# taz.de -- Kolumne Luft und Liebe: Sex, Sex, Sex, Sex und ein Aber | |
> Es gibt jede Menge Frauen, die über schiefgelaufenen, merkwürdigen, | |
> unbeblümten Sex schreiben, und sie machen das gut. Aber etwas fehlt. | |
Bild: „Hi, hast du Bock?“ - „Ja, hihi.“ | |
Schlechter Sex ist ein Trend. Nicht unbedingt, ihn zu haben – aber über ihn | |
zu schreiben. Die aktuelle Welle hat vielleicht mit Lena Dunham angefangen. | |
In ihrer Serie „Girls“ ist schlechter Sex ein nicht unwesentlicher | |
Bestandteil, und auch in ihrem Buch vom letzten Herbst, „Not that kind of | |
girl“, fangen ihre sexuellen Erfahrungen so an: „Es fühlte sich oft so an, | |
als würde jemand einen Luffa-Schwamm in ein Einweckglas stecken.“ | |
Das ist nicht schön, aber es ist das, was Menschen belustigt und befreit. | |
Wie gut, wenn den anderen auch nicht immer die Sonne aus allen | |
Körperöffnungen scheint. Leute lesen das gerne. | |
Diesen Frühling sind nun vier neue Bücher erschienen, die alle ganz anders | |
sind und doch in einem Punkt gleich: Frauen erzählen von Sex, vor allem | |
über die unschönen oder komplizierten Seiten von Sex. Drei davon unter | |
einem Pseudonym. | |
## Auf verschiedene Art krass | |
Da ist erstens Jacinta Nandi, Jahrgang 1980, die Sie vielleicht aus der taz | |
kennen, weil sie hier bis vor kurzem eine Kolumne hatte: [1][“Die gute | |
Ausländerin“]. (Inzwischen hat sie ein taz-Blog, [2]["Riotmama“].) Ihr Buch | |
„nichts gegen blasen“ handelt von einer alleinerziehenden Engländerin in | |
Berlin. Nach Berlin kam sie einerseits, weil es sich so ergeben hat und sie | |
nicht wusste, was und wo „Baden-Württemberg“ sein soll, und andererseits, | |
weil sie Gerhard Schröder heiß fand. Gleich auf der ersten Seite kann sie | |
wegen eines Pilzes keinen Sex haben und so geht das dann weiter. Es gibt | |
Ficktermine, Frauenhaus, Familiendramen. Ein krasses Buch. | |
Da ist zweitens Marie Calloway mit „Es hat echt überhaupt nichts mit dir zu | |
tun“. Es ist nicht weniger krass, nur anders. Die Erzählerin ist eine | |
anfangzwanzigjährige, amerikanische Bloggerin. Eine intelligente und | |
verletzliche Frau, die mit der Aufmerksamkeit anderer – man kann es nicht | |
anders sagen – experimentiert. Sie schreibt über Sex und Verliebtsein, über | |
Pornos und Prostitutionsversuche und stellt die Reaktionen, die ihre Texte | |
im Internet hervorrufen, daneben. Abgründe. Das ist Punk, aber es tut auch | |
weh. | |
## Fisten und Fragen | |
Da ist drittens Kali Drische, Jahrgang 1968, mit „Neulich im Schrank“: | |
Kurzgeschichten, deren Erzählerin sich in der Grundschule in ihre beste | |
Freundin verliebt. Sie fängt ein Tagebuch an, mit dem Satz: „Ich glaube, | |
ich bin läspisch.“ Ist sie dann auch. Auch ihr passieren, nun ja, | |
Widrigkeiten. Einmal fistet sie ihre neue Liebe. Ihr Arm schläft ein, | |
während ihre Hand in der Frau steckt, die sie seit Wochen verehrt. Dann | |
klingelt das Telefon, der Anrufbeantworter geht ran, und eine Stimme sagt: | |
„Hi, ich wollte nur mal hören, wie’s mit der Kleinen so gelaufen ist. Hat | |
ihre Hand endlich reingepasst?“ Und so weiter. Man lacht, man weint, man | |
