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# taz.de -- Kunst zwischen Geschlechtern: Sex ist nur der Anfang
> „Wild – Transgender and the Communities of Desire“ ist ein fordernder
> Einblick in die immer noch provozierende Ästhetik einer Verweigerung:
> nicht nur Mann oder nur Frau sein zu wollen
Bild: Nicht um therapeutische Einzelfälle geht’s, sondern um die ganze Welt.
Testosteron also. In der Umgangssprache gilt das als Synonym für
männerbündlerische Widerwärtigkeiten zwischen Sauftour und Fußballrandale.
Da kann es schon irritieren, wie die irische Künstlerin Doireann O’Malley
das männliche Sexualhormon beschwört: als einen Wegweiser in eine bessere
Welt. In ihrer Videoarbeit „Prototypes“ erscheint Testosteron als
Wundermittel transmännlicher Verwandlungen. Weil es sich eben auch spritzen
lässt, um weibliche Körper zu vermännlichen, den Körper also so
umzugestalten, wie er sich im Kopf anfühlt.
O’Malley und andere KünstlerInnen der Gruppenausstellung „Wild –
Transgender and the Communities of Desire“ im Oldenburger Edith-Russ-Haus
für Medienkunst geht es dabei nicht nur um therapeutische Einzelfälle,
sondern um die ganze Welt. Transsexualität ist nur ein, wenn auch wichtiger
Aspekt menschlicher Existenz. Und die ist heute aufgespalten in unzählige
Individualitäten, die einander je nach Job, PartnerIn oder Tagesform
ablösen. Die Soziologie weiß das schon lange, der Mensch muss es aber
offenbar ständig wieder vergessen.
Auch O’Malleys Film besteht aus drei Bildläufen auf drei Bildschirmen
zugleich – ein gewaltiger, raumfüllender Aufbau, der wie ein dreiflügeliges
Altarbild wirkt, ein Triptychon des Posthumanismus. In klinisch sauberen,
gestochen scharfen Bildern verarbeitet O’Malley Motive aus Psychoanalyse,
Schamanismus und Science-Fiction, die sich vor Körperbildern in Nahaufnahme
und der Kulisse Berliner Nachkriegsarchitektur zu einem Tripszenario
vermengen.
## Freiheit der Maschinenmenschen
Der Mensch wird dadurch frei, dass er sich von der Biologie verabschiedet
und Technik reinlässt. Das ist die zentrale These von Donna Haraway, deren
„Cyborg Manifesto“ Anfang der 1980er-Jahre eben diese Ideen in den
Feminismus und an die Unis geschwemmt hat. Mensch-Maschinen-Hybriden, die
sich biofrei fortpflanzen und vermeintliche Rahmenbedingungen der
Geschlechtlichkeit ad acta legen. O’Malley, die als Stipendiatin der
Stiftung Niedersachsen ans Edith-Russ-Haus kam, ist selbst ungefähr so alt
wie dieser bahnbrechende Text.
Und das ist schon spannend: Weil die technische Idee heute in Reichweite
ist, kann O’Malleys Film so nüchtern sein und muss nicht mehr „Manifest“
heißen. Das Ziel ist aber noch weit: Haraways „Bisexualität, präödipale
Symbiose, nichtentfremdete Arbeit oder andere Versuchungen, organische
Ganzheit durch die endgültige Unterwerfung der Macht aller Teile unter ein
höheres Ganzes“ zu überwinden.
Dass über diese Dinge grundsätzlich nur in sperrigen Fremdwörtern
gesprochen wird, liegt nur zum Teil am akademischen Milieu, dem sie
entstammen. Tatsächlich gibt es bis heute keine Alltäglichkeit, aus der
unverkrampfte Sprache erst entstehen kann. Und auch wenn alternative
Jugendkultur sich heute selbst in der tiefsten Provinz „queer“ gibt und
Kunst mit gesellschaftlichen Normen ja ohnehin immer schon tun und lassen
könnte, was sie will – Kunstausstellungen wie diese in Oldenburg sind etwas
Besonderes. Transgender ist als Konzept irgendwie allgegenwärtig, wird aber
doch fast nie museal ausgestellt.
## Das virtuelle Museum
Wie es aber dahin drängt, zeigt ein anderes Exponat in Oldenburg: Chris E.
Vargas’ virtuelles „Museum of Transgender Hirstory & Art“. Das gibt es
eigentlich nur im Internet, aber auch auf Vorträgen, Podiumsdiskussionen,
temporären Aufführungen – es hat sogar einen Museumsshop. Und während
Vargas so das Drumherum eines Transgender-Museums betreibt, rückt die Frage
in den Blick, was ein Museum überhaupt soll.
Der Widerspruch provoziert: Einerseits sind Museen total altmodische
Angelegenheiten, andererseits will man als Community dann doch schon eins
haben. Um sich seiner selbst zu vergewissern, aber vielleicht auch, weil
die ganzen Transidentitäten so flüchtig sind und archiviert werden wollen.
Johannes Paul Raether, Schreckgespenst der Performancekunst, zeigt in
Oldenburg etwa plastische Arbeiten aus Requisiten seiner Aktionskunst. Auch
das zeigt so einen Wunsch, aufzubewahren, was nur einmal geht: Wie seinen
Kunst-Angriff auf den Berliner Apple-Store am Ku’damm vergangenes Jahr.
Raether hatte dort mit flüssigem Gallium herumgesaut und einen Großeinsatz
von Polizei und Feuerwehr ausgelöst – Gallium erinnert äußerlich stark ans
hochgiftige Quecksilber.
## Der Künstler im Schwarm
Raether tritt in verschiedenen Identitäten auf, als Kunstfiguren, die
„Transformellae“ heißen oder „Schwarmwesen“. Eine Schautafel, seine
„Identitektur“, verbildlicht deren Werdegänge. Und weil das eine flüchtige
Geschichte ist, enden manche Zeitstrahlen dann auch, weil Identitätsaspekte
sterben.
Allerdings: Dass lange vor Raethers „Terrorschlag“ auf Apple bereits Teile
seiner Persönlichkeit an akuter „Verbürgerlichung“ draufgegangen sein
sollen, erinnert daran, dass auch in verdaulichere Häppchen gespaltene
Persönlichkeiten nicht zwangsläufig unkompliziert oder gar widerspruchsfrei
sein müssten.
„Wild – Transgender and the Communities of Desire“ ist ein fordernder
Einblick in die immer noch provozierende Ästhetik einer radikalen
Verweigerung: nicht einfach nur Mann oder nur Frau sein zu wollen – oder zu
können. Und das gelingt den KuratorInnen Edit Molnár und Marcel Schwierin
völlig ohne einen verklemmt-lüsternen Blick auf Travestie zu doppeln oder
ausschließlich von der brutalen Gewalt zu sprechen, der Transmenschen
ausgesetzt sind.
Vor kommt die am Rande natürlich schon. Nur geht es hier eben nicht um
Opfer, sondern um die Vision von Selbstbestimmung. Das ist die Setzung, der
auch der Christopher Street Day folgt, mit dem das Edith-Russ-Haus für
diese Ausstellung erstmals kooperiert: Das Finissage-Wochenende ist nicht
zufällig auf den CSD am 17. Juni gelegt.
21 Apr 2017
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Medienkunst
Ausstellung
Transgender
zeitgenössische Kunst
Donna Haraway
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Transgender
Feminismus
Queer
Videokunst
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