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# taz.de -- Auf und ab im Oldenburger Pulverturm: Ein Turm im Turm
> Videokünstler Thomas Mohr zeigt im Oldenburger Pulverturm die Bildmontage
> eines Treppenaufstiegs und verwirrt seine Zuschauer mit
> Déjà-vu-Erfahrungen.
Bild: Von der Bilderserie zum Gesamtbild: Ein schemenhafter Mensch geht am Kün…
Oldenburg taz |In der Oldenburger Innenstadt steht ein seltsamer,
kreisrunder Ziegelturm. Er ist in etwa so hoch wie breit. Dass man ihn
überhaupt als Turm erkennt, hat er vor allem seiner Rundkuppel zu verdanken
und der Tatsache, dass er in eine Art backsteinerne Mauerruine eingefasst
ist. Momentan nutzt ihn das Oldenburger Medienmuseum Edith-Russ-Haus für
die Aufführung einer Videoarbeit des Künstlers Thomas Mohr – in der
ebenfalls ein Turm die Hauptrolle spielt.
Künstlerischen und kulturellen Zwecken dient der Oldenburger Turm
allerdings erst seit 1988. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war er als
Wachturm Teil der alten Stadtbefestigungsanlage. Später wurden in seinen
Gewölben Schießpulver und Lebensmittel gelagert. In seinem Inneren muss es
kühl und trocken gewesen sein.
Der Titel des Videos von Thomas Mohr, das nun oben im Pulverturm zu sehen
ist, lautet „544/544 (up/down)“. Bei der Gestalt und der Geschichte des
historischen Baus wäre zu vermuten, dass der Kontrast stark ist, wenn man
dort Videokunst installiert – noch dazu welche mit einem starken
Klanganteil, wie es bei Mohr der Fall ist.
Das ist allerdings überhaupt nicht so, ein solches Befremden gibt es hier
einfach nicht. Das hat ganz einfach mit der Tatsache zu tun, dass sowohl
das Videobild als auch der Sound Momente des Oldenburger Turms aufnehmen,
mehr noch sogar, die Erfahrung der Besucher aufgreifen, wiederholen und
variieren.
Mohr zeigt das Treppensteigen und Auftauchen im oberen Raum eines Turms.
Auf- und Abstieg sehen wir im Wechsel. Obwohl Mohrs Video gar nicht das
Innere des Pulverturms zeigt, sondern dasjenige des Turms der St. Petri
Gemeinde – der ältesten erhaltenen Kirche in Hamburgs Innenstadt.
## Kein wirklicher Film
Thomas Mohr arbeitet seit den späten 1980er-Jahren vorwiegend mit dem
Medium Film. Er beschäftigt sich darin mit Wahrnehmungsprozessen, der
neueren Kunstgeschichte und mit der Entwicklung der Medien, von der frühen
Filmgeschichte bis zur Transformation ins Digitale. Die Grundlage seiner
künstlerischen Arbeit bildet ein Fotoarchiv, das zurzeit mehr als 500.000
Bilder umfasst. Diese verarbeitet und kombiniert er in computerbasierten
Videos, wie es etwa hier in Oldenburg zu sehen ist.
Was ist nun genau in Mohrs Video „544/544 (up/down)“ zu sehen? Das Video
ist streng genommen kein wirklicher Film. Es handelt sich um eine Montage
aus insgesamt 1.528 einzelnen Digitalaufnahmen. Man nähert sich zunächst
der Kirche an, betritt sie dann und besteigt anschließend den Turm mit
seinen 544 Stufen. Jeder Stufe gilt ab hier ein Bild. Es folgt ein Schwenk
durch den Raum und dann der neuerliche Abstieg – wiederum 544 Stufen,
festgehalten in 544 Bildern. In einem Turm immerhin befinden sich die
Zuschauer ja tatsächlich, wenn auch nicht in diesem.
Sie können ihre eigene Situation schon auf eine gewisse Weise in der
Videoarbeit wiederfinden. Ebenso verhält es sich mit dem zentralen Motiv
des Videos, nämlich der Treppe. Den Aufstieg, den man sieht, hat man hinter
sich, auch wenn es sich hier um eine gänzlich andere Treppe und
wahrscheinlich um weniger als 544 Stufen gehandelt haben wird. Das mag zwar
banal klingen, aber es wirkt. Denn am meisten verwirrt wohl diejenige
Déjà-vu-Erfahrung, bei der Abweichungen vom Erlebten und Erinnerten
auftreten.
Verstärkt wird die Dynamik der Bilder noch durch einen besonderen Eingriff,
den der 1954 in Mainz geborene Medienkünstler vornimmt. Die Bilder
erscheinen gleichzeitig neben- und untereinander an der Wand. Zuerst sind
es vier Bilder, dann neun, 16, 25, 36, 49, 64, 144 – irgendwann sind sie
unzählig und so klein, dass nichts mehr auf ihnen zu erkennen ist. Die
große Anordnung der Bilder wird zu einem abstrakten und bewegten Muster.
Die zeitliche Abfolge der Szenenbilder erscheint nun nebeneinander.
## Synchron zur Orgelmusik
Und da kommt auch der Sound ins Spiel: Dieser ist in Wirklichkeit selbst
ein autonomes Werk, und nicht nur ein Aspekt von Mohrs Arbeit. Es ist ein
komplexes Musikstück der 2009 verstorbenen Konzeptkünstlerin Hanne
Darboven. Die Bewegungen, die bei der Bilderfolge entstehen, laufen
synchron zu Darbovens Orgelstück Requiem Opus 22 Buch 56. Es klingt barock
und erinnert an Johann Sebastian Bach. Klänge und Bilder laufen in
Stakkato.
Ebenso wie Mohrs Bildmaterial ist auch Darbovens Stück in der Hamburger St.
Petri Kirche entstanden. Die Musik geht dabei auf eine Zahlenfolge zurück.
Darboven hat ihr Stück komponiert, indem sie Kalenderdaten in Noten
übersetzte.
Was man im Pulverturm beim Abstieg merkt, ist ein deutlicher Unterschied
zwischen erlebten und medial vermittelten Bildern. Während nach dem
Aufstieg die Videobilder eines Aufstiegs Erinnerungen an etwas eben
Erlebtes wieder aufriefen, setzt sich im umgekehrten Fall, beim Abstieg
nach den Bildern eines Abstiegs, dieser Prozess nicht in Gang.
Möglicherweise, weil das projizierte Bild von sich aus schon so sehr einem
Nachbild ähnelt.
30 Aug 2016
## AUTOREN
Radek Krolczyk
## TAGS
Videokunst
Medienkunst
Videokunst
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