| # taz.de -- Feminismus-Debatte: Wir brauchen keinen Zumba-Jesus | |
| > Unwitzig, für Männer abschreckend und ohne weise Führung? So leicht lässt | |
| > sich der neue Feminismus nicht abwatschen. Eine Replik. | |
| Bild: Eine weise Führungsgestalt? Och nö. | |
| In der Känguru-Trilogie von Marc-Uwe Kling hat die Hauptfigur, ein | |
| kommunistisches Känguru, zwei Stempel. Auf einem steht „witzig“, auf dem | |
| anderen „nicht witzig“. Das Känguru findet, dass man alles in der | |
| postmodernen Welt in [1][diese zwei Kategorien] einteilen kann. Hannah | |
| Lühmann hat letzte Woche den „Nicht witzig“-Stempel genommen und auf den | |
| Netzfeminismus gedrückt. Bäm. | |
| [2][„Menstruationscomics, nein danke“] heißt Lühmanns Essay, der auf Zeit | |
| Online erschienen ist. Die Autorin, Hannah Lühmann, 27, ist seit Neuestem | |
| Redakteurin im Feuilleton der Welt. Der neue Feminismus, das ist für sie | |
| vor allem der Netzfeminismus. Der ist ihr suspekt, den hält sie für | |
| missglückt und unsexy. Denn obwohl er versuche, modern, locker und lustig | |
| zu sein, sei er in Wirklichkeit nur „nerdig und selbstreferenziell“, in | |
| Deutschland jedenfalls. Und obwohl er „nerdig“ sei, leide er „an einer | |
| schleichenden Entintellektualisierung seiner selbst“. | |
| Netzfeministinnen seien damit beschäftigt, einander süße Katzenbilder zu | |
| schicken und sich Comics anzugucken, in denen Frauen auf blutigen Tampons | |
| reiten, so fasst Lühmann ihre Beobachtungen zusammen und ist | |
| dementsprechend pikiert. Was dem Feminismus heute fehle, sei eine weise | |
| Führung. | |
| Das sind sehr viele Vorwürfe auf einmal. Antonia Baum erwiderte in der | |
| Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Lena Dunham könnte eine solche | |
| Führungsfigur sein. Katrin Gottschalk vom [3][Missy Magazine] kritisierte, | |
| dass Lühmann sich vor allem am Image des Feminismus abarbeite und nicht an | |
| Inhalten. Und Sophie Elmenthaler [4][antwortete auf] [5][Zeit Online], es | |
| sei ein Trugschluss, dass sich jede Idee verkaufen ließe, wenn sie nur | |
| „hübsch genug verpackt“ wäre. Zumal es bei sozialen Bewegungen eben nicht | |
| nur auf die Form ankomme. Und das mit den Katzen und den Comics, das sei | |
| auch gar keine feministische Besonderheit: „Das ganze Netz ist voll von | |
| diesen Dingen.“ | |
| ## Schreckgespenst Martenstein | |
| Obwohl Hannah Lühmanns Thesen in feinem feuilletonistischen Gewand | |
| daherkommen – es geht um „die neue Ästhetik einer Bewegung“ –, sind sie | |
| doch in ihren Ideen sehr stammtischkompatibel. Feministinnen als humorlose, | |
| hirnlose Nervbacken, die nicht den richtigen Ton treffen: Neu ist dieser | |
| Vorwurf nicht. | |
| Natürlich will Lühmann provozieren. „Ich glaube, wenn die Leute das Wort | |
| Feminismus hören, dann denken sie an Harald Martenstein“, schreibt sie. | |
| Ausgerechnet [6][Zeit-Kolumnist Martenstein], buhuu, dieses Schreckgespenst | |
| einer jeden Feministin. Das schockt natürlich – aber dann doch nicht so | |
| sehr, wenn Lühmann ergänzt, dass sie Martensteins Kolumnen gegen | |
| Feministinnen eben „punktuell ziemlich witzig“ findet. Auch wenn er sich | |
| über Autorinnen lustig macht, die über frauenfeindliche Gewalt schreiben. | |
