsere musikalische DNA eingeschrieben. Die
Zuschreibung „Polit-Rapper“ lehnen wir hingegen ab. Wir sind keine
Politiker, wir liefern keine Parolen, die zum Soundtrack einer Bewegung
werden. Die Möglichkeit, etwas zu verändern, ist heute so gering wie
vielleicht noch nie. Wenn man da ein paar Leute erreicht, so wie man selbst
auch als Jugendlicher beeinflusst wurde, ist das viel wert.
26 Oct 2017
## AUTOREN
Lars Fleischmann
## TAGS
HipHop
Rap
Berlin
Musik
HipHop
Rap
Antilopen Gang
Antisemitismus
Schwerpunkt Rassismus
Sookee
HipHop
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neues Album Zugezogen Maskulin: Drohnen über den Dörfern
Das Berliner HipHop-Duo Zugezogen Maskulin geht auf seinem neuen Album „10
Jahre Abfuck“ steil: Es liefert eine Chronik der kaputten zehner Jahre.
Neues Album von Trettmann: Reimen im Schwebezustand
Ein neues, nicht ganz wasserdichtes, aber tolles Album des Chemnitzer
Rappers Trettmann zeigt: HipHop gegen Antisemitismus ist möglich und klingt
gut.
Album „Aber der Abgrund“ von Koljah: Das Rap-Prinzip Hoffnung
Koljah von der HipHop-Band Antilopen Gang hat ein Album rausgebracht. Das
hat mehr Niveau als vieles, was im Deutschrap seit Jahren zu hören ist.
Debütalbum von Danger Dan: Antilope auf der Couch
Der Rapper Danger Dan verarbeitet in „Reflexionen aus dem beschönigten
Leben“ eine Therapie. Auf dem Album zeigt er sich als Feminist.
Debatte Antisemitismus im Deutschrap: Ihr seid langweilig
Die Düsseldorfer Rapper Kollegah und Bang sind für den Echo-Preis
nominiert. Schon öfter haben sie sich ekelhaft antisemitisch geäußert.
Hamburger Hip-Hop-Alben gegen Rechts: Typisch Zeckenrap eben
Der Rechtsruck ist da, wie weiter? Auf ihren neuen Alben verhandeln die
Rapper Johnny Mauser und Captain Gips Rassismus, Sexismus und Homophobie.
Rapperin über Gesellschaftskritik: „Du lebst, du stirbst. Fertig.“
Zu viel „Soziologievortrag“ sei ihre Musik, warfen Kritiker Sookee vor. Auf
ihrem neuen Album „Mortem und Makeup“ möchte sie das ändern.
Hamburger Rapperin Haiyti: Amphetamine in der Nase
Haiyti macht deutschen HipHop. Und der ist zeitgemäß wie lange nicht – auch
dank der Rapperin, die der Leistungsgesellschaft den Mittelfinger zeigt.
Gender oder nicht: „DJane sagt man nicht“
Marga Glanz führt seit zehn Jahren den HipHop-Plattenladen Groove City in
Hamburg. Rappende Frauen, findet sie, sollten selbstverständlich sein.
HipHop-Duo Zugezogen Maskulin: Widersprüche aushalten
Machen selbst HipHop, finden dessen Vorstellungswelten von heute allerdings
scheiße: Zugezogen Maskulin und ihr zweites Album „Alles brennt“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.