# taz.de -- Computer-Medien-Kunst: „Bunte Mischungen sind langweilig“ | |
> Die Kunsthalle Bremen hat bemerkenswerte Bestände an Computer- und | |
> Videokunst. Warum sie trotzdem erst mal Fotografie zeigt – und was Fotos | |
> von Künstlern so besonders macht –, erzählt Sabine Maria Schmidt, seit | |
> April Kustodin für Gegenwartskunst, im Interview | |
Bild: Setzt gerne auf künstlerischen Nachwuchs: Sabine Maria Schmidt. | |
taz: Frau Schmidt, was gibt die Bremer Kunsthalle her, wenn es um Kunst des | |
20. Jahrhunderts und der Gegenwart geht? | |
Sabine Maria Schmidt: Ich bin bei meiner Recherche für meine erste | |
Ausstellung auf sehr viele Foto- und Videoarbeiten gestoßen, die noch nie | |
ausgestellt wurden. Es war sehr spannend – fast wie Geschenke auspacken und | |
Ostereier suchen. Viele wurden in den letzten Jahren angekauft oder | |
geschenkt. Auch während des mehrjährigen Museums-Umbaus wurde die Sammlung | |
erweitert. | |
Und was haben Sie ausgepackt? | |
Es gibt hier viele Arbeiten etwas abseitigerer Künstler und sehr viel | |
Medienkunst. Der Bereich computergenerierter Kunst ist riesig. Die | |
Kunsthalle hatte schon sehr früh Arbeiten innovativer Künstler wie John | |
Cage oder Nam June Paik erworben. | |
Jetzt zeigen Sie aber Fotografie. | |
Direkt zu meinem Arbeitsbeginn ergab sich spontan die Möglichkeit, eine | |
umfangreiche Ausstellung mit Arbeiten aus der Sammlung der Kunsthalle zu | |
platzieren. Da sagt man – bei aller Kurzfristigkeit – nicht nein. Die | |
Bremer Kunsthalle hatte bisher noch nie eine so explizite Foto-Ausstellung | |
gezeigt, obwohl hier die Auswahl an Künstlerfotografie besonders ist. | |
Was ist besonders an Künstlerfotos? | |
Künstler benutzen Fotografie oft als Medium unter anderen und interessieren | |
sich nicht primär für das explizite fotografische Bild. Das ist etwas | |
anderes als von Fotografen gemachte Fotografie, also Dokumentarfotografie | |
etwa. Es sind daher vor allem Künstler, die die Fotografie an den | |
Grenzbereichen zur Bildhauerei, Malerei oder zum Video einsetzen und | |
weiterentwickeln. | |
Knüpfen Sie mit Ihrer aktuellen Ausstellung an die Tradition des Hauses an? | |
Bedingt. Mein Schwerpunkt liegt hier auf der Kunst der 90er-Jahre. Das ist | |
die meiner Generation. So habe ich etwa Arbeiten des Fotografen Boris | |
Becker ausgewählt, der immer wieder mit neuen erstaunlichen Werkserien | |
auffällt, darunter die der „Fakes“. | |
Was macht er da genau? | |
Er hat zum Beispiel ein Gemälde fotografiert, in dessen Farbe zum Schmuggel | |
Kokain beigemischt war. Das ist ein doppelter Fake, da man nicht nur | |
digitaler Fotografie nicht mehr trauen kann, sondern gar den fotografierten | |
Objekten. Oder Pipilotti Rists Erstlingsvideo „ Im not the girl who misses | |
much“ – das ist eine Zeile aus dem Beatles-Song „Happiness is a Warm Gun�… | |
Sie singt diese Zeile halb entblößt, der Film läuft in hohem Tempo, sie | |
hüpft wild herum und klingt wie Mickey Mouse. Auf diese Weise thematisiert | |
sie festgefahrene Geschlechterbilder. Und sie macht bewusst alles falsch, | |
was man in der Videokunst falsch machen kann. | |
Wie sind Sie bei der Auswahl vorgegangen? | |
Mir ist es immer sehr wichtig, die Arbeiten in einen spannenden diskursiven | |
Zusammenhang zu stellen. Bunte Haribo-Mischungen sind langweilig. Das | |
Oberthema ist die Frage nach dem Regime der Aufmerksamkeit. Wer oder was | |
wird in den Fokus gestellt? Wer bestimmt das und wie entscheidet sich das? | |
Wie gehen Medien damit um und was haben Künstler dazu zu sagen? Egbert | |
Trogemann zum Beispiel, der seit mehreren Jahren Studiopublikum bei | |
Fernsehshows fotografiert und so die Frage stellt: Wer schaut eigentlich | |
wen an? Dieser Perspektivwechsel kommt unmittelbar und körperlich erfahrbar | |
rüber. | |
Es geht um die Verbindung von Kunst und Gesellschaftskritik? | |
Sie ist für mich zentral. Ich schätze Kunst, die sich den wichtigen | |
gesellschaftlichen Themen stellt und sich nicht aus dieser Welt | |
herauszieht. Die künstlerische Position muss natürlich stark sein. Das | |
ästhetische Konzept muss stimmen. Ich habe in den 15 Jahren meiner | |
kuratorischen Arbeit oft dezidiert politische Positionen zeigen können. Ich | |
schätze Künstler, die ganz andere Sichtweisen auf gesellschaftliche | |
Fragestellungen eröffnen. | |
Welche Möglichkeiten hat eine Kuratorin, politisch zu arbeiten? | |
2010 habe ich am Museum Folkwang in Essen das Außenraumprojekt „Hacking the | |
City“ kuratiert. Für mich ein sehr wichtiges Unternehmen. Es wurden dort | |
akute gesellschaftliche Fragen abgehandelt: Wie kann man subversiv in | |
Systeme eindringen, um sie dann kreativ für sich zu nutzen? Wie kann man | |
bei zunehmender Überwachung und Kontrolle unsichtbar werden? Das war ein | |
Projekt, bei dem ich mit den beteiligten Künstlern solche Möglichkeiten der | |
Aneignung selbst trainieren wollte. | |
Was genau haben Sie getan? | |
Wir sind in den öffentlichen Raum gegangen und haben uns dort mit | |
unerwarteten und unpassenden Handlungsweisen positioniert. Das war das | |
Gegenteil dessen, was man sonst versucht: ein kunstfremdes Publikum ins | |
Museum zu holen oder auf der Straße belehren zu wollen. | |
Die Vorwürfe an die Museen und Kunstvereine reichen von zu wenig bis viel | |
zu viel Bodenständigkeit. | |
An größeren Häusern wie der Kunsthalle muss man mehrgleisig fahren. Man | |
wird hier in Zukunft eine große Diversität beobachten können. Sicherlich | |
gibt es Menschen, die nur alte oder nur neue Kunst sehen wollen, aber man | |
lässt sich doch auch gerne für das andere verführen. Der Vorwurf, es gäbe | |
zu wenig Publikum, ist alt und beständig. Faktisch ist es ja immer mehr | |
gewachsen. | |
Auch in Bremen? | |
In Bremen gibt es ein breites Publikum. Wir möchten natürlich auch | |
überregional und international punkten. Das geht nicht mit einem | |
eingleisigen Konzept. Ein Museum erfüllt viele Aufgaben. Es gibt auch | |
Menschen, die dort Ruhe suchen und keine Probleme wollen. Museen sind auch | |
Orte der Kontemplation. Ich gehe ja manchmal in Kirchen, ohne gleich eine | |
Predigt zu wollen. | |
Sie haben immer wieder mit jungen und wenig bekannten Künstlern | |
zusammengearbeitet. | |
Ich finde es sehr wichtig, den Kanon immer wieder aufzubrechen. Es gibt ja | |
die Praxis, gerade auch bei jüngeren Kuratorenkollegen, sich gehypte | |
Künstler gegenseitig zuzuschieben. Zack, ist dann wieder ein neuer Star | |
geboren. Für eine beständigere Position muss man anders arbeiten. | |
Wie verhalten Sie sich hier als Kuratorin? | |
Ich beobachte Künstler sehr lange, versuche sie aber auch schon früh zu | |
fördern. Ich bin mir nicht zu schade, für unbekannte junge Künstler Texte | |
zu schreiben. In meinen Gruppenausstellungen platziere ich dann auch gerne | |
ihre Arbeiten. | |
Und wo finden Sie den Nachwuchs? | |
Man muss sich bewegen, viel rumfahren und Ateliers und Ausstellungen | |
besuchen. Für das Durchblättern von Zeitschriften oder Katalogen bleibt mir | |
nicht viel Zeit. Bei meinem Interesse für Videokunst fahre ich häufig auf | |
Festivals und Messen. Videokunst kann man sich nicht zwischen zwei Terminen | |
im Büro ansehen. | |
## „Im Fokus! Zeitgenössische Fotografie und Videokunst aus der Sammlung“: | |
Bis 5. Januar 2014, Bremen, Kunsthalle | |
30 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Radek Krolczyk | |
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