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# taz.de -- Medienkunst: "Ganz neue Welten"
> Claudia Giannetti ist die neue Leiterin des Edith-Russ-Hauses in
> Oldenburg. Sie will das in Fachkreisen renommierte Museum in der Region
> bekannt machen.
Bild: Andreas Müller-Pohle: "Entropia".
taz: Frau Giannetti, Sie sagten unlängst, dass Journalisten Sie immer als
erstes fragen, wieso man denn von Barcelona nach Oldenburg wechselt. Ich
spare mir das und möchte von Ihnen lieber wissen: Was sagt es Ihnen, dass
Sie immer wieder diese Frage hören?
Claudia Gianetti: Was mich tatsächlich ein bisschen überrascht hat, ist,
dass mir gesagt wurde, dass das Edith-Russ-Haus hier beim breiten Publikum
nicht so bekannt ist – das hätte ich nicht gedacht. Es erstaunt ein wenig,
dass ein Haus, das international einen solchen Ruf hat, lokal noch nicht so
angenommen ist.
Auch wenn Sie da kaum unvoreingenommen antworten können: Beschreiben Sie
doch einmal diesen Ruf, den das Haus international in der Medienkunstszene
genießt bzw. was genau diesen Ruf ausmacht.
Die Ausstellungen, die in Oldenburg gelaufen sind, haben einen hohen
Bekanntheitsgrad erreicht. Bekannte Künstler haben hier ausgestellt. Vor
allem aber haben sich die Stipendien, die das Haus anbietet, derart
etabliert, dass sich Künstler weltweit darauf bewerben. In diesem Jahr hat
sich das enorm entwickelt: Zusammen mit dem Nachwuchsförderpreis für
Medienkunst haben wir circa 600 Bewerbungen bekommen. Das ist
bemerkenswert.
Ist das Interesse des Publikums an Medienkunst anderswo denn größer?
An jedem Ausstellungsort sind die Voraussetzungen verschieden. In
spezialisierten Museen wie dem ZKM, dem Zentrum für Kunst und
Medientechnologie in Karlsruhe oder der Ars Electronica in Linz weiß der
Besucher ungefähr, warum er dahin geht. Die Frage nach dem Publikum ist für
jede Ausstellungsinstitution eine zentrale Frage geworden: Warum wird das
Publikum nicht so richtig aufmerksam?
Haben Sie denn schon eine Antwort gefunden?
Ich hoffe, ich finde sie mit der aktuellen Ausstellung, Something Other
Than Photography: Photo & Media. Dabei geht es um Fotografie, aber auch um
andere Medien. Ich hoffe, dass das Interesse weckt.
Sprich: Der allseits bekannte und unverdächtige Begriff der Fotografie als
Mittel zur Absenkung der Hemmschwelle?
Ja, das hoffe ich. Man wird sehen.
Wie ist es denn grundsätzlich hierzulande um die Medienkunst bestellt?
Einer der Hauptgründe, weshalb ich nach Deutschland gekommen bin, ist, dass
Deutschland immer noch eines der Zentren der Medienkunst ist. Natürlich
gibt es auch anderswo viele Medienkünstler und Medienkunstinstitutionen.
Aber sowohl im Praktischen als auch in der Medienkunsttheorie ist
Deutschland nach wie vor das wichtigste Land.
War das für Sie der Grund, Deutsch zu lernen?
Nein, das kam daher, dass ich mich bereits in meiner Jugend sehr für
Philosophie interessiert habe, und da kommt man um Deutsch nicht herum.
Also Deutschland eines der Zentren der Medienkunst; das Edith-Russ-Haus
eines der Zentren innerhalb Deutschlands – ist Oldenburg demnach so was wie
der Nabel der Medienkunstwelt?
Das weltweit wichtigste Zentrum ist natürlich das ZKM in Karlsruhe, das
über die einzige richtig große Medienkunstsammlung verfügt. Aber ansonsten
gibt es im Wesentlichen nur noch zwei Schwerpunkte: Dortmund mit dem
Kunstverein Hartware – und eben Oldenburg.
Sie haben Anfang der 90er über die Ästhetik der Medienkunst promoviert.
Technisch ist seitdem in wohl keinem anderen Bereich mehr passiert als hier
– ist denn die Medienkunstszene angesichts dieser Vielzahl an neuen
Möglichkeiten in ähnlichem Maße gewachsen?
Absolut. Man kann da nicht mal mehr von Schritten sprechen – es sind ganz
neue Welten entstanden. Als das Internet aufkam, entstanden komplett andere
Möglichkeiten, die zuvor überhaupt nicht denkbar waren. 1996 haben wir in
Barcelona die erste net art Ausstellung organisiert und mittlerweile ist
Netzkunst schon Teil der Kunstgeschichte. Künstler, die heute international
anerkannt sind, wie etwa Jodi, haben damals dort angefangen. Das war eine
unglaubliche Aufbruchszeit, was Chancen, Forschung und Experimentieren
angeht. So musste in den 90ern alles interaktiv sein, das war das große
Thema. Heute hat sich viel geändert. Das Technologische steht heute nicht
mehr im Vordergrund. Meiner Meinung nach eine Entwicklung zum Besseren.
Stellt die Medienkunst auch die Ausstellungsmacher vor besondere
Herausforderungen?
Da gibt es auf jeden Fall Unterschiede. Der Zugang ist ein anderer, die
Sprache, die Ästhetik. Während die neue Generation, die bereits mit diesen
Medien aufgewachsen ist, einen einfacheren Zugang zu dieser Art von
Kunstwerken hat, haben Menschen ohne diesen direkten Kontakt mehr
Schwierigkeiten, diese Art von Kunst zu verstehen. Eine interaktive
Installation ist eine andere Herausforderung als das passive Betrachten
eines Bildes.
Diese angedeutete Alltäglichkeit im Umgang mit Medien bei den jüngeren
Generationen – kann die nicht auch hinderlich sein? In etwas derart
Omnipräsentem das Künstlerische zu entdecken, ist vielleicht für den einen
oder anderen nicht eben offensichtlich?
Ein Problem liegt sicher darin, dass viele junge Leute Schwierigkeiten
haben, was die Aufmerksamkeit angeht. Kinder sind heute ja ständig mit
Handys, Social Media und Computerspielen beschäftigt. Die Geschwindigkeit
und die Zeitwahrnehmung sind heute ganz anders. Und das hat bestimmt
Einfluss auf die Rezeption von Kunstwerken in Ausstellungen.
Aber liegt darin, andersherum betrachtet, vielleicht auch eine Chance? Mit
einer Ausstellung zu Computerspielen ließen sich doch mit Sicherheit junge
Menschen ins Museum locken.
Ja, das merkten wir zum Beispiel bei der vergangenen Einzelausstellung von
Harun Farocki, in der es eine Installation gab, die sich mit der
Computerspielsprache beschäftigte. Das hat junge Besucher enorm
angesprochen, und sie haben sich mit dem auseinandergesetzt, was Farocki
darin beobachtet hat.
Bedauern Sie manchmal, dass man in der Medienkunst nicht mit großen Namen
agieren kann? Andere Kunsthäuser überschreiben Sonderausstellungen mit
Namen wie Picasso oder Goya, was sicher Besucher anzieht?
Na ja, für uns ist Farocki ein großer Name. Es gibt aber auch andere
interessantere Strategien, das Publikum zu erreichen.
Noch einmal zurück nach Oldenburg. Als Sie sich dem Kulturausschuss des
Stadtrats vorstellten, kündigte ein Mitglied dieses für das städtische
Kulturleben entscheidenden Gremiums an, jetzt „auch mal da reingehen“ zu
wollen, ins Edith-Russ-Haus nämlich. Wann, glauben Sie, werden Sie diese
Person begrüßen können?
Jetzt demnächst zur Fotoausstellung, hoffe ich. Mit dem Thema dieser Schau
beschäftige ich mich seit 15 Jahren. Es geht dabei um die Philosophie der
Fotografie, wie sie Vilém Flusser 1983 formuliert hat und um die Frage, wie
sich heute eine neue Philosophie denken ließe. Fotografie ist etwas, das
heute jeder betreibt; und die Ausstellung soll dazu beitragen, einen
anderen Blickwinkel zu bekommen – etwas, wovon ich glaube, dass es viele
Menschen interessieren könnte.
9 Jul 2013
## AUTOREN
Maik Nolte
Maik Nolte
## TAGS
Medienkunst
Kassel
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