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# taz.de -- Generationenkonflikt: „Ich sehe neue Chancen“
> Die Soziologin Ute Gerhard erklärt im Interview, welche Probleme Frauen
> ihrer Generation mit jüngeren Feministinnen haben
Bild: Frauen sind nur im Netz solidarisch?! Women's March auf Washington im Jan…
Proppenvoll ist der Leseraum der Georg-Büchner-Buchhandlung am
Donnerstagabend im Viertel. 130 Leute zählen die Veranstalter*innen: Frauen
jeden Alters, einige junge Männer. Die Grünen haben eingeladen zu einer
Podiumsdiskussion „The future is female – ohne Feminismus keine offene
Gesellschaft“. Die grüne Bremer Spitzenkandidatin Kirsten Kappert-Gonther
spricht mit der Poetry-Slammerin [1][Ninia La Grande] und der Journalistin
[2][Barbara Streidl], die 2007 den feministischen Blog „Mädchenmannschaft“
mit gegründet hatte.
Sie sprechen über ihre feministische Sozialisation und Morddrohungen im
Internet. Eine junge Frau aus dem Publikum fordert sie auf, konkrete
politische Ziele zu benennen. Kappert-Gonther nennt die Quote in allen
gesellschaftlichen Bereichen, die finanzielle Gleichstellung von Frauen
sowie eine Neuregelung der Care-Arbeit, also der Pflege von Kindern und
Alten. Bestimmt wird die Diskussion von Vorwürfen zweier älterer Frauen,
jüngere Frauen seien zu unkritisch, nicht radikal genug und würden zu wenig
anerkennen, welche Vorarbeit Frauen wie sie geleistet haben. Im Publikum
sitzt auch die bekannte Soziologin Ute Gerhard.
Frau Gerhard, können Sie erklären, warum einige Frauen Ihrer Generation
regelmäßig diese Vorwürfe erheben?
Ute Gerhard: So massiv wie am Donnerstagabend erlebe ich das sonst
eigentlich nicht. Dass die Diskussion so von einem Generationenstreit
bestimmt wurde, finde ich verheerend. Es ist so wichtig, untereinander
solidarisch zu sein und sich aufeinander zuzubewegen.
Eine solche Verständigung gelingt nur, wenn man aushalten kann, dass Frauen
sich nicht in allem einig sind, oder?
Man muss einfach anerkennen, dass wir in ganz unterschiedlichen Situationen
leben. Die jüngeren Frauen können heute viel mehr erreichen als meine
Generation vor 50 Jahren. Und auch wenn die Anforderungen an sie sehr hoch
sind, sowohl an sie als Mutter als auch als Berufstätige: Es ist sehr viel
selbstverständlicher geworden, Berufstätigkeit und Familie zu vereinen.
Ist da Neid im Spiel?
Ja, vielleicht. Als meine drei Kinder klein waren, kam ich überhaupt nicht
weg von zu Hause, weil es gar keine Kinderbetreuung gab. Wenn ich daran
denke, dass ich jeden Tag Mittagessen kochen musste! Aber das ist doch kein
Grund, es den Frauen heute übel zu nehmen, dass es ihnen anders ergeht.
Um das Verhalten von Frauen untereinander zu beschreiben, wird oft das Bild
vom Krabbenkorb bemüht. Wenn eine Krabbe höher krabbelt als die anderen,
wird sie sofort von den anderen zurückgezogen. Ein Mann würde vielleicht
denken: „Da, wo der ist, da will ich auch hin.“
Ich erlebe das auch in der Wissenschaft. Um männliche Professoren scharen
sich jüngere Wissenschaftler, bilden Schulen – von Professorinnen meinen
junge Wissenschaftlerinnen hingegen vielfach, sich distanzieren zu müssen,
auch um sich zu profilieren.
Hat dieses gegenseitige Bedürfnis nach Abgrenzung psychologische Ursachen?
Die symbolische Mutter bekommt keine gesellschaftliche Anerkennung mehr,
weil sie die Fruchtbarkeit verloren hat?
Das spielt sicher eine Rolle, aber man kann es auch soziologisch erklären.
Bei einer Minderheit von Frauen in höheren Führungspositionen ist der
Konkurrenzdruck sehr groß. Ende der 1920er-Jahre gab es diese Debatten
übrigens schon einmal. Da beschwerten sich die alten Frauenrechtlerinnen
darüber, dass ihre Errungenschaften wie der Zugang zum Studium nicht
anerkannt wurden und die Jüngeren fanden die Alten altmodisch und wollten
nicht als Frauenrechtlerin oder gar als Feministin identifiziert werden.
Und heute gibt es eine Kluft zwischen denen, die das Internet nutzen, und
denen, die finden, dass dort keine richtige Politik gemacht wird.
Ich finde es hoch spannend, was jüngere Frauen an Aktionsformen im Internet
entwickeln. Demos sind einfach nicht mehr das Mittel der Wahl. Das, was
dieser Hashtag „Aufschrei“ an Debatten nach sich gezogen hat, war doch
beeindruckend. Aber ich bin mir auch nicht sicher, inwiefern das, was in
sozialen Medien verhandelt wird, zu politischer Einmischung führt.
Sie meinen, ob Netzdebatten auch Gesetze verändern oder Selbstzweck
bleiben?
Ja, das Recht ist ein starkes Mittel. Weil es uns die Möglichkeit gibt, das
zu definieren, was nicht in Ordnung ist. Die Menschenrechte als Beispiel
werden ja in vielerlei Hinsicht nicht umgesetzt, aber dadurch, dass sie
deklariert wurden, haben wir eine Sprache, um bestehende Probleme zu
benennen.
Ein Vorwurf an Netzfeministinnen lautet, dass sie sich in Identitätsfragen
verlieren.
Da ist was dran. Ich finde es richtig, dass auch andere Formen der
Diskriminierung, die Differenzen auch unter Frauen, in den Blick genommen
werden, aber bei jüngeren Wissenschaftlerinnen beobachte ich, dass sie sich
vor lauter Rücksichten auf die anderen Dimensionen sozialer Ungleichheit
kaum noch trauen, von einem Subjekt „Frau“ zu reden. Das hat auch damit zu
tun, dass es in der Wissenschaft als seriöser und „wissenschaftlicher“
gilt, keine politischen Forderungen aufzustellen.
Wenn ältere Feministinnen über früher reden, dann klingt es so, als hätte
sich eine Mehrheit der Frauen gegen bestehende Verhältnisse aufgelehnt.
Das war damals eine Minderheit von radikalen Frauen und in sich auch noch
fürchterlich zerstritten. Erst Anfang der 80er-Jahre gab es so etwas wie
eine breitere Bewegung, als mit den Grünen, mit Frauen aus den
Gewerkschaften oder der Friedensbewegung Feministinnen in der Politik
ankamen. Nach 1989 ist dieser Prozess aber abgebrochen, da hat die ost- und
westdeutsche Frauenbewegung im von Männern beherrschten Einigungsgeschäft
keine Einigkeit gefunden. Nachdem einerseits Erfolge erzielt werden konnten
und andererseits antifeministische Strömungen dominanter wurden. Aber so
ist das mit sozialen Bewegungen, sie verlaufen in Wellen, und man muss neue
Bündnisse eingehen. Auch mit männlichen Feministen.
Als jemand das am Donnerstag sagte, stöhnten einige Frauen im Publikum auf.
Das verstehe ich nicht. Und es ist doch ein Klischee, dass wir alten
Feministinnen männerfeindlich waren oder sind. Früher brauchte es radikale
Formen des Ausschlusses, einfach damit Frauen mal unter sich bleiben
konnten und über ihre Erfahrungen, ihre Unrechtserfahrungen sprechen
konnten, um zu begreifen, „ich bin nicht alleine, es liegt nicht an mir,
sondern das, was ich erlebe, hat gesellschaftliche Ursachen“. Das ging in
männlich dominierten Räumen nicht. Ich habe Ende der 50er-Jahre als eine
von wenigen Frauen Jura studiert – und kam einfach nicht zu Wort. Ich
musste erst lernen, laut zu sein. Aber heute wäre es das dümmste überhaupt,
interessierte Männer auszuschließen.
Eine der beiden älteren Frauen, die am Donnerstag die Diskussion
bestimmten, warf den Jüngeren auf den Podium vor, sie würden sich nicht
genügend empören über den Zustand der Welt. Vielleicht ist die Position des
Opfers keine erstrebenswerte?
Bestimmt nicht. Mir geht es darum, junge Menschen zu ermutigen,
gesellschaftliche Verhältnisse nicht so zu akzeptieren, wie sie sind, und
sie stark machen, anstatt ihnen einzureden, wie furchtbar und aussichtslos
alles ist. Aber hinter Ihrer Frage steckt auch ein Vorurteil: dass wir
Feministinnen uns in den 70er Jahren nur als Opfer empfunden hätten. Die
ganzen Frauenfeste – das war der pure Lustgewinn!
Und wo ist die Lust heute?
Ich habe Lust aus dem Lehren und Überzeugen gezogen. Wenn ich bei
Studierenden sehe, dass ein Funken übergesprungen ist. Das heißt noch
nicht, dass sie das, was sie Neues gelernt haben, genau so bewerten müssen
wie ich. Und am Donnerstag waren so viele junge engagierte Frauen da und
haben so kluge Sachen gesagt, ich bin überhaupt nicht deprimiert. Ich sehe
neue Chancen.
4 Aug 2017
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[1] http://ninialagrande.blogspot.de/
[2] https://www.torial.com/barbara.streidl
## AUTOREN
Eiken Bruhn
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