leidet mit. | |
Und da ist viertens Beate Kruse, nach eigenen Angaben „seit ein paar Jahren | |
35“, mit „Was machen die anderen nachts?“. Das ist ziemlich genau das, was | |
im Untertitel steht: melancholische Sexgeschichten. Die Erzählerin ist eine | |
„misstrauische, mürrische kleine Frau“, die als Korrektorin für die | |
Zeitschrift „Haustierhaltung heute“ arbeitet, „anderthalb Kilo Übergewic… | |
hat und die gerne mehr Sex haben will, und zwar aufregenden. Sich selbst | |
hält sie dabei für „linkisch und bemüht“, glaubt aber auch, dass es für | |
guten Sex reicht, „wenn einer pro Bett es draufhat“. Und den einen sucht | |
sie dann. | |
Sie macht das nicht schlecht, sie hangelt sich von Mann zu Mann und von | |
Frage zu Frage: Bin ich zu grobmotorisch? Warum schmerzt mein Herz? Und: | |
Welche Hilfsmittel sind erlaubt? „Lustige und melancholische | |
Sexgeschichten“ wäre als Untertitel scheiße gewesen, hätte aber auch | |
gestimmt. | |
## Gut und wichtig und richtig | |
Die Bücher sind alle sehr gut. (Das von Lena Dunham ist das langweiligste. | |
Meine Meinung.) Es ist gut und wichtig und richtig, dass es sie gibt. | |
Aber. | |
Sie sind alle von Frauen. Das ist erst mal nichts Schlechtes. Es ist ganz | |
dringend notwendig, dass Frauen über ihr Vögelleben schreiben, sonst gibt | |
es noch mehr Spiegel-Titel wie den von neulich ([3][“Mein Sex!“]), in dem | |
die weibliche Sexualität immer noch das mysteriöse Ding ist, das einem nur | |
Wissenschaftler erklären können, und da kommt dann raus, dass immer mehr | |
Frauen Dildos haben oder Pornos gucken, und dass sie – haha, Pech – ja gar | |
keine vaginalen Orgasmen haben können, aber treu sind sie trotzdem, ja GOTT | |
SEI DANK. All you need. | |
## Es geht nicht um Pornos | |
Nein, das Schlechte ist nicht, dass es diese Bücher von Frauen gibt. Das | |
Schlechte ist, dass es sie von Männern nicht gibt. (Und soweit ich es sehe, | |
auch nicht von Intersexuellen oder nonbinären Leuten.) Wer über Sex | |
schreibt, macht sich verletzlich. Wer über schiefgelaufenen, merkwürdigen, | |
unbeblümten Sex schreibt, noch mehr. Das gibt es von Männern nicht. Nicht | |
in der Form, wie es das von Frauen gibt. | |
Und kommen Sie mir nicht mit „für Männer gibt es keinen schlechten Sex, für | |
die ist jeder Sex gut“. So nicht. Über den schreiben sie nämlich auch nicht | |
besonders viel, es wäre aber auch langweiliger. Und kommen Sie mir auch | |
nicht mit Houellebecq. Es geht nicht um Romane, und es geht auch nicht um | |
Pornografie, sondern um die Ich-ich-ich-Perspektive aus Biografien, | |
Sachbüchern, Kurzgeschichten. Die fehlt von Männern. Und das fällt auf. | |
Wir sind nicht sehr weit mit der ganzen Befreiungsgeschichte, wenn fast | |
alle Bücher über Sex von Frauen geschrieben werden. Wir sind dann in | |
Wirklichkeit noch sehr, sehr am Anfang. | |
4 Jun 2015 | |
## LINKS | |
[1] /!a=Jacinta+Nandi/ | |
[2] http://blogs.taz.de/riotmama/ | |
[3] http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/sex-frauen-sind-experimentierfreu… | |
## AUTOREN | |
Margarete Stokowski | |
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