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# taz.de -- Ausstellung über Massentierhaltulng: In der Schaltzentrale des Sta…
> Wie das Hähnchen lebt, bevor es ins Supermarkt-Kühlregal kommt, ist so
> unschön wie bekannt. In Oldenburg haben sich die beiden Künstler Ute
> Hörner und Mathias Antlfinger mit der Thematik beschäftigt. Ihre
> Ausstellung "Discrete Farms" ist im Edith-Russ-Haus zu sehen.
Bild: Vom Tier über das Ledersofa zurück zum Tier: Die Installation "Kramfors…
Wie eine Sphinx liegt das Lederkälbchen im Eingangsbereich, den Blick auf
das an der Wand hängende Schnittmuster gerichtet, nach dem seine Haut
zusammengenäht wurde. Die Installation heißt „Kramfors“, benannt nach dem
Ikea-Ledersofa, das von den Medienkünstlern Ute Hörner und Mathias
Antlfinger „fachgerecht zerlegt“ wurde, um das Material wieder in seine
ursprüngliche Tierform zu bringen. Da liegt es nun, das Kunstkalb, auf
einem neuen Kramfors und begrüßt die Besucher der Ausstellung „Discrete
Farms – Irgendwo muss das Fleisch doch herkommen“ im Oldenburger
Edith-Russ-Haus für Medienkunst.
Es ist der passende Ort und eine passende Zeit für eine Ausstellung, die
sich mit Massentierhaltung beschäftigt. Oldenburg ist das Oberzentrum des
gleichnamigen Landstrichs, der für seine intensive und
hochindustrialisierte Fleischproduktion eher berüchtigt als berühmt ist.
Erst vor kurzem hatte der in die Kritik geratene Geflügelproduzent
Wiesenhof angekündigt, seinen Namen in „Oldenburger Geflügelspezialitäten�…
zu ändern.
Die Branche boomt, gibt sich nach außen hin allerdings zurückhaltend,
„discrete“ eben. Man will ja nicht so genau wissen, wie das Hähnchen ins
Kühlregal kommt. Genau mit dieser Frage aber befasst sich die Schau.
Genauer: Zwei weiße Stoffhasen befassen sich mit ihr, die „Alter Egos“ der
beiden Künstler, die sie in ihren Werken häufig ins Spiel bringen, um
kontroverse Themen anzusprechen. „Erwachsenen hört doch eh niemand mehr
zu“, sagt Hörner. „Puppen schon. Daher können Puppen andere Dinge sagen.�…
In Videosequenzen führen die beiden Hasen, flankiert von den Künstlern in
militanten Aktivistenoutfits, Gespräche über Haltungsformen, Fleischkonsum
und Tierrechte. Gespräche, die wie Bekennerbotschaften daherkommen, aber so
normal sind, dass sie auch am Kneipentresen geführt werden könnten.
Die beiden Hasen diskutieren über Veganismus oder Missionierungsbemühungen,
reden über Agitationsformen und philosophieren darüber, warum es in
Frankreich eine Vorschrift gibt, nach der jede Schulmahlzeit Fleisch
beinhalten müsse, aber keine, die etwa einen vegetarischen Tag pro Woche
festlegt.
Im Zentrum der Installation „Factory ungleich Farm“ ist „Bauer Kybas Ops
Room“ eingerichtet, eine funktional-industrielle, beinahe schon militärisch
anmutende Kommandozentrale zur Steuerung eines Hühnerstalls mit 50.000
Tieren. Die werden als Punkte auf einem virtuellen Stall-Grundriss gezeigt,
den sie im Laufe des dreißigtägigen Mastcountdowns von der Einstallung bis
zur Schlachtung immer weiter ausfüllen, bis das Bild auf den
Überwachungsmonitoren aussieht wie bei einem Fernseher mit Empfangsstörung.
Zwischendurch bewegt sich ein größerer Punkt, ein Mensch, durch den
virtuellen Stallgrundriss und hinterlässt eine Art Bugwelle zwischen den
unzähligen Hühnerpunkten. Am 30. Tag werden sie wie von einem riesigen
Cursor einfach gelöscht, ein anderer Monitor zeigt derweil Fleischpreise an
der Börse.
Der ländliche Kleiderschrank daneben ist mit Elementen aus einer realen
Mastbetriebs-Steuerungssoftware bemalt. „Bauernkunst“ einmal anders, aber
genau darum geht es ja: Sind das überhaupt noch Bauern? Oder auch nur
„Stellschrauben im Produktionsprozess“, wie Antlfinger es formuliert?
Die Installation nimmt Bezug auf den Ops Room des chilenischen
Cybersyn-Projekts, mit dem die Regierung von Salvador Allende Anfang der
70er-Jahre versucht hatte, die Wirtschaft des Landes von einem zentralen
Raum aus zu lenken, erklärt Antlfinger, der selbst Kybernetik studierte.
Der Kyba-Raum, inklusive biederer Holzvertäfelung, repräsentiert die
rationalisierte Fernbeziehung zwischen Landwirt und Nutztier, die einen
direkten Kontakt längst erübrigt.
Die beiden Künstler sind durch das Oldenburger Land gefahren und haben sich
solche Farm-Fabriken angeschaut: „Man sieht dort niemanden“, berichtet
Hörner. „Ab und zu hört man das Rattern von Motoren, wenn die Silos Futter
nachstreuen.“ Mit diesem technokratischen „Verhältnis zwischen Menschen,
Tieren und Maschinen“ befassten sie sich schon seit langem, sagen Hörner
und Antlfinger, die selbst mit Tieren und vegan leben.
Die Installationsgruppe „Factory ungleich Farm“ entstand im Rahmen eines
Stipendiums des Edith-Russ-Hauses. Angereichert wird die Ausstellung durch
ältere Werke der Künstler. Zwar bringe Missionieren nichts, wie die
Künstler ihre Hasen sagen lassen. Zudem seien sie sich darüber im Klaren,
„wie schwierig es ist, etwas so Fundamentales wie Essgewohnheiten zu
ändern“. Aber ein wenig Hoffnung sei schon dabei, sagt Antlfinger – nämli…
darauf, „dass die Jüngeren jetzt einen Generationskonflikt über dieses
Thema austragen“. Wie damals in den Achtzigern mit der Atomkraft.
26 Sep 2012
## AUTOREN
Maik Nolte
## TAGS
Medienkunst
New York
Vegetarismus
Fleischkonsum
Landwirtschaft
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