| Hannah Lühmann, deren Text übrigens leider gar nicht witzig ist und daher | |
| auch nicht erahnen lässt, welchen Humor die Autorin für würdig genug | |
| befinden würde (wenn nicht nur den von, nun ja, Martenstein), fragt also, | |
| warum der Feminismus denn nun so ein uncooles Image habe. | |
| Lühmann schreibt, dass in ihrem persönlichen Umfeld fast alle | |
| Gleichaltrigen für die Frauenquote seien. Fast jeder Mann, den sie kennt, | |
| „ist durch und durch durchgegendert, malt brav seine Anführungsstriche in | |
| die Luft, wenn er ,Mann‘ oder ,Frau‘ oder ,biologisches Geschlecht‘ sagt.… | |
| Allerdings würde, so Lühmann, „niemand von diesen Menschen sagen, dass er | |
| Feminist ist“. Das ist interessant. Denn in meinem persönlichen Umfeld sind | |
| sehr viele Leute FeministInnen und nennen sich auch so – aber niemand, | |
| wirklich niemand, malt diese Anführungszeichen. | |
| ## Eine unlustige Bewegung? | |
| Es verwundert dann wenig, wenn Lühmann die Diskussionen zwischen | |
| Feministinnen und anderen „unglaublich angestrengt und anstrengend“ findet. | |
| Der zeitgenössische Feminismus ist für sie eine „weitgehend unlustige | |
| Bewegung“ – was aber wäre eine lustige Bewegung? Zumba? Humor sei wichtig, | |
| um Menschen zu überzeugen, schreibt Lühmann. Das stimmt teilweise. Dinge | |
| mit Humor zu nehmen ist eine Kunst, die das Leben schöner machen kann. Aber | |
| eine Bedingung für soziale Bewegungen war sie nie. | |
| Feministinnen vorzuwerfen, sie seien nicht witzig, ist auf dreifache Art | |
| unangemessen. Erstens ist Humor einfach eine Frage des Geschmacks. Zweitens | |
| wiederholt sich hier das altbekannte „Lach doch mal“ altbekannter Onkels, | |
| und drittens gibt es denkbar viele Momente im Leben, in denen Kämpfen und | |
| Lachen einander ausschließen. | |
| Es gibt verschiedene Gründe, warum Menschen FeministInnen werden, und viele | |
| dieser Gründe sind vor allem eins: nicht schön. Es gibt Menschen, die sehr | |
| hässliche Erfahrungen machen und erst Jahre später verstehen, was ihnen | |
| passiert ist. Dass diesen Leuten, wenn sie dann über Sexismus sprechen, | |
| nicht die Sonne aus dem Hintern scheint, ist logisch. Wer gegen herrschende | |
| Strukturen ankämpft, kann das nicht als Grinsekatze tun. Und manchmal ist | |
| auch ein gepflegtes „Fuck you“ das Mittel der Wahl. | |
| Dass Feministinnen dabei Männer manchmal abschrecken, stimmt. Die „angry | |
| old men“ werden sich nicht für die Frauenquote begeistern, schreibt | |
| Lühmann, solange man ihnen eine „diskriminierende männliche | |
| Anspruchshaltung“ unterstellt (ein Zitat aus einem [7][Cicero][8][-Teaser | |
| zu einem Text von Anne Wizorek]). | |
| ## Die These vom Genderwahn | |
| Die Diskussion, wie männertauglich Feminismus sein sollte, ist wichtig. | |
| Doch die schlichte Forderung, Männer mitzunehmen, birgt Gefahren. Als | |
| Schauspielerin Emma Watson vor der UN ihre Kampagne „He for She“ | |
| vorstellte, die Jungen und Männer für Frauenrechte begeistern soll, schrieb | |
| der Schweizer Tagesanzeiger, Watson sei eine tolle Feministin. Warum? Weil | |
| sie süß sei. | |
| Das Argument der Entintellektualisierung des Feminismus ist ein perfider | |
| Vorwurf. Hannah Lühmann reflektiert in ihrem Text vermeintlich ihre | |
| Privilegien („ja, ich bin weiß, jung …“), schreibt über ihre akademische | |
| Bildung, streut hier und da die Namen einiger AutorInnen ein (Plessner, | |
| Butler, Crenshaw), nur um dann am Ende doch zu fordern, Feministinnen | |
| sollten mal wieder gründlicher lesen. Das ist nicht nur elitär, das ist | |
| ironischerweise auch uninformiert. | |
| Denn Lühmann wiederholt hier nicht nur unterschwellig die These vom | |
| Genderwahn, der sich von jeglicher Wissenschaftlichkeit entferne. | |
| „Genderwahn“ ist so ein Wort, das in letzter Zeit die Runde durchs | |
| Feuilleton machte, und es ist keines, das auf eine Diskussion auf Augenhöhe | |
| abzielt. Lühmann ignoriert hier auch die Fülle an Neuerscheinungen | |
| feministischer Bücher. Zumindest Anne Wizoreks „Weil ein #Aufschrei nicht | |
| reicht“ hat sie gelesen, findet es aber doof. | |
| Von Wizorek ist Lühmann aber ohnehin nicht überzeugt. Ihre Witze findet sie | |
| „infantil“. Anne Wizorek hat in den letzten sieben Jahren täglich knapp 17 | |
| Tweets versendet. Wenn Lühmann davon drei auswählt, um zu zeigen, wie | |
| unlustig Wizorek ist, dann ist das leider nur wenig erhaben. „Okay“, | |
| twitterte Wizorek dazu, „also wenn wir kritisieren, sind wir zu ernst und | |
| unlustig und wenn wir witzig sind, zu infantil und nicht weise genug.“ | |
| ## Der Ruf nach einer weisen Frau | |
| Hannah Lühmann hat dafür aber auch eine Lösung parat: „Was der Feminismus | |
| braucht, ist eine weise Frau, eine Führungsgestalt, sagen wir: eine | |
| Intellektuelle.“ Ausgerechnet vom jungen deutschen Feminismus eine | |
| Führungsgestalt zu fordern, ist eine Idee, auf die man erst mal kommen | |
| muss. Denn immer noch denken viele Menschen beim Wort „Feminismus“ – nein, | |
| nicht an Martenstein, so hoch ist die Zeit-Auflage doch nicht – an Alice | |
| Schwarzer. Dass [9][diese Verknüpfung] sich langsam zu lösen beginnt, ist | |
| kein Nachteil, sondern ein hart erkämpfter Anlass zur Freude. | |
| Im Grunde fordert Hannah Lühmann einen weiblichen, feministischen, | |
| intellektuellen Jesus, der witzig ist und keine Katzen mag. Das sind hohe | |
| Anforderungen. Feministinnen können ihnen nicht gerecht werden – und sie | |
| sollten es gar nicht erst versuchen. „Man wünscht dem Neofeminismus einen | |
| strategischen Berater“, schreibt Lühmann. Um dann eine perfekt | |
| durchgestylte Bewegung zu bekommen? Klingt auch nicht so witzig. | |
| 17 Dec 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.youtube.com/watch?v=u_uKcMG_zSo | |
| [2] http://www.zeit.de/kultur/2014-12/feminismus-internet-intellektuelle-essay | |
| [3] http://missy-magazine.de/2014/12/15/debatte-feminismus/ | |
| [4] http://www.zeit.de/kultur/2014-12/feminismus-internet-debatte-humor-replik | |
| [5] http://www.zeit.de/kultur/2014-12/feminismus-internet-debatte-humor-replik | |
| [6] http://www.zeit.de/zeit-magazin/2014/41/harald-martenstein-zorn-abgehaengte… | |
| [7] http://www.cicero.de/berliner-republik/aufschrei-aktivistin-die-kritik-der-… | |
| [8] http://www.cicero.de/berliner-republik/aufschrei-aktivistin-die-kritik-der-… | |
| [9] /!148990/ | |
| ## AUTOREN | |
| Margarete Stokowski | |
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