| # taz.de -- Medienkunst-Ausstellung in Kassel: Ein Flackern in der Cyberwirklic… | |
| > Die Kolonialisierung des Alltags durch das Internet: Aram Bartholl | |
| > untersucht, wie Daten unsere Wahrnehmung der Welt beeinflussen. | |
| Bild: Der Künstler bei der Arbeit: Aram Bartholl bohrt ein Loch ins Friderican… | |
| Auf der Wiese vor dem Fridericianum in Kassel steht ein riesiger Marker. | |
| Die meisten Leute werden ihn wiedererkennen, obwohl er nicht einmal einen | |
| Namen hat: Solche Markierungen stecken in den Karten von Google, dem | |
| Informationsmonolithen mit dem bunten Logo, und zeigen uns: Hier ist die | |
| Straße, die Pizzeria, die Bar, nach der wir suchen. | |
| In Kassel verweist der Marker als Skulptur im öffentlichen Raum auf den | |
| Kasseler Kunstverein. In dem „Hello World“, die erste institutionelle | |
| Einzelausstellung von Aram Bartholl, zu sehen ist. | |
| Den Berliner Medienkünstler beschäftigt, wie die Datenwelt, die sich | |
| unaufhaltsam via Computer, Smartphone und Tablets über die Wirklichkeit | |
| legt, unsere Wahrnehmung vom öffentlichen Raum prägt. Wer schon einmal mit | |
| den Handy vor der Nase durch die Stadt geirrt ist, weil eine Hausnummer | |
| falsch eingetragen ist, weiß, welche Definitionsmacht Google Maps | |
| inzwischen besitzt. | |
| Und spätestens der NSA-Skandal hat uns bewusst gemacht, welche Datenspuren | |
| wir bei solchen Manövern auf den Rechnern des amerikanischen Unternehmens | |
| hinterlassen. Und dass diese privaten Informationen die Basis für ein | |
| höchst profitables Geschäfts sind. | |
| Im besten Fall funktionieren die ironischen Arbeiten Bartholls wie das | |
| Flackern in den „Matrix“-Filmen, wenn die Cyberwirklichkeit sich durch | |
| einen Glitch im Programm kurz in ihre Pixelbestandteile auflöst. Bartholls | |
| Werke sind vielleicht nicht Sand im Getriebe dieser „Augmented Reality“. | |
| Aber sie erinnern daran, wie innig verbunden wir inzwischen mit den | |
| Informationen aus dem Netz sind. | |
| ## Die Kolonialisierung des Alltags | |
| Doch anders als in der Matrix beginnt der Cyberspace unser Alltagsleben zu | |
| kolonialisieren. „Diese ganzen Körpererweiterungen, die Geräte, die wir mit | |
| uns herumtragen, bringen jetzt die Daten aus dem Internet über GPS zurück | |
| in die Realität“, sagt Bartholl über diesen Angriff des Virtuellen auf die | |
| übrige Welt. „Diese Google-Brille, die jetzt kommt, wird wahrscheinlich | |
| erst richtig klarmachen, was sich da getan hat.“ | |
| Die Verbindung von Datenuniversen und realer Welt beschäftigte den | |
| 40-Jährigen schon während seines Architekturstudiums, das er 2002 mit einem | |
| Projekt für mobile Computer abschloss. Seine ersten Arbeiten zeigte er noch | |
| beim Kongress des Chaos Computer Clubs und arbeitete gleichzeitig als | |
| Computermechaniker und Bäckereiverkäufer. Inzwischen wird er von zwei | |
| Galerien vertreten und hat an einer Gruppenausstellung im New Yorker Museum | |
| of Modern Art teilgenommen. | |
| Die Kunstwelt, die der ersten Generation von Internetkünstlern in den | |
| neunziger Jahren noch die kalte Schulter zeigte, scheint sich langsam für | |
| Arbeiten zu erwärmen, die ein Hauch von Hackertum umgibt. Dabei mag es | |
| helfen, dass Bartholl Installationen macht, die im physischen Raum der | |
| Galerie gezeigt werden können: „Wenn man viel Zeit mit bestimmten | |
| Computerspielen und 3-D-Welten verbringt und dann den Computer ausschaltet, | |
| sind diese Welten trotzdem weiter präsent“, sagt er. | |
| „Ich wollte das auch wieder anfassen können.“ Darum baute er Requisiten aus | |
| Computerspielen – wie die Äxte aus „World of Warcraft“ und Munitionskist… | |
| aus „Counterstrike“ – nach und platzierte sie im öffentlichen Raum. | |
| Hightech reduziert er zur Lachnummer, konstruiert riesige „analoge | |
| Bildschirme“ aus Seidenpapier und Teelichtern oder zeigt in einem | |
| DIY-Video, wie man Computercode zu Kunst macht, in dem man ihn rahmt und an | |
| die Wand hängt. | |
| ## Tote Briefkästen | |
| Doch längst nicht alle Werke von Bartholl sind verkäufliche Objekte. Die | |
| Arbeit, die im Museum of Modern Art zu sehen war, ist ein schlichter, in | |
| die Wand eingemauerter USB-Stick, auf den jeder Daten speichern und | |
| herunterladen kann – für Bartholl „ein Filesharing-Netzwerk ohne Internet�… | |
| Die Idee verbreitete sich über Technologie-Blogs wie „Engadget“ und | |
| „BoingBoing“ um den Globus. Inzwischen haben Fans mehr als 1.200 tote | |
| Datenbriefkästen rund um die Welt installiert – selbst in Ländern wie | |
| Albanien, Thailand und Reunion, wie man auf der Website [1][deaddrops.com] | |
| sehen kann. | |
| Was, wie viele von Bartholls Arbeiten, zunächst wie ein künstlerisches | |
| Aperçu erscheint, ist zur globalen Bewegung geworden. Und im Zeitalter von | |
| Prism erscheinen die Flashdrives in der Wand plötzlich tatsächlich wie eine | |
| irgendwie bedenkenswerte Methode, um Daten auszutauschen, ohne von | |
| Geheimdiensten angezapft zu werden. Seit letzter Woche steckt so ein | |
| winziger USB-Stick nun auch in den würdigen Säulen vor dem Fridericianum in | |
| Kassel. | |
| 4 Sep 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://deaddrops.com | |
| ## AUTOREN | |
| Tilman Baumgärtel | |
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