# taz.de -- Saalschutz, Musik zum Steilgehen: Und alle so yeah | |
> Sie spielten Ravepunk für eine bessere Welt: Saalschutz, die | |
> selbsternannten Narren der Szene, sind auf Abschiedstour. Eine Eloge. | |
Bild: Wo sie sind, da knallt’s: DJ Flumroc und DJ M T Dancefloor arbeiten har… | |
Kennen Sie Saalschutz? Nee? Klingt aber irgendwie verdächtig? Da sind Sie | |
nicht die einzige. Ein besorgter Lehrer fand den Namen so gefährlich, dass | |
Saalschutz ihm eine Folkballade widmeten: „Hey Mr. Lehrer, lass doch deine | |
Schüler unsere T-Shirts tragen.“ Sie erklärten dem Pädagogen, das Konzept | |
sei schon lange in Gebrauch, und Debbie Harry tät es auch. | |
Saalschutz haben allerorten Verwirrung gestiftet. Sie waren zu intelligent, | |
zu lustig und zu widerspenstig für diese Welt. Größerer Ruhm ist ihnen in | |
den vergangenen 16 Jahren verwehrt geblieben, aber dafür wurden sie von | |
ihren Fans geliebt und gefeiert. Saalschutz nahmen vier grandiose Alben | |
auf, gaben über 400 Konzerte und – Apotheose – John Peel spielte eines | |
ihrer Stücke in seiner Show. Jetzt sind sie unterwegs auf Abschiedstour. | |
DJ Flumroc und DJ M T Dancefloor, selbst ernannte Philantropen und Narren | |
der Szene, spielten und sangen simple Melodien über schnelle Beats und die | |
Sägezahnkurven eines alten Analogsynthesizers. Es klang, als sei die Neue | |
Deutsche Welle durch den Protonenbeschleuniger von Techno gejagt worden. | |
Es war Musik zum Steilgehen, wie die Kids der Nullerjahre das nannten, jene | |
Generation, die Techno grade verpasst hatte und sich nun dem Archiv der | |
Popmusik und staatstragender Rebellion gegenübersitzen sah: „Es gibt kein | |
Entrinnen, nicht mal Rückzug nach innen.“ | |
## Die Antithese zum Emokitsch | |
Ihr 2004 bei ZickZack erschienenes Debütalbum „Das ist nicht mein Problem“ | |
platzte also wie eine Wasserbombe aus dem fünften Stock in die Ödnis des | |
deutschsprachigen Nullerjahrepops. Saalschutz, das war die Antithese zum | |
klebrigen, selbstbezüglichen und weinerlichen Emokitsch von Deutschpop in | |
allen Varianten. | |
Als Punks der Wer-weiß-wievielten-Generation (und als Kinder von Daft Punk) | |
machten Saalschutz auf dicke Hose. Saalschutz ließen es krachen und hatten | |
großen Spaß dabei: „Ohne Saalschutz ist der Leidensdruck zu krass / Ohne | |
Saalschutz machen nicht mal Drogen Spaß / Ohne Saalschutz gibt es immer | |
wieder Krieg / Denn nur dank Saalschutz sind die Menschen zueinander lieb“, | |
sangen sie auf ihrem Debütalbum. | |
## In Downtown Switzerland | |
Eines schönen Sommertags vor sieben Jahren traf ich mich mit M T | |
Dancefloor, der textenden und singenden Hälfte von Saalschutz, im | |
Hipsterparadies Zürich-Albisrieden zum Kaffee. Gegenüber saß ein | |
selbstbewusster, aber keinerlei Aufhebens um seine Person machender junger | |
Mann mit scharfem Verstand, Humor und einem Händchen für zündende Slogans. | |
Wir sprachen unter anderem über Zürich. Auch die Stadt hatte vor ein paar | |
Jahren Humor bewiesen und „Little Big City“ als Tourismusslogan eingeführt. | |
Knarf Rellöm schrieb dann den Song zum Slogan. Über Rellöm ergaben sich für | |
Saalschutz Kontakte nach Deutschland. Währenddessen änderte die | |
Stadtverwaltung den Claim ihrer Kampagne. Jetzt warb Zürich damit, | |
„Downtown Switzerland“ zu sein. Dass Zürich selber die Provinz ist, das | |
kapierten diese Leute nicht, meinte M T Dancefloor belustigt. | |
## Wir hängen alle drin | |
DJ Flumroc und DJ M T Dancefloor hatten sich gefunden, als dieses | |
Jahrhundert noch jung war. Sie hörten auf, halsbrecherische Bass- und | |
Gitarrenläufe für ihre Metalbands zu üben und schnitten sich die Haare ab. | |
Sie stammen aus Dietikon und Uster, zwei öden Vororten Zürichs. Saalschutz | |
kamen also aus der Provinz der Provinz. Von wo sonst? Die Provinz war immer | |
der Ort, wo nachgedacht und selber gemacht wird, wo die Winzigkeit der | |
eigenen Szene und die Nähe zur Welt der Stinknormalen erst gar nicht die | |
Idee aufkommen lässt, die Wichtigtuereien von Metropolenhipstern ernst zu | |
nehmen. | |
Der Provinzintellektuelle weiß, dass man sich nicht damit lächerlich machen | |
soll, eine Position des Draußenseins für sich zu reklamieren: „Alles | |
relevant jetzt / Wir hängen alle drin / Wir haben alle teil / An diesem | |
schlechten Film / Wer darf mal ran jetzt / Alle sind verliebt / Ins | |
gebrochenste Versprechen seit es Popkultur gibt / Das geht so tief / Es ist | |
so damned crisp / Und es lässt sich nicht beschreiben / Wie verzwickt es | |
ist.“ | |
## Die Jugendzentren Mitteleuropas | |
So musste Popmusik für eine Altersgruppe klingen, die auch noch mal | |
teilhaben wollte an den aufrührerischen Qualitäten von Pop. Die ihn | |
genießen und feiern wollte, obwohl ihnen die Behauptung seiner | |
revolutionären Kraft schon in der Grundschule als ein nur notdürftig | |
kaschiertes Märchen enttarnt wurde, mit dem einem Schuhe, iPhones oder | |
irgendwelcher anderer Quatsch verkauft werden soll. | |
Er sei nicht so schnell beim Texten wie die Kollegen von Egotronic, | |
erzählte M T Dancefloor. Der Verweis auf Egotronic hatte seinen Grund. | |
Zusammen mit Egotronic und Frittenbude bildeten Saalschutz die Speerspitze | |
von Ravepunk in den Jugendzentren Mitteleuropas. Er habe immer ein | |
Notizbuch dabei, in das er ein paar Zeilen schreibe, wenn sie grade so | |
daherkämen, sagte M T Dancefloor. Seine verwinkelten Texte sind vom Problem | |
geprägt, wie man an Klischees vorbeikommt. Wie zerstört man sie, wie | |
schwelgt man in ihnen, wie sagt man was, das über sie hinausweist? | |
## Hauptsache catchy, immer intelligent | |
Sie hatten viel zu erzählen über das Leben im Widerspruch, und über die | |
Jahre wurde ihre Musik immer ausgefeilter, ohne je ihre Power zu verlieren. | |
Da wurde munter alles zitiert, was Disco, New Wave, Eurodance und | |
Charts-Pop hergaben. Hauptsache catchy, immer intelligent. Ironisch, und | |
doch ganz ernst. | |
Danke, Saalschutz, dass ihr da wart! Ihr habt das letzte Wort: „Nichts | |
bleibt. Das ist okay. Außer das, was man trotzdem macht. Das ist okay.“ | |
27 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
## TAGS | |
Pop | |
Techno | |
Elektro | |
Sookee | |
Mecklenburg-Vorpommern | |